Abkehr von der schwarzen Null Warum die Schuldenregeln wackeln

In der Bundesregierung wachsen die Zweifel an der schwarzen Null - bei Ökonomen und in der Wirtschaft auch die an der Schuldenbremse. Warum fallen die Sparvorgaben plötzlich selbst bei früheren Befürwortern in Ungnade?

Es ist nicht ganz leicht mit den deutschen Schuldenregeln, das musste auch Annegret Kramp-Karrenbauer erfahren. Als sie in der vergangenen Woche im Fernsehsender n-tv zu einer möglichen Aufweichung deutscher Sparpolitik befragt wurde, sagte die CDU Chefin, schon die "jetzige Regelung zu einer schwarzen Null im Grundgesetz" sehe ja Ausnahmen in Krisenzeiten vor. Deshalb brauche man "das Prinzip an sich nicht gleich zur Seite zu legen".

Tatsächlich aber steht von einer schwarzen Null nichts im Grundgesetz. Der Verzicht auf neue Schulden ist ein politisches Ziel, das unter Ex-Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erstmals seit Jahrzehnten erreicht wurde und das Nachfolger Olaf Scholz (SPD) übernommen hat. Angesichts der sich eintrübenden Konjunktur erwägt die Bundesregierung nach SPIEGEL-Informationen  nun, die schwarze Null im Kampf gegen eine Rezession zu opfern.

Wachsende Kritik gibt es auch an der Schuldenbremse, die im Gegensatz zur schwarzen Null tatsächlich Verfassungsrang hat (mehr dazu lesen Sie im folgenden Überblick zu den verschiedenen Schuldenregeln). Durch sie wird der Spielraum für neue Staatsschulden deutlich eingeschränkt. Die Länder sollen in wirtschaftlich guten Zeiten sogar überhaupt keine neuen Kredite mehr aufnehmen.

Die Regeln des Schuldenmachens

In Hamburg läuft gegen die Einschränkungen der Schuldenbremse inzwischen eine Volksinitiative. Die Initiatoren haben nach eigenen Angaben schon mehr als die Hälfte der notwendigen Stimmen zusammen. Die Schuldenbremse sehen sie  als "eines der letzten Instrumente zur Rettung der neoliberalen Zurichtung von Subjekt und Gesellschaft".

Doch mittlerweile werden die Schuldenregeln nicht nur im linken Lager kritisch gesehen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) stellt die schwarze Null infrage, das von den Arbeitgebern finanzierte Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln auch die Schuldenbremse  in ihrer heutigen Form.

Dabei durfte der Ruf nach einem sparsamen Staat lange auf keiner Wirtschaftstagung fehlen. Auch in der Politik galt die Reduzierung der Staatsschulden bislang als wichtiges Ziel. Woher also kommt der Meinungswandel? Vier Erklärungen:

1. Ihre wichtigste Funktion haben die Schuldenregeln schon erfüllt

Als die Schuldenbremse 2009 ins Grundgesetz geschrieben wurde, steckte Deutschland tief in der Finanzkrise. Mit Milliardensummen mussten erst heimische Banken und später dann auch noch andere Euroländer gestützt werden, die sich selbst nicht mehr finanzieren konnten. Die Sorge war groß, dass auch Deutschland sich so stark verschuldet, dass es nicht mehr handlungsfähig ist. Die Schuldenbremse und später auch die Politik der schwarzen Null sollten diese Sorgen eindämmen.

Tatsächlich konnte der deutsche Staat seine exzellente Bonität bewahren. Kaum ein anderes Euroland wird von den Rating-Agenturen so gut eingestuft. Inzwischen zahlen Investoren sogar drauf, um ihm Geld zu leihen. Auch die Staatsschulden sinken erstmals seit Jahrzehnten - und mit ihnen der Druck, weiterhin den haushaltspolitischen Musterknaben zu geben.

2. Die Folgen des Sparkurses werden sichtbarer

Von Zugausfällen wegen maroder Strecken bis zu Dauerpannen bei der Flugbereitschaft der Bundesregierung: Die Folgen unzureichender Investitionen wurden in Deutschland zuletzt immer wieder deutlich. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung investiert die Bundesrepublik laut einer Studie des Ifo-Instituts  schon lange deutlich weniger als andere Länder. Um den Durchschnitt der Industriestaaten zu erreichen, müsste der Staat seine Ausgaben demnach um mindestens 40 Prozent erhöhen.

Die Investitionsmisere lässt sich allerdings nicht allein auf die Sparpolitik schieben, zumal sie deutlich vor der Verpflichtung auf Schuldenbremse und schwarze Null begann. Doch nach Ansicht der Kritiker wird das Problem durch die Sparvorgaben mindestens verschärft.

Wegen Rissen gesperrte Brücke bei Duisburg

Wegen Rissen gesperrte Brücke bei Duisburg

Foto: Christoph Reichwein / DPA

So kam das IW kürzlich in einer Studie  zu dem Schluss, dass es deutschlandweit Probleme mit der Infrastruktur gebe. Viele Kommunen müssten teure Ausgaben übernehmen, hätten aber zugleich zu wenig Einnahmen. Die mitverantwortlichen Landesregierungen verwiesen "oftmals auf eigene Zwänge, nicht zuletzt durch die für sie ab 2020 geltende Schuldenbremse". Diese Problematik könnte sich noch verschärfen, wenn die deutsche Wirtschaft in die Rezession rutscht und die Politik eigentlich gegensteuern müsste.

Die Schuldenbremse soll auch der Tendenz entgegenwirken, dass Politiker im kurzfristigen Kampf um Wählerstimmen die langfristige Verschuldung erhöhen. Dieser sogenannte deficit bias droht nach Ansicht von Peter Bofinger , früheres Mitglied der sogenannten Wirtschaftsweisen, nun durch ein disinvestment bias abgelöst zu werden: der Neigung, im Zweifel lieber nicht zu investieren - obwohl es notwendig wäre.

3. Erst jetzt wird es mit den Regeln wirklich ernst

Die Schuldenregeln haben der deutschen Politik lange relativ wenig Kopfzerbrechen gemacht. EU-Vorgaben wie die Defizithürde in den Maastricht-Kriterien (siehe Überblick) waren nicht mit ernst zu nehmenden Sanktionen verbunden. Deutschland gehörte denn auch zu den ersten Ländern, die sie verletzten. Zur Begründung sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), man habe die Folgen der Agenda 2010 abfedern müssen.

Als später verschärfte Vorgaben wie der Fiskalpakt oder die Schuldenbremse griffen, befand sich Deutschland längst wieder im Aufschwung. Weil die Steuereinnahmen in den vergangenen Jahren stetig wuchsen, konnte der Finanzminister trotz steigender Ausgaben ohne größere Probleme die schwarze Null erreichen. "Die scheinbar eindrucksvollen Konsolidierungserfolge der Bundesregierung verdanken sich nahezu ausschließlich den günstigen Wirtschaftsbedingungen und Einmaleffekten", heißt es in einer Studie des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts .

Symbolische Schuldenbremse vor dem Finanzministerium (2011)

Symbolische Schuldenbremse vor dem Finanzministerium (2011)

Foto: Rainer Jensen / DPA

Wenn die Wirtschaft nun aber langsamer wächst oder gar schrumpft, werden die Steuerreinnahmen entsprechend zurückgehen. Zugleich könnten neue Ausgaben auf die Regierung zukommen. Dann wird es deutlich schwieriger, ohne neue Schulden auszukommen.

4. Die Jungen haben andere Sorgen

Die europäische Schuldenkrise war auch ein Generationenkonflikt. In Ländern wie Griechenland oder Italien hatten viele Ältere von einem Staat profitiert, der mithilfe von Schulden aufgebläht wurde. Die Folgen der anschließenden Krise trugen hingegen überproportional die Jüngeren - etwa durch eine massiv gestiegene Jugendarbeitslosigkeit und Finanzhilfen, die noch in Jahrzehnten zurückgezahlt werden müssen.

Durch die "Fridays for Future"-Bewegung ist nun eine andere Form von Generationenkonflikt in den Fokus gerückt: Aus Sorge um ihre Zukunft fordern Jugendliche von der Politik, die Bemühungen um den Klimaschutz massiv auszuweiten. Das könnte teuer werden. Allein bis 2023 meldeten andere Ressorts beim Finanzministerium bislang Klimaschutzvorhaben im Umfang von 32 Milliarden Euro an. Nicht zuletzt die Aussicht auf diese Mehrausgaben lässt die Bundesregierung nun langsam von der schwarzen Null abrücken.

Zumindest bei den jungen Klimaaktivisten dürfte sie damit auf wenig Gegenwehr stoßen. "Wir können nicht für die Zukunft lernen, wenn wir keine haben", lautet eine Begründung für die weitverbreiteten Schulstreiks. Etwas abgewandelt könnte sie bald lauten: Warum für die Zukunft sparen, wenn wir dann keine haben?

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