Selbstanzeigen-Boom zum Jahreswechsel Die Last-Minute-Reue der Steuersünder

"Wie in der Notaufnahme": Steueranwälte berichten von einer Selbstanzeigen-Flut zum Jahreswechsel. Die Steuersünder wollen den strengeren Regeln zuvorkommen, die ab 2015 gelten. Stirbt jetzt das Instrument Selbstanzeige?
Geschäftsmann mit Aktentasche (Archiv): Viele Selbstanzeigen zum Jahresende

Geschäftsmann mit Aktentasche (Archiv): Viele Selbstanzeigen zum Jahresende

Foto: Corbis

Hamburg - Seit rund zwei Wochen wissen Steuersünder, dass die Zeiten für sie definitiv härter werden. Mitte Dezember billigte der Bundesrat ein Gesetz, das die Regeln für strafbefreiende Selbstanzeigen drastisch verschärft. Zum Jahreswechsel sind die neuen Regeln in Kraft getreten - und haben Steueranwälten einen heißen Jahresausklang beschert.

"In den letzten Wochen war hier so viel Andrang, dass wir Mandanten ablehnen mussten, es war wie in der Notaufnahme", berichtet Franz Bielefeld, Steuerrechstanwalt und Partner bei der Münchener Kanzlei Baker Tilly Roelfs. "Bei dem Schnee in Bayern hatten wir Sorge, dass wir die Selbstanzeigen nicht mehr zu den Finanzämtern bringen."

Auch andere von SPIEGEL ONLINE befragte Kanzleien berichten von einem Boom der Selbstanzeigen in den letzten Dezembertagen: Die reuigen Steuersünder wollten unbedingt noch die alten, für sie günstigen Regeln nutzen.

Doch zugleich prophezeien die Anwälte, dass die Selbstanzeige nach diesem Dezemberfieber faktisch tot sein wird. "Ich gehe davon aus, dass der Zustrom an Selbstanzeigen mit dem Jahreswechsel abreißen wird", sagt Oliver Sahan, Wirtschaftsstrafverteidiger bei Roxin Rechtsanwälte in Hamburg.

Die Selbstanzeige sei einst als "Goldene Brücke" konstruiert worden, um dem Steuersünder den Weg zurück in die Ehrlichkeit zu ermöglichen. Sahan: "Die ab heute geltende Ausgestaltung der Selbstanzeige gleicht bestenfalls noch einem morschen Holzsteg über die Schlucht der Strafbarkeit. Das Risiko des Absturzes ist nun ungleich höher. Von einem Anreiz kann kaum noch gesprochen werden."

Bislang ein günstiger Weg zurück in die Ehrlichkeit

Bislang war die Selbstanzeige ein ziemlich günstiger Weg, um als Steuerhinterzieher den Weg zurück in die Ehrlichkeit zu finden. Lediglich die Steuern der zurückliegenden fünf Jahre mussten nachdeklariert werden. Doch nun sind die Regeln deutlich strenger:

  • Wer mehr als 25.000 Euro hinterzogen hat, muss Strafzuschläge entrichten, die je nach Summe zwischen zehn und 20 Prozent der hinterzogenen Summe betragen. Bislang waren es ab 50.000 Euro fünf Prozent Zuschlag.
  • Hinzu kommen wie bisher Säumniszinsen von sechs Prozent pro Jahr.
  • Vor allem aber müssen für eine Strafbefreiung nun die zurückliegenden zehn Jahre korrekt nachdeklariert werden. Jeder Fehler macht die Selbstanzeige unwirksam.

"Selbstanzeigen werden nach dem neuen Recht für Normalsterbliche fast unbezahlbar", sagt Anwalt Bielefeld. Außerdem gebe es bei der Selbstanzeige nun ein erheblich gestiegenes Fehlerrisiko: "Wer sich heute traut, seine steuerlichen Fehltritte der letzten zehn Jahre vollständig durchdeklinieren zu können, braucht ein phänomenales Gedächtnis."

Innerhalb eines Jahres hat sich die Lage bei den Selbstanzeigen damit praktisch umgekehrt. 2013 waren viele Steuersünder aufgeschreckt worden durch den Ankauf von Daten-CDs, durch den spektakulären Steuerfall Uli Hoeneß und auch durch die neue Geschäftspolitik Schweizer Banken, die deutsche Kunden inzwischen massiv zur Steuerehrlichkeit drängen. Doch viele Hinterzieher warteten mit der Abgabe der Selbstanzeige bewusst bis zum Januar 2014, um so noch ein weiteres Jahr unter die Verjährung fallen zu lassen.

So wurde 2014 zu einem Rekordjahr. Mehr als 35.000 Selbstanzeigen waren bis Dezember bereits bei den Behörden eingegangen, wie aus einer Umfrage der "Welt am Sonntag" unter den 16 Länderfinanzministerien hervorgeht. Der Jahresendboom ist in diesen Zahlen noch nicht einmal enthalten. Im Gesamtjahr 2013 hatten sich rund 24.000 Steuerbetrüger gemeldet, auch das war bereits ein Rekord gewesen.

Nun also das umgekehrte Bild: Selbstanzeigen-Flut bis Silvester, Ebbe seit Neujahr.

Sollte sich die Prognose der Steueranwälte bewahrheiten und die Zahl der Selbstanzeigen dauerhaft einbrechen, hätten sich die Finanzbehörden mit der Verschärfung womöglich einen Bärendienst erwiesen. Trotz Strafzuschlägen und längerer Frist zur Nachdeklarierung könnte dann am Ende weniger Geld aus Selbstanzeigen in der Steuerkasse landen als bisher.

Allerdings geht es bei den Regeln zur Selbstanzeige nicht nur um die Optimierung von Steuereinnahmen für den Staat, sondern auch um Gerechtigkeit. Bislang kamen langjährige Steuerhinterzieher, die sich anzeigten, oft billiger davon als Bürger, die ihre Steuern von Anfang an ordnungsgemäß entrichtet hatten.

Der Ehrliche war in diesem Fall tatsächlich der Dumme.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten