Handelsnetz unter chinesischer Kontrolle Europa verschläft die "Neue Seidenstraße"

Ein weltweites Netz aus Häfen, Autobahnen und Eisenbahnlinien: Chinas Präsident Xi will Südeuropa in sein Projekt einer "Neuen Seidenstraße" einbinden. Deutschland und Frankreich sind empört - und schauen tatenlos zu.
Triest in Italien: Ein Schiff, das aus China kommt und über den Suez-Kanal fährt, spart fünf Reisetage

Triest in Italien: Ein Schiff, das aus China kommt und über den Suez-Kanal fährt, spart fünf Reisetage

Foto: Getty Images/ iStockphoto

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat gut reden: "Wir wollen eine Seidenstraße, die in beide Richtungen führt", sagte Macron am Montag beim Staatsbesuch des chinesischen Staats- und Parteichefs Xi Jinping im Pariser Élysée-Palast. Doch was er nicht sagte: Wie will er für Gegenverkehr sorgen? Etwa den Chinesen nacheifern und europäische Häfen in Asien bauen?

Die Europäer haben ein Problem. Bisher verbanden sie den exotischen Begriff der Seidenstraße mit antikem Stoffhandel und der berühmten Reise des Venezianers Macro Polos nach China. Doch plötzlich beginnt die Seidenstraße vor ihrer Tür: demnächst in Triest und Genua.

Xi hatte nämlich vor Paris schon Rom besucht - und dort mit der italienischen Regierung die Teilnahme am inzwischen sechs Jahre alten chinesischen Seidenstraßen-Projekt vereinbart. Dafür werden die Chinesen nun die Häfen von Triest und Genua ausbauen. Es lohnt sich nämlich: Ein Schiff, das aus China kommt und über den Suez-Kanal fährt, spart fünf Reisetage, wenn es in Triest oder Genua statt in Hamburg oder Rotterdam anlegt.

"Triest wird damit Konkurrent für die Häfen in Nordeuropa werden, weshalb Deutschland unsere Vereinbarungen kritisiert", sagte Sergio Razeto, Chef des führenden italienischen Unternehmerverbands Confindustria in der Region Venedig, der französischen Zeitung "Le Monde". Und der deutsche Außenminister Heiko Maas gab Razeto prompt recht, als er den Italienern "schneller als gedacht einen bitteren Beigeschmack" beim Geschäft mit China prophezeite. Denn, so Maas in der "Welt am Sonntag" , China verfolge seine Interessen "beinhart".

Meinte er etwa, die Italiener seien zu weich für die harten Geschäfte auf der Seidenstraße? Nun, Maas und Macron wissen offenbar selbst nicht, wie sie auf dieser Straße fahren können.

Das chinesische Projekt ist längst weltbekannt. Auf Englisch nennt es sich Belt and Road Initiative (BRI). Bislang wurden dafür weltweit Kredite in Höhe von mehr als 200 Milliarden Dollar vergeben. Experten glauben, die Summe könne sich in den kommenden zehn Jahren verfünffachen. Das Projekt ist eng mit dem Namen Xis verbunden, der es gleich nach seinem Machtantritt im Jahr 2013 ins Leben rief. China will damit seine durch jahrelange Handelsüberschüsse erwirtschafteten Devisenreserven zurück ins Ausland pumpen - um ein weltweites Handelsnetz unter chinesischer Kontrolle spannen.

Foto: DER SPIEGEL

Erst baute man Straßen und Häfen in Pakistan, wo früher einst tatsächlich die Seidenstraße verlief. Inzwischen aber zählen die Chinesen auch ihre Infrastruktur-Investitionen in Afrika zum Seidenstraßen-Projekt. Obwohl früher niemand Seide aus China in Afrika verkaufte.

International ist das Projekt längst in die Kritik geraten. Das böse Beispiel heißt Sri Lanka, wo China so viel investierte, dass sich das kleine, arme Land heute in finanzieller Abhängigkeit von Peking befindet. Andere wissen sich zu wehren: Malaysias 93-jähriger Premierminister Dr. Mahathir erregte vergangenen Sommer weltweites Aufsehen, als er auf Besuch in Peking weitere Kredite im Rahmen des Projekts ablehnte, um die Unabhängigkeit seines Landes von China zu bewahren. Doch ist mit dem chinesischen Hafenbau in Italien auch schon Europas Unabhängigkeit in Gefahr?

Der Hafenchef in Triest verneint. "Hier gibt es Türken, Dänen und Ungarn. Auch die Chinesen werden den Hafen nicht kontrollieren", sagte der Chef des staatlich geführten Hafens von Triest, Zeno D'Agostino, der französischen Zeitung "Le Monde".

Doch die Sorge in Europa ist groß. Schon baut die staatliche "China Road and Bridge Cooperation" eine Autobahn in Montenegro, von der Adriaküste bis nach Serbien. Früher scheiterte ein kroatisches Baukonsortium an dem anspruchsvollen Straßenprojekt durch Täler und Gebirge. Zwischendurch setzte sich die Europäische Investitionsbank für die Autobahn ein. Aber am Ende machen es heute die Chinesen, mit vielen eigenen Bauarbeitern vor Ort. Sieht so die zukünftige Infrastruktur-Entwicklung Europas aus?

"China hat mit seiner sogenannten neuen Seidenstraße eines der wichtigsten geopolitischen Konzepte der letzten Jahrzehnte vorgelegt", sagte Macron in einer außenpolitischen Grundsatzrede vor den französischen Botschaftern aus aller Welt im vergangenen August. "Wir können nicht mehr so tun, als gäbe es das nicht", warnte er. "Wir dürfen auch keiner Faszination erliegen. Es handelt sich um eine Vision der Globalisierung, die in einigen Regionen den Vorteil hat, für Stabilität zu sorgen, die aber hegemonistisch ist."

Müssten nun also Franzosen und Deutsche Häfen und Autobahnen in Südeuropa bauen, um Chinas Hegemonial-Strategie abzuwehren? Ernsthaft stellt sich in Paris und Berlin wohl niemand diese Frage. "Es ist eine gute Sache. Die europäischen Länder konkurrieren um chinesische Investitionen", kommentierte der ehemalige italienische Premierminister und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi in der "New York Times" den China-Deal seiner populistischen Nachfolger in Rom.

An diesem Dienstag trifft auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in Paris auf Xi und Macron. Doch spätestens nach Xis Rückkehr nach China dürften Deutschland und Frankreich die neue Seidenstraße schnell wieder von der Tagesordnung streichen. Das Projekt hat zu viel mit Europas eigenen Versäumnissen zu tun.

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