Solarförderung Umweltrat der Regierung meutert gegen Röttgen

Umweltminister Röttgen: "Absolute Obergrenze für die Förderung"
Foto: Federico Gambarini/ dpaHamburg - Das Gutachten ist so dick wie ein Roman von Frank Schätzing - und fast genauso dramatisch: "Wege zur 100 Prozent " heißt die 680-Seiten-Schrift, die der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) am Mittwoch an Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) überreichen wird.
Der SRU ist neben den fünf Wirtschaftsweisen eines der höchsten Beratungsgremien der Regierung. Seine Expertise richtet sich an den Umweltminister persönlich. Das Gutachten, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, ist daher eine Kampfansage: Sie nimmt Röttgens regelrecht auseinander.
Die Solarförderung sei viel zu hoch, heißt es in dem Gutachten. Die Branche habe sämtliche Kürzungen locker weggesteckt - und wachse fast ungebremst weiter. "Die Prognosen für das Jahr 2010 übertreffen alle Ausbauerwartungen", heißt es in dem Gutachten. Während die Regierung in ihrem Nationalen Aktionsplan für erneuerbare Energien noch davon ausgehe, dass im vergangenen Jahr Anlagen mit einer Leistung von 6000 Megawatt ans Netz gegangen seien, gingen neuere Hochrechnungen von einem noch höheren Ausbau aus.
Der rasche Ausbau der Solarkapazitäten aber sei nicht kosteneffizient. Die Photovoltaik werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit "eine steile Lernkurve aufweisen", somit bestehe "großes Kostensenkungspotential". Von einem solchen geht beispielsweise die Fachzeitschrift "Photon" aus: "Die besten Hersteller, wie das Unternehmen Trina, produzieren bereits Solarmodule zu einem Dollar je Watt", sagt Bernd Schüßler, Sprecher der Zeitschrift. Die Preise für die Erzeugungung von Sonnenstrom dürften also rasch sinken.
"Förderung drastisch drosseln"
Nur Deutschland hat davon kaum etwas: Weil die Regierung die Branche übermäßig fördert, gehen schon jetzt massenweise Anlagen ans Netz, ehe die Kosten sinken. Und deren Stromerzeugung muss teuer subventioniert werden.
Die Rechnung begleichen die Verbraucher. Die Zuschläge für Ökostrom sind 2010 um 75 Prozent gestiegen - auf gut 3,5 Cent pro Kilowattstunde. "Der Photovoltaik-Boom ist ein Hauptgrund für diese Erhöhung", heißt es in dem Gutachten. Allein die Unterstützung für Solaranlagen mache 45 Prozent der gesamten Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz aus.
Das sei gleich aus zwei Gründen schlecht: Erstens gefährdeten die hohen Kosten "die Akzeptanz des gesamten Umlagesystems". Zweitens würden bei einer Fortsetzung der Photovoltaik-Förderung in ihrer derzeitigen Form die Mittel zur Förderung anderer erneuerbarer Energien fehlen, "die in Deutschland sehr viel effizienter Strom erzeugen können".
Aus diesen Überlegungen gehe hervor, "dass es unabdingbar ist, die Förderung der Photovoltaik in den nächsten Jahren drastisch zu drosseln", heißt es in dem Gutachten. "Die gesellschaftlichen Kosten sinken umso mehr, je später die Anlagen errichtet werden."
"Absolute Obergrenze für die Förderung"
Zum Teil ist diese Botschaft auch in der Branche selbst angekommen. So haben der Verband BSW Solar und das Umweltministerium gerade einen Kompromiss ausgehandelt, um den Ausbau zu begrenzen. Demnach sollen die Vergütungen, die Betreiber von Sonnenstromanlagen erhalten, zum 1. Juli um bis zu 15 Prozent abgesenkt werden.
Der SRU dagegen plädiert für eine noch viel dramatischere Maßnahme: Die Regierung müsse "eine absolute Obergrenze für die Förderung von Photovoltaik-Kapazitäten pro Jahr" festlegen, einen sogenannten Deckel. Die mögliche Spitzenleistung jeder neu angemeldeten Solaranlage müsste dann registriert werden - sobald die Anlagen in Deutschland eine bestimmte Leistung überschreiten, würde der Fördertopf geschlossen. Geld gäbe es dann erst wieder ein Jahr später.
Den Deckel will der SRU offenbar recht niedrig ansetzen. Die Solar-Ausbauziele der Bundesregierung jedenfalls seien "nicht zu vertreten", schreiben die Experten. Das Umweltministerium plädiert dafür, dass jährlich Anlagen mit einer Leistung von 2500 bis 3500 Megawatt ans Netz gehen. Das aber sei selbst dann nicht kosteneffizient, wenn man davon ausginge, dass die Nachfrage nach Strom in den kommenden Jahren drastisch steigt, heißt es in dem Gutachten. Beim jetzigen Ausbautempo "würde 2020 schon ungefähr die Hälfte der Kapazitäten installiert sein, die in einer 100 Prozent erneuerbaren Stromversorgung in 2050 maximal benötigt werden würden".
Die konkrete Höhe des Deckels festzulegen sei Sache der Regierung, schreiben die Experten. In einer Grafik geben sie allerdings einen Hinweis, was sie selbst als sinnvoll erachten: In ihrem eigenen Szenario ist bis 2020 ein Ausbau von jährlich 1000 Megawatt vorgesehen. Das wäre deutlich weniger als der prognostizierte Wert für 2010.