Israelis in Berliner Start-ups Willkommen im Land des Feierabends
Amir Friedman und Avigail Argov haben mehrere Jahre in Tel Avis weltbekannter Start-up-Szene gearbeitet. Anschließend wollte das junge israelische Paar Auslandserfahrung sammeln. Als IT-Spezialisten konnten sie es sich aussuchen, wo sie sich nach Jobs umsehen - Silicon Valley, Seattle oder Toronto? Sie entschieden sich für Berlin.
Friedman und Argov hatten vor ihrem Umzug schon einmal Berlin besucht. Die Stadt hatte es ihnen angetan. Argov und Friedman sind Trendsetter: Seit sie vor zwei Jahren den Schritt nach Berlin gewagt haben, sind ihnen viele Israelis gefolgt. Nach Schätzungen leben derzeit zwischen 20.000 und 40.000 Israelis in Berlin. Selbst manche israelischen Gründer ziehen es bereits vor, ihr Start-up in der deutschen Hauptstadt hochzuziehen statt in Tel Aviv.
"Berlin ist die Stadt der Träume für viele junge Israelis"
Dabei sind die Bedingungen in Israel für Gründer im Durchschnitt besser: Nicht umsonst gilt das Land als "Start-up-Nation". Im internationalen Ranking von "Startup Genome", einer Plattform von Gründern und Forschern, steht Tel Avis Tech-Branche auf Platz zwei - übertroffen nur vom kalifornischen Silicon Valley. Berlin nimmt einen respektablen 15. Platz ein, steht damit allerdings hinter der europäischen Konkurrenz in London und Paris. Für Berlin spricht vor allem die Anziehungskraft der Stadt.
"Berlin ist im Moment die Stadt der Träume für viele junge Israelis", sagt Gregor Schlosser von der deutsch-israelischen Industrie- und Handelskammer (AHK-Israel). "Es gilt als Zwillingsstadt von Tel Aviv: frei, liberal, 'anything goes'. Es gilt als Ort, an dem man den politischen Ballast hinter sich lassen kann." Für viele Israelis war 2014 ein zermürbendes Jahr: keine Fortschritte im Nahost-Konflikt, dafür ein weiterer Gaza-Krieg. Berlin hat den Vorteil, weg zu sein, aber nicht zu weit weg - vier Stunden Flug und nur eine Stunde Zeitverschiebung.
Die AHK-Israel hat diesen Trend erkannt und hofft, davon zu profitieren. Sie hat dieses Jahr das Forum "Betatec" geschaffen, das sich an die IT-Gründerszene von Berlin und Tel Aviv richtet. "Wir wollen die noch junge aber aufstrebende Start-up-Szene Berlins mit der schon etablierten in Israel zusammenbringen", sagt Gregor Schlosser.
Für Israelis und Deutsche ist es eine Win-Win-Situation: Israelische Tech-Profis zieht es nach Berlin, wo eine junge, aber aufstrebende Start-up-Szene auf sie wartet und um ihre Expertise wirbt.
"Wir stürzen uns in alles hinein, als ginge es um Leben und Tod"
Avigail Argov und Amir Friedman sind in Berlin gut angekommen. Sie arbeitet bei Crobo, das auf die Vermarktung von Spielen spezialisiert ist. Er beim Konkurrenten AppLift.
Wenn die beiden Berlins und Tel Avivs Start-up-Szene vergleichen, fallen ihnen vor allem Mentalitätsunterschiede auf, die sie zum Teil auf Israels mehrjährigen Militärdienst zurückführen. Er ist in Israel für Männer und Frauen Pflicht.
"Die israelische Start-up-Szene ist im Durchschnitt innovativer", sagt Friedman. "Viele Leute kommen direkt von ihrem Militärdienst, wo sie mit dem neusten Stand der Technik zu tun hatten. Gibt es etwas im zivilen Bereich nicht, was man vom Militär kennt, wird es eben gegründet - so entstand das Chatprogramm ICQ", sagt Friedman.
"In Deutschland ist alles strukturierter", sagt Argov. "In Israel haben wir vom Militär dieses Gefühl von Dringlichkeit. Wir stürzen uns hinein, als ginge es um Leben und Tod. In Deutschland gibt man alles - aber innerhalb vernünftiger Arbeitszeiten."
"Wenn ich um 22 Uhr in meine E-Mails schaue, ist da nichts"
Argov bekam zum Einstand von ihrer Firma einen Willkommensbrief. Darin stand, sie solle im Urlaub ihr Handy ausschalten. Sie müsse nicht immer erreichbar sein. Für sie ist das immer noch ungewohnt, auch abends. "Wenn ich um 22 Uhr in meine E-Mails schaue, ist da nichts", sagt Argov.
Auch bei der AHK-Israel hat man diese Mentalitätsunterschiede ausgemacht und will von ihnen lernen. Nächstes Jahr hilft Betatec deutschen Studenten High-Tech-Praktika in Israel zu finden und die Initiative will deutsche Gründer nach Israel einladen - "um Gründerluft zu schnuppern", sagt Gregor Schlosser.
"Die deutschen Start-ups können stark profitieren von der Mentalität, die in Israel herrscht - Machen, Ärmel hochkrempeln", erklärt Schlosser. "Davon können wir in Deutschland lernen."