Schlechte Griechenland-Ratings "Wenn das Rettungspaket steht, werden die Märkte sich beruhigen"

Proteste in Griechenland: "Politische Opposition könnte das Sparprogramm gefährden"
Foto: Orestis Panagiotou/ dpaSPIEGEL ONLINE: Herr Coulton, Ihr Konkurrent, die Rating-Agentur Standard & Poor's, hat Griechenland das Rating "Junk" verpasst - was so viel bedeutet wie "Ramsch". Sie sind optimistischer, was die Kreditwürdigkeit des Landes angeht. Warum?
Coulton: Wir haben Griechenland viermal heruntergestuft, das letzte Mal vor etwa zwei Wochen auf "BBB-". Das ist eine Feinabstufung vor dem spekulativen Status. Ich würde das nicht allzu optimistisch nennen.
SPIEGEL ONLINE: Auch Sie glauben nicht mehr so recht an die Bonität Griechenlands?
Coulton: Unsere letzte Herabstufung kam unter anderem, weil der Druck der Finanzmärkte unerwartet stark gestiegen war. Das heißt: Für die Regierung war es wegen der gestiegenen Zinsen extrem teuer, sich an den Märkten Geld zu leihen.
SPIEGEL ONLINE: Mittlerweile klettern diese Zinsen von einem Rekord zum nächsten. Heißt das, auch Sie werden den Daumen für Griechenland bald ganz nach unten drehen?
Coulton: Nicht unbedingt. Die Situation hat sich geändert. Die Risikoaufschläge spielen inzwischen für uns gar keine große Rolle mehr. Weil Griechenland sich schlicht erst einmal kein Geld mehr an den Märkten leihen wird. Unsere aktuelle Einschätzung basiert auf der Annahme, dass das mittlerweile zugesagte 45-Milliarden-Euro-Hilfspaket die Liquidität des Landes sichern wird.
SPIEGEL ONLINE: Daran glauben Sie noch? In Berlin ist längst die Rede davon, dass Griechenland in den kommenden Jahren 120 Milliarden Euro oder mehr braucht.
Coulton: Es geht um die kommenden zwölf Monate. Und derzeit gehen wir tatsächlich davon aus, dass dafür 45 Milliarden Euro reichen. Für uns ist jetzt die Umsetzung der Hilfsmaßnahmen entscheidend. Und ein zweiter Punkt: dass Griechenland sein selbstgesetztes Sparziel erreicht, seine Neuverschuldung also 2010 gemessen am Bruttoinlandsprodukt um vier Prozentpunkte senkt. Dann besteht auch die Hoffnung, dass das Land kommendes Jahr am Markt schon wieder Geld zu halbwegs erschwinglichen Konditionen auftreiben kann.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie wirklich, dass die griechische Regierung ihre Spar-Versprechen einhält? Die Menschen gehen in Athen schon jetzt fast täglich auf die Straße. Die bislang verkündeten Maßnahmen reichen aber noch lange nicht aus.
Coulton: Die politische Opposition könnte einer der Faktoren sein, die den Erfolg des Sparprogramms gefährden, das ist richtig. Darum ist dessen Umsetzung auch die Schlüsselfrage, die uns gerade beschäftigt. Misslingt die Spar-Offensive, wird es auch Probleme geben, vom Internationalen Währungsfonds (IWF) noch mehr Kredite als die bereits versprochenen zehn Milliarden Euro zu bekommen. Denn die IWF-Hilfen sind an Bedingungen gekoppelt.
SPIEGEL ONLINE: Inzwischen ist nicht nur Griechenland herabgestuft worden, sondern auch Portugal und Spanien. Ist das der Beginn einer Kettenreaktion?
Coulton: Auch wir haben die Note für Portugal auf "AA-" gesenkt. Weil Portugal ein hohes Staatsdefizit hat und dieses derzeit nur sehr langsam reduziert. Aber wir sind davon überzeugt, dass Portugal wirtschaftlich wesentlich robuster ist als Griechenland. Die portugiesische Regierung ist für uns viel glaubwürdiger, allein schon, weil sie sich vor der aktuellen Rezession über zwei oder drei Jahre hinweg bemüht hat, den Schuldenberg abzutragen. Allerdings sorgt uns bei Portugal sehr die schwache Wirtschaft, die sich in zehn Jahre wenig dynamisch entwickelt hat.
SPIEGEL ONLINE: Wie gehen all diese Faktoren in Ihre Berechnungen eines Ratings ein?
Coulton: Ein wichtiger Faktor ist das Verhältnis der Schulden zur Wirtschaftskraft. Legt die Verschuldung schneller zu als das Bruttoinlandsprodukt, ist das entsprechend schlecht fürs Rating - wie im Fall Portugals.
SPIEGEL ONLINE: Das aktuelle Horrorszenario lautet: Die Griechenland-Krise breitet sich aus wie ein Flächenbrand. Wie ist Ihre Einschätzung: Müssen Sie in den kommenden Wochen noch anderen Ländern schlechte Noten verpassen?
Coulton: Ich glaube, die gegenwärtige Situation hat viel mit Unsicherheit zu tun. Wenn das Rettungspaket für Griechenland steht, werden sich auch die Märkte beruhigen.
SPIEGEL ONLINE: Staatsanleihen aller Euro-Staaten galten jahrelang als relativ risikofreie Anlage. Warum wurden die Probleme bei Ländern wie Griechenland an den Märkten lange nicht erkannt? Da haben Sie doch auch als Rating-Agentur versagt.
Coulton: Moment: Die Zinsen für Staatsanleihen der Euro-Länder waren jahrelang fast gleich, weil die Anleger keinen Unterschied machten. Aber die Ergebnisse unserer Analysen für Italien oder Griechenland waren immer sehr viel schwächer als die für Deutschland. Griechenland lag sechs Feinabstufungen unter der Bundesrepublik. Und schon vor einem Jahr haben wir begonnen, das Rating des südeuropäischen Staates weiter zu senken. Wir haben die Anleger sehr wohl früh genug gewarnt.
SPIEGEL ONLINE: Man wundert sich allerdings manchmal über den Zeitpunkt, den Rating-Agenturen für Neubewertungen wählen. Das neue Rating von Standard & Poor's für Griechenland kam zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, als gerade das Hilfspaket geschnürt wurde. Danach schossen die Risikoaufschläge für Staatsanleihen auf ein neues Rekordniveau. War das nötig?
Coulton: Ich kann die Arbeit von Kollegen nicht beurteilen. Wir ändern unser Rating genau dann, wenn wir aufgrund neuer Basisdaten das alte für nicht mehr angemessen halten - und der Meinung sind, dass wir unsere Anleger warnen müssen.