Skandal um geklaute Bankdaten "Die Schweiz steht mit dem Rücken zur Wand"

In der Schweiz ist die Empörung über die deutsche Regierung und den Kauf illegaler Steuerdaten groß - was den sozialdemokratischen Wirtschaftsexperten Rudolf Strahm nicht erstaunt. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärt er, warum es dem Land so schwerfällt, sich vom Bankgeheimnis zu lösen und welche Aggressionen dieser Abschied auslöst.

SPIEGEL ONLINE: Herr Strahm, viele Schweizer sind empört über die Entscheidung der deutschen Bundesregierung, aus Schweizer Banken entwendete Bankdaten zur Strafverfolgung von deutschen Steuerhinterziehern zu nutzen. Sie auch?

Strahm: Dieser Datenklau hat eine unschöne Seite. Aber ich habe auch Verständnis für das deutsche Vorgehen, diese Daten zu verwenden. Die Schweizer Praxis zwingt ja Deutschland und andere Staaten geradezu dazu, mit solchen gestohlenen Daten zu arbeiten, wenn sie gegen Steuerhinterzieher vorgehen wollen. Denn die Schweiz hat bisher in Fällen von Steuerhinterziehung dem Ausland keine Amtshilfe geleistet. Und bei Steuerbetrug verlangte sie eine umfassende Verdachtsbegründung. Diese Praxis gilt immer noch, erst in Zukunft, mit den neuen Doppelbesteuerungsabkommen, soll diese spitzfindige Unterscheidung in Steuerhinterziehung und Steuerbetrug aufgehoben werden.

SPIEGEL ONLINE: Wie erklären Sie sich dann die große Empörung über das deutsche Vorgehen in der Schweiz? Politiker der rechtspopulistischen SVP, aber auch der bürgerlichen Mitte, sprachen von "Kriegserklärung", "Hehlerei" und "Bankraub".

Strahm: Die bürgerliche Elite der Schweiz befindet sich in einem schmerzhaften Anpassungsprozess an die neue Realität. Dabei entstehen halt Aggressionen. Das Bankgeheimnis wurde von dieser Elite jahrzehntelang als Mythos gepflegt und mit der Schweizer Identität verschmolzen, es galt als wesentlicher Teil des Schweizer Sonderfalls. Dadurch entstand eine kulturelle Dominanz der Bankenlobby, die das Denken in dieser Frage gewissermaßen kolonialisiert hat.

SPIEGEL ONLINE: Weil die Banken die Schweiz reich gemacht haben?

Strahm: Die Banken sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Aber die Bedeutung des Bankgeheimnisses wird massiv überschätzt. Die Schweiz ist in Wahrheit nicht einfach wegen der Banken so reich, sondern wegen der starken Verankerung der Industrie- und Dienstleistungsfirmen, in denen dank eines guten Berufsbildungssystems teure Präzisionsarbeit geleistet wird. Die Banken hatten vor der Krise einen Anteil von neun Prozent an der Gesamtwirtschaftsleistung der Schweiz. Nur 3,2 Prozent aller Beschäftigten arbeiten bei Banken. Und von den 330 registrierten Banken in der Schweiz sind nur 30 bis 40 in der aktiven Akquisition ausländischer Privatkundengelder tätig, darunter die beiden Großbanken UBS und Credit Suisse, die 14 Privatbanken und etwa zwei Dutzend Niederlassungen ausländischer Banken.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt, es fällt den Schweizern nicht aus wirtschaftlichen Gründen schwer, das Bankgeheimnis abzuschaffen, sondern es geht vielmehr um eine Frage der Identität?

Strahm: Es ist ein Mythos und der ist eng verbunden mit dem Bild, das die Schweiz im Zweiten Weltkrieg von sich selbst entworfen hat: als abgeschotteter, neutraler Sonderfall. Deswegen fällt es der Schweiz so schwer, sich davon zu lösen. Sie hat das Bankgeheimnis zwar in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gelockert, aber stets nur auf Druck des Auslands. Schon in den siebziger Jahren musste es erstmals für die Verfolgung von organisierter Kriminalität gelockert werden, auf Druck der USA. In den Achtzigern musste die Gesetzgebung gegen Geldwäscherei verschärft werden, in den Neunzigern folgte der amerikanische Druck wegen der nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern, dann das sogenannte Qualified Intermediary-Abkommen mit den USA, schließlich das Betrugsabkommen mit der Europäischen Union. Aber die bürgerliche Elite hat das nie aus eigener Kraft geschafft.

SPIEGEL ONLINE: Der Schweizer Finanzminister Hans-Rudolf Merz hat das Vorgehen der Deutschen kritisiert, und angekündigt, auf Basis der gestohlenen Daten keine Amtshilfe zu leisten.

Strahm: Finanzminister Merz hat schon alles Mögliche angedroht. Wir Schweizer nehmen seine Aussagen nicht besonders ernst. Merz kennt diese Daten ja gar nicht. Falls sie ausreichen, um in Deutschland ein Verfahren einzuleiten, braucht die deutsche Regierung gar keine Schweizer Amtshilfe. Und falls sie reichen, um einen Verdacht zu begründen, wird die Schweiz wohl Amtshilfe leisten müssen, zumal auch bei uns die Rechtslage in dieser Frage unklar ist. Das sind rhetorische Sprechblasen im taktischen Pokerspiel der Politik.

SPIEGEL ONLINE: Was kann die Schweizer Regierung überhaupt tun?

Strahm: Die Macht des Bundesrats ist begrenzt, und das verstehen viele im europäischen Ausland nicht: Es nützt gar nichts, Druck auf die Schweizer Regierung auszuüben. Selbst wenn sie es wollte, hat sie gar nicht die Kraft, gegenüber dem Parlament und den Lobbys entscheidende Änderungen durchzusetzen. Die USA haben das begriffen, und sie waren viel geschmeidiger und effizienter: Sie haben öffentlich die Schweizer Regierung gelobt und sich in den USA die UBS direkt vorgeknöpft und ihr mit Klage und Suspendierung an der Börse gedroht. Es ist nachgewiesen: Wo die Schweiz bisher gegenüber den USA mit der Lieferung von Bankkundendaten nachgegeben hat, geschah das auf Begehren der UBS in Bern. Wer sich einen mächtigen Player der Privatwirtschaft vorknöpft, kann bei uns viel mehr erreichen, als wenn er diplomatischen Druck auf die Regierung ausübt.

"Natürlich gibt es in der Schweiz eine starke Tendenz zum Deutschland-Bashing"

SPIEGEL ONLINE: In der Schweiz gibt es starke antideutsche Reflexe, wäre es da nicht sogar kontraproduktiv, wenn Deutschland die Muskeln spielen ließe? Und haben die USA nicht einfach viel mehr politisches Gewicht als etwa Deutschland?

Strahm: Natürlich gibt es in der Schweiz eine starke Tendenz zum Deutschland-Bashing. Der Schweizer Privatbankier Konrad Hummler, Mitinhaber der Bank Wegelin, hat vor nicht allzu langer Zeit gesagt, Deutschland sei ein Räuberstaat, und die Deutschen hätten ein Recht, ihr Geld vor ihm in der Schweiz in Sicherheit zu bringen. Aber Deutschland hat bei uns nicht weniger politisches Gewicht als die USA. Der Warenverkehr zwischen Deutschland und der Schweiz ist viermal so groß wie zwischen den USA und der Schweiz. Der französisch sprechende Innenminister Didier Burkhalter signalisierte sehr deutlich und warnend, die Schweiz sei auf Deutschland angewiesen.

SPIEGEL ONLINE: Selbst in der schweizerischen Regierung und in der wirtschaftsfreundlichen FDP gibt es nun offenbar Stimmen, die die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und -betrug ganz aufheben möchten. Stünde damit das Bankgeheimnis endgültig vor dem Aus?

Strahm: Es geht langsam voran. Wir haben einen Finanzminister, Hans-Rudolf Merz, der früher bei der UBS gearbeitet hat. Und der Verwaltungsratspräsident der UBS ist umgekehrt ein ehemaliger Finanzminister. Der Direktor der Finanzmarktaufsichtsbehörde war früher bei der UBS. Da sind viele alte Seilschaften. In langjähriger Kenntnis unseres Finanzministers glaube ich nicht, dass er noch die Kraft für einen wirklichen Wechsel aufbringt. Im schweizerischen Bundesrat gibt es aber Mitglieder, die anderer Meinung sind, und die werden sich irgendwann schon durchsetzen.

SPIEGEL ONLINE: Wer könnte denn die Führung übernehmen?

Strahm: Als die Schweiz 1997 in einer großen Krise steckte wegen der Kontroverse um nachrichtenlose Vermögen von Holocaust-Opfern, war es der damalige Chef der Credit Suisse, Rainer E. Gut, der einsah, dass die Schweiz gegenüber den USA nachgeben muss. Wie gesagt: Einige der großen Veränderungen gingen bisher von den Banken selbst aus, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals stand.

SPIEGEL ONLINE: Befürchten Sie, dass angesichts der momentanen Stimmung das neue Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland in einer Volksabstimmung abgelehnt werden könnte?

Strahm: Das ist möglich. Deswegen ist es klüger, nicht das Abkommen mit Deutschland als erstes vor das Volk zu bringen, sondern ein anderes, beispielsweise das mit den USA.

SPIEGEL ONLINE: In Deutschland nimmt man zunehmend schärfere Töne aus der Schweiz wahr: Im Zusammenhang mit der gestohlenen Daten-CD gab es aus der SVP sogar Drohungen gegen in der Schweiz lebende Deutsche. Wie erklären Sie sich diese zunehmende Verschlechterung des Verhältnisses zwischen den beiden Staaten?

Strahm: Bisher waren die Buhmänner in der Schweiz Peer Steinbrück und Franz Müntefering. Die Elite triumphierte, als die deutschen Sozialdemokraten abgewählt wurden. Schweizer Bankiers sind nach dem Regierungswechsel nach Deutschland gereist und haben versucht, Einfluss auszuüben, in der Hoffnung, es werde alles so weitergehen wie bisher. Aber jetzt kommt es anders. Die bürgerliche Regierung Deutschlands macht, was wohl jede Regierung machen würde: Sie verteidigt ihre Interessen und jene der Staatskasse.

SPIEGEL ONLINE: Kann die Schweiz sich wirklich weiterhin dem Druck aus dem Ausland widersetzen?

Strahm: Wir liegen derzeit mit so vielen Staaten in Sachen Steuerflucht im Streit: Mit den USA, mit Italien, mit Frankreich, mit Deutschland. Ich gehe davon aus, dass sich auch Brüssel bald einschalten wird. Die Schweiz steht mit dem Rücken zur Wand und wir haben im Moment eine schwache Führung. Das Image des Landes in der Welt leidet jeden Tag mehr. Doch in der Bevölkerung und in Teilen der bürgerlichen Elite findet schon ein Umdenken statt.

SPIEGEL ONLINE: Wie kommt es eigentlich, dass in der Schweiz die moralische Entrüstung über den Kauf gestohlener Daten durch die deutsche Regierung so groß ist, dass es in der Schweiz aber kaum moralische Entrüstung gibt über den Schutz ausländischer Steuerhinterzieher durch das Bankgeheimnis?

Strahm: Dieses verdrehte Unrechtsverständnis ist ein Symptom der gewaltigen Überhöhung des Mythos Bankgeheimnis. Aber nicht die ganze Schweiz sieht das so! Die Sozialdemokraten vertreten seit 1978 die Position, dass das Bankgeheimnis zum Persönlichkeitsschutz zwar zu erhalten ist, aber dass es nicht gegenüber der Steuerbehörde gelten darf, um Steuerhinterziehung zu schützen. Ich hatte mich schon damals persönlich sehr stark für diese Korrektur eingesetzt.

SPIEGEL ONLINE: Unterstützt die Schweizer Bevölkerung das Bankgeheimnis wirklich immer noch?

Strahm: Die Schweizer Bevölkerung reagiert zwiespältig. In Umfragen befürworten zwar 60 bis 70 Prozent das schweizerische Bankgeheimnis, aber wenn man sie fragt, ob sie dafür sind, ausländische Steuerflüchtlinge zu schützen, sind 70 bis 80 Prozent dagegen. Eine große Mehrheit ist heute für die Bekämpfung der Steuerflucht aus dem Ausland. Am Biertisch ist die Meinung: Diese reichen Steuerflüchtlinge wollen wir nicht bei uns.

Das Interview führte Mathieu von Rohr
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