Volksabstimmung in der Schweiz Warum wir das Grundeinkommen für eine gute Idee halten - oder auch nicht

Grüner Ströbele, Linke Kipping, Ex-Minister Blüm, Grüner Giegold, Ökonom Hüther, Ökonom Straubhaar
Foto: [DPA; imago;PR]Mehr als vier Jahre ist es her, dass die Aktivisten mit dem Sammeln von Unterschriften begannen - am morgigen Sonntag ist es soweit: Die Schweizer stimmen über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ab, das "der gesamten Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen" soll.
Gleiches Geld für alle? Die einen halten dieses Konzept für eine Spinnerei von Sozialromantikern, die anderen für den Schlüssel zu einer gerechten und freien Gesellschaft - und wieder andere für die Reinform des kalten Neoliberalismus. Zum Teil erklärt sich diese Bandbreite an Meinungen dadurch, dass ein Grundeinkommen je nach Ausgestaltung stark unterschiedliche Wirkungen entfalten würde - abhängig davon, wie hoch es wäre und wie es finanziert würde. Beide Fragen lässt die Schweizer Volksabstimmung ausdrücklich offen.
Unabhängig vom Ausgang haben die Initiatoren eines schon erreicht: Das Für und Wider eines bedingungslosen Grundeinkommens wird - auch in Deutschland - so intensiv diskutiert wie nie zuvor. Das Interessante dabei: Ob unter Linken oder Christdemokraten, ob unter Gewerkschaftern oder Wirtschaftsliberalen - überall finden sich sowohl Befürworter als auch Gegner.
Wir haben prominente Akteure aus Politik und Ökonomie gefragt: Wie halten Sie es mit dem Grundeinkommen - und warum? Ihre Antworten bestätigen den Befund: Die Fronten verlaufen quer durch alle Lager. Der Grüne Hans-Christian Ströbele und sein Parteifreund Sven Giegold sind sich ebenso uneins wie die beiden ausgeprägt wirtschaftsliberalen Ökonomen Michael Hüther und Thomas Straubhaar. Und die Linken-Chefin Katja Kipping steht mit ihrer Haltung wiederum im Widerspruch zu ihren prominenten Parteigenossen Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi.
Norbert Blüm
Bundesarbeitsminister von 1982 bis 1999, CDU
"Fluchtversuch aus sozialstaatlicher Verantwortung"

Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Fluchtversuch aus sozialstaatlicher Verantwortung ins allgemeine Geldgeschäft.
1. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ungerecht und Geldverschwendung: Warum soll ein Millionär ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten, dessen er gar nicht bedarf - und das zudem von denen mitbezahlt wird, die nicht so wohlhabend sind?
1a. Dieses Dilemma kann auch nicht durch eine Einkommensgrenze gelöst werden - sondern nur durch eine gigantische staatliche Bedürfnisprüfungsanstalt. Denn Einkommen allein kann noch kein Indiz für Bedürftigkeit sein, sonst wäre der Teilzeit arbeitende Millionär bedürftig.
2. Die bisherigen Sozialleistungen können nicht zusätzlich zum bedingungslosen Grundeinkommen gewährt werden. Das würde die Verteilungsgerechtigkeit überfordern und die Einkommen sozialisieren.
2a. Also muss das bedingungslose Grundeinkommen auch durch Kürzungen der Sozialleistungen finanziert werden.
3. Der Sozialstaat gewährt aber nicht nur Geldleistungen, sondern auch ein System von Sachleistungen. In der Rentenversicherung ist das etwa die Rehabilitation. In der Arbeitslosenversicherung zählen Vermittlung, Umschulung, Fortbildung und Eingliederungshilfen dazu.
3a. Selbst wenn zwischen Sozialleistungen und bedingungslosem Grundeinkommen ein vermittelnder Kompromiss gefunden würde, gälte: Dann übernähmen die Sozialämter weitgehend den Sozialstaat einschließlich der Beratung und individueller Hilfen nach Ermessen.
Fazit: Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Rohrkrepierer. Nicht alles ist gut, weil es alt ist. Das gleiche gilt für das Neue - freilich mit dem Unterschied, dass das Neue die Beweislast trägt, besser zu sein.
Katja Kipping
Co-Vorsitzende der Linken
"Geld für die Fahrkarte zur Demo"

Die Idee des Grundeinkommens erscheint auf dem ersten Blick ungeheuerlich: Jedem Menschen soll ein Mindestmaß an materieller Absicherung zustehen - einfach weil er ein Mensch ist, ohne dass er sich das verdienen muss.
Meinen die das ernst? Ja, wir meinen das ernst.
Es geht darum, die Idee der Demokratie zu vervollkommnen. Denn Demokratie sollte sich niemals nur darauf reduzieren, alle paar Jahre ein Kreuz auf dem Stimmzettel zu machen. Demokratie lebt vielmehr davon - oder sollte davon leben -, dass sich jede und jeder jederzeit politisch einmischen kann. Dazu gehört aber, dass man sich nicht nur das Lebensnotwendige wie Wohnen, Kleiden und Essen leisten kann - sondern auch die Fahrkarte zu einer Demonstration, den Zugang ins Internet oder einen Kaffee im Vereinshaus beim Treffen der Bürgerinitiative. Unabhängig davon, ob man auf dem Erwerbsarbeitsmarkt Erfolg hatte. Und unabhängig davon, ob man sich auf dem Jobcenter auch als braver Untertan präsentiert hat.
Kurzum, es geht darum, dass jede und jeder sich aufrechten Ganges in die politische Gestaltung der Gesellschaft einbringen kann. Insofern wäre das Grundeinkommen eine Demokratiepauschale.
Und nicht zu vergessen: In einer Grundeinkommensgesellschaft sind alle sicher vor Armut. Grundeinkommen bedeutet also auch Freiheit, und zwar Freiheit von Existenzängsten.
Thomas Straubhaar
Ex-Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) - und Schweizer
"Liberal, sozial, effektiv"

Das Grundeinkommen ist
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liberal,
weil es den Menschen nicht paternalistisch vorschreibt, wie sie sich zu verhalten haben, um sozialpolitisch unterstützt zu werden. Es setzt auf Eigenverantwortung und verschafft allen gleichermaßen eine finanzielle Grundausstattung. Es ist klüger, den Menschen Geld zu geben und sie selber entscheiden zu lassen, wofür sie es ausgeben, anstatt sie zu bevormunden und zu zwingen, etwas zu tun, was sie nicht wollen; -
sozial,
weil Besserverdienende unverändert weit mehr Steuern zahlen als alle anderen. Nehmen wir an, das Grundeinkommen beträgt 10.000 Euro pro Jahr, und ein Steuersatz von 50 Prozent wird festgelegt.
Wer 100.000 Euro verdient, zahlt also brutto 50.000 Steuern. Er erhält mit dem Grundeinkommen eine Steuererstattung von 10.000, so dass eine Nettosteuerbelastung von 40.000 übrigbleibt.
Wer nur 40.000 verdient, zahlt 20.000 Euro Steuern und erhält ebenfalls 10.000 Euro als Erstattung. Seine Nettosteuerbelastung liegt somit bei 10.000 Euro - also nur einem Viertel des Besserverdienenden.
Nur wer weniger als 20.000 Euro verdient, lebt auf Kosten der Allgemeinheit; -
effektiv,
weil es zu einer enormen Vereinfachung und damit einem massiven Bürokratieabbau führt. Somit kann Steuergeld an Minderbemittelte ausbezahlt werden, anstatt in Institutionen zu versickern. Alle - also auch Selbstständige, Freiberufler, Beamte und Abgeordnete - werden gleichermaßen in die Finanzierungspflicht genommen. Die willkürlichen Beitragsbemessungsgrenzen in der Sozialversicherung werden abgeschafft und alle Einkunftsarten - auch Zinsen, Dividenden, Miet- oder Pachterlöse - einbezogen.
Michael Hüther
Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln
"Verantwortungslos und unfrei"

Den Deutschen ist ein selbstbestimmtes Leben von höchstem Wert, die Erwerbsarbeit ist dafür von herausragender Bedeutung. 70 Prozent sagen: Wer mehr leistet, der soll auch mehr verdienen.
Dagegen steht die Idee eines bedingungs- oder treffender leistungslosen Grundeinkommens. Leistungslos bedeutet zugleich verantwortungslos, denn der Einzelne ist unabhängig von jeder Voraussetzung anspruchsberechtigt. Das funktioniert allenfalls in engen und dichten sozialen Netzen wie der Familie, nicht aber in fluiden Großgesellschaften.
Wer die Leistungsgerechtigkeit aufgibt, der hebelt die Chancengerechtigkeit für viele aus, weil es nicht mehr lohnend erscheint, die Chancen auch zu nutzen. Staatsausgaben, die so deutlich erkennbar Fehlanreize haben, stellen zugleich die Fairness der Besteuerung infrage. Man besteuert Leistungseinkommen für leistungsloses Einkommen.
Gesellschaftliche Utopien überfordern die reale Welt, weil sie lebenspraktisch nicht funktionieren. Ein solches Grundeinkommen macht nicht unabhängig, sondern unfrei.
Hans-Christian Ströbele,
Grünen-Bundestagsabgeordneter
"Für die Menschenwürde"

Die Volksinitiative in der Schweiz begrüße ich und wünsche Erfolg. Schon lange setze ich mich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Das Sanktionsregime im Hartz-IV-System macht die Verletzung der Grundrechte auf Privatheit und Menschenwürde möglich, wie ich sie auch sonst bekämpfe.
Das Existenzminimum darf nicht an Bedingungen gekoppelt sein. Es darf nicht sein, dass Menschen Datenstriptease vor der Behörde machen müssen, um überhaupt Leistungen zu erhalten. Und es geht nicht, dass denen, die sich angeblich nicht wohlverhalten, bis zu 100 Prozent der Leistungen gekürzt werden können.
Deshalb unterstütze ich die Initiative sanktionsfrei.de in Deutschland. Über ihr Online-Portal versucht sie, das Sanktionssystem auszuhebeln, indem sie Hartz-IV-Beziehern hilft, gegen Sanktionsbescheide vorzugehen, und den Gang vor Gericht erleichtert. Ich fordere einen Stopp aller Sanktionen. Das wäre ein wichtiger Schritt zu einem bedingungslosen Grundeinkommen.
Sven Giegold,
Grünen-Europaabgeordneter und Mitbegründer von Attac in Deutschland
"Abrissbirne des Sozialstaats"

Was zunächst großzügig erscheint, kann vielmehr zur Abrissbirne des Sozialstaats werden. Es ist ungerecht, wenn jeder bedingungslos staatliche Leistungen bezieht, ohne zunächst selbst Verantwortung übernehmen zu müssen.
Wer Vermögen hat, sollte zunächst sich selbst und seine Familie unterstützen. Wer etwa wegen Krankheit, Behinderung oder Arbeitslosigkeit nicht für seinen Lebensunterhalt sorgen kann, verdient mehr Unterstützung der Gemeinschaft als diejenigen, die das einfach nicht möchten.
Alle mit einem Grundeinkommen, von dem man leben kann, gleich zu behandeln, führt zu unfinanzierbar hohen Kosten. Dagegen löst ein Grundeinkommen, von dem man nicht leben kann, seine Versprechen nicht ein. Alle Hilfsbedürftigen müssen weiter durch die staatliche Bedürftigkeitsprüfung und erleben keine Befreiung.
Die Mehrkosten des Grundeinkommens gegenüber einer guten Grundsicherung sind genau die Mittel, die wir für Gemeinschaftsgüter für alle brauchen: Investitionen in gute Kinderbetreuung, Schule, Hochschule, Sozialarbeit und öffentliche Verkehrsinfrastruktur sind das Gebot der Stunde.
Diese Gemeinschaftsgüter für alle nach skandinavischem Vorbild sind aber der Schlüssel für ein Sozialstaatsmodell, das Teilhabechancen bietet und breite politische Zustimmung findet. Wenn die Gemeinschaftsgüter durch gerechte Steuern finanziert werden, ist das moderne Politik für mehr soziale Gleichheit.