Mehr Zeit für die Kinder Deutschlands neue Väter

Sigmar Gabriel will beides: als Vizekanzler erfolgreich sein und einmal pro Woche seine Tochter von der Kita abholen. Damit wird er zum prominenten Vorreiter einer wachsenden Gruppe von Vätern, die ihr Familienleben nicht mehr komplett dem Beruf unterwerfen.
Gabriel beim Kita-Besuch (Archivbild): Einmal die Woche muss er selbst ran

Gabriel beim Kita-Besuch (Archivbild): Einmal die Woche muss er selbst ran

Foto: Ronald Wittek/ picture alliance / dpa

Hamburg - Kind und Karriere - diese Doppelbelastung gab es früher höchstens für einige ambitionierte Frauen. Väter hatten zwar auch oft beides, doch zumindest fünf Tage die Woche fühlten sie sich ausschließlich für das berufliche Fortkommen zuständig. Papa waren sie höchstens am Wochenende.

Dieses Selbstverständnis befindet sich mittlerweile in einem rasanten Wandel. Zwar arbeiten immer noch mehr als 90 Prozent der erwerbstätigen Väter Vollzeit. Doch der Wunsch nach mehr Zeit mit der Familie ist groß. Schon vor einem Jahr gaben in einer repräsentativen Umfrage 91 Prozent der Väter an, auch unter der Woche mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen zu wollen. Und immer mehr schaffen es auch, diesen Wunsch zu verwirklichen.

Das jüngste Beispiel dafür, dass man sich auch in einer Führungsposition Zeit für seine Kinder nehmen kann, ist Sigmar Gabriel. Der 54-Jährige hat im Job nicht gerade wenig zu tun: Er ist SPD-Chef und seit kurzem auch Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler - doch er ist eben auch Vater einer zweijährigen Tochter. Und die wolle er weiterhin einen Tag pro Woche aus der Kita abholen, sagte er jetzt der "Bild"-Zeitung. Seine Frau ist berufstätig, mittwochs sei deshalb er mit dem Abholen dran. So einfach ist das.

Natürlich ist es nicht so einfach. Natürlich ist Gabriels Vorstoß auch eine PR-Aktion. Und natürlich wird es bei ihm Mittwochnachmittage geben, an denen er zu irgendeinem Krisentreffen muss und seine Tochter nicht abholen kann - oder solche, an denen er die meiste Zeit am Smartphone hängt, während seine Tochter darauf wartet, dass er endlich mit ihr spielt. Doch Gabriel scheint zumindest den Vorsatz zu haben, dass es regelmäßig klappt mit der Politikpause.

Das "Wickelvolontariat" wird beliebter

Der SPD-Chef ist nicht der einzige prominente Karrieremann, der mehr Zeit für seine Kinder will. Einen deutlich drastischeren Schritt als Gabriel hat gerade Jörg Asmussen beschlossen: Er war der einflussreichste Deutsche im Führungsgremium der Europäischen Zentralbank in Frankfurt - und gibt diesen Job nun auf, um nach Berlin zurückzukehren. Dort wird er als Staatssekretär im Arbeitsministerium arbeiten. Nicht gerade der schillerndste Job und auch nicht der bestdotierte: Pro Jahr wird Asmussen auf 150.000 Euro verzichten müssen.

Er tue es für die Familie, sagt er, um mehr bei seinen beiden fünf und sechs Jahre alten Töchtern zu sein, die in Berlin leben. Und das muss man ihm wohl so glauben. "Mir ist das total wurscht, ob mich andere für ein Vorbild oder für einen Vollidioten halten", sagte Asmussen dem "Stern".

Tatsächlich stehen Gabriel und Asmussen für eine zunehmende Zahl männlicher Führungskräfte, für die Zeit mit der Familie nicht mehr bloß fehlende Arbeitszeit bedeutet. Immer mehr Väter legen sich ihre Termine so, dass sie ihre Kinder möglichst oft sehen. Und wenn der Laternenumzug der Kita ansteht, nimmt man sich auch schon mal einen ganzen Nachmittag frei.

Wie stark der Drang ist, mehr von den Kindern zu haben, zeigt sich mittlerweile bei der Elternzeit. Einst von konservativen Politikern als "Wickelvolontariat" verspottet, wird das Angebot mittlerweile von 27 Prozent aller Väter angenommen, Tendenz steigend.

Die Politik fördert Teilzeitarbeit

Auch Teilzeitarbeit ist für Väter zunehmend eine Option. Zwar sind bundesweit bisher nur 20 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten männlich, doch die Zahl steigt rasant und hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt.

Die Politik will diese Entwicklung fördern. "Wir brauchen eine neue Arbeitskultur", fordert SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles. Vollzeit müsse neu definiert werden.

Tatsächlich sind im Koalitionsvertrag gleich mehrere Verbesserungen für teilzeitarbeitende Eltern vorgesehen. Wer wegen der Kinderbetreuung von Vollzeit auf Teilzeit wechselt, soll die Möglichkeit bekommen, seine Stunden später wieder aufzustocken. So soll auch Vätern die Angst davor genommen werden, dass sich der Weg in die Teilzeit als Sackgasse entpuppt. Zudem ist beim Elterngeld ein Zuschlag von zehn Prozent geplant, wenn Mutter und Vater ihre Arbeitszeit auf 25 bis 30 Stunden pro Woche reduzieren.

Bei vielen Unternehmen haben es Väter freilich immer noch schwer, mit Teilzeit- oder Elternzeitwünschen durchzukommen. Gerade kleine und mittelständische Betriebe verzichten nur ungern auf die meist wenigen Fachkräfte, die sie haben. Großkonzerne dagegen setzen zunehmend auf die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Ergo-Versicherung etwa hat gerade ein Projekt zum Thema "Führung in Teilzeit" gestartet, das es Vätern ermöglicht, Urlaubs- und Weihnachtsgeld ganz oder teilweise in zusätzlichen Urlaub umzuwandeln.

Bei der Lufthansa sieht man die beruflichen Auszeiten sogar als potentiellen Vorteil für Unternehmen: "Eine aktive Vaterrolle zu übernehmen, fördert oft soziale und emotionale Kompetenz", sagte Personalchefin Bettina Volkens jüngst dem SPIEGEL. "Diese Eigenschaften sind auch im beruflichen Umfeld und für uns als Unternehmen wichtig."

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