Steigende Strompreise Ökoboom hebt Hartz-IV-Erhöhung auf

Die Ökorepublik wird unsozial: Durch die Förderung erneuerbarer Energien zahlen Verbraucher ab 2011 jeden Monat im Schnitt fünf Euro mehr für Strom. Die geplante Hartz-IV-Erhöhung in gleicher Höhe wird dadurch egalisiert - die Armen fördern die Solaranlagen der Reichen.
Solaranlage in Sachsen-Anhalt: Exorbitante Förderung

Solaranlage in Sachsen-Anhalt: Exorbitante Förderung

Foto: DDP

Hamburg - Die Förderung erneuerbarer Energien kommt die Verbraucher teuer zu stehen. Um 70 Prozent soll die Umlage der Stromkunden für erneuerbare Energien im kommenden Jahr steigen, von derzeit rund 2,05 Cent auf 3,5 Cent pro Kilowattstunde. Konkret bedeutet das: Ein privater Durchschnittshaushalt, der rund 4000 Kilowattstunden Strom pro Jahr verbraucht, zahlt ab 2011 gut 5,75 Euro mehr - jeden Monat. Reichen die Stromversorger den Preisanstieg komplett an die Kunden weiter, fielen dann im Monat durchschnittlich knapp 83 Euro an Kosten an, schreibt das Verbraucherportal Verivox.

Solarenergie

Hauptgrund für die Erhöhung der Umlage ist die exorbitante Anschubhilfe für die . Nach Berechnungen des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV) macht allein sie inzwischen gut 60 Prozent der gesamten Ökostromförderung aus. Und: Wer sich einmal eine Sonnenstromanlage aufs Dach baut, bekommt für die kommenden 20 Jahre einen bestimmten Fördersatz garantiert. Die Summe aller künftig anfallenden Kosten bezifferte der VZBV vor einigen Monaten auf 100 Milliarden Euro.

Und der Solarboom geht ungebremst weiter. Ende 2009 waren in Deutschland Anlagen mit rund 10.000 Megawatt installiert. 2010 kommen nach Prognosen führender Marktforscher noch mal Anlagen mit 6000 bis 10.000 Megawatt hinzu (siehe Tabelle links). Alle in Deutschland installierten Atomkraftwerke haben eine Bruttoleistung von 21.000 Megawatt. Schon Ende 2010 könnte die installierte Leistung aller Solaranlagen also fast genauso hoch sein.

Um den Solarboom einzudämmen, hat die Regierung die Fördersätze für die Einspeisung von Sonnenstrom in diesem Jahr mehrfach gesenkt. Doch Experten erwarten nicht, dass das den rapiden Ausbau bremst. Denn immer, wenn eine Förderkürzung ansteht, purzeln auf magische Weise die Preise für Solaranlagen. Ihr Kauf bleibt so auch bei geringerer Einspeisevergütung attraktiv - der Boom geht weiter.

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Grafikstrecke: Der weltweite Solarmarkt

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Das aber bedeutet: Wenn alles so weitergeht wie bisher, wird der Ökoaufschlag für Stromkunden 2011 erneut deutlich erhöht - ebenso in den Jahren darauf. Denn die Ökoumlage wird jedes Jahr am 15. Oktober an die gestiegenen Kosten der erneuerbaren Energien angepasst. Und jedes Jahr schimpfen die Verbraucher über steigende Strompreise.

Zu viel Geld für die falsche Technologie

Nun ist die Förderung der erneuerbaren Energien aus ökologischen Gesichtspunkten natürlich sinnvoll. Ebenso sinnvoll ist sie aus strukturpolitischer Sicht: Immerhin schafft der Öko-Boom neue Arbeitsplätze, und Deutschland ist bei der Entwicklung wichtiger neuer Technologien vorne mit dabei - und damit in künftigen Milliardenmärkten.

Das aktuelle System hat dennoch zwei große Probleme. Erstens fördert es die falsche Technologie zu stark. Da in Deutschland vergleichsweise selten die Sonne scheint, ist die Energieausbeute der Solaranlagen vergleichsweise gering; nachts produzieren sie gar keinen Strom. Nur rund zwei Prozent der Elektrizität in Deutschland wird mit Sonnenstrom produziert.

Die Ökorepublik Deutschland kommt durch den Solarboom kaum voran, nur die Kosten explodieren.

Das aber stellt den gesamten Sektor der erneuerbaren Energien vor Probleme. Schon jetzt fürchten Windkraft-Lobbyisten um das gute Image der gesamten Ökobranche, kürzlich forderten sie den Solarverband BSW ultimativ auf, endlich die Förderkosten zu begrenzen. Obendrein erhalten andere Technologien wie Wärmedämmung oder Smart Grids, die für die deutsche Ökowende viel wichtiger sind, vergleichsweise wenig Förderung.

Teurer Strom für Hartz-IV-Empfänger

Das zweite Problem des aktuellen Fördersystems ist noch gravierender. Denn es betrifft nicht nur die Ökobranche, sondern jeden einzelnen Bundesbürger. Gerade hat die Regierung ein Konzept vorgestellt, mit dem sie Deutschland zur Ökorepublik umbauen will. Sie präsentiert darin Ideen, die bis ins Jahr 2050 reichen - und ignoriert einen unmittelbaren Missstand. Wird die Förderung der erneuerbaren Energien nicht bald reformiert, wird die Ökorepublik hochgradig unsozial. Nicht erst 2050, sondern in wenigen Jahren.

Denn es sind vor allem die Wohlhabenderen in der Republik, die es sich leisten können, eine Solaranlage auf ihr Dach zu schrauben - und die dann 20 Jahre lang von der hohen Einspeisevergütung profitieren. Die Preisaufschläge fürs Ökozeitalter können sie leicht verschmerzen. Geringverdiener und Sozialhilfeempfänger hingegen trifft die jährliche Preiserhöhung härter.

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Grafiken: Wie Öko- und Atomstrom konkurrieren

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Besonders absurd: Die Regierung plant, den Hartz-IV-Satz um fünf Euro pro Monat zu erhöhen. Ein Dreipersonenhaushalt zahlt aber ab dem kommenden Jahr monatlich rund fünf Euro mehr für Strom. Der Ökoboom frisst die Hartz-IV-Erhöhung auf. Auch bei Singles, die Hartz IV beziehen, wird der geplante Aufschlag noch unverhältnismäßig stark aufgefressen.

Erstattet bekommen Hartz-IV-Empfänger die steigenden Strompreise kaum. Als Sonderleistung bekommen sie die Kosten nicht erstattet. Auch bei der Berechnung des Hartz-IV-Regelsatzes wird der Ausgabenschub nicht berücksichtigt. Das Arbeitsministerium legt den Fördersatz auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstudie (EVS) fest. Für diese müssen alle fünf Jahre Zehntausende Verbraucher aus der unteren Mittelschicht über mehrere Monate hinweg über ihre Ausgaben Buch führen. Auf der Basis dieser Erhebung werden gewisse Förderpauschalen festgelegt, unter anderem auch für Strom. Diese werden nur nach einem Standardmuster angepasst. Die Explosion der Strompreise bildet dieses System kaum ab.

Das System muss angepasst werden

Gerade Hartz-IV-Empfänger können sich zudem besonders schlecht gegen die Strompreiserhöhung wehren. Besser betuchte Kunden können immerhin noch zu einem günstigeren Versorger wechseln. Hartz-IV-Empfängern ist dieser Weg oft verwehrt.

Denn in der Branche ist es Usus, dass sich gerade die günstigeren Stromanbieter einen Verbraucher genauer anschauen, ehe sie ihn als Kunden akzeptieren. Schon öfter ist bekannt geworden, dass sie dazu auch den Schufa-Eintrag eines potentiellen Kunden anfordern. Und laut VZBV-Schätzungen haben besonders viele Hartz-IV-Empfänger einen negativen Schufa-Eintrag - was den Stromanbieterwechsel erschwert.

Was also kann man tun, um die immer unsozialere Ökoförderung gerechter zu machen? Es wäre beispielsweise möglich, eine jährliche Maximalgrenze für den Bau neuer Solaranlagen festzulegen, um den ausufernden Neubau zu begrenzen. Oder man könnte die zu zahlenden EEG-Preisaufschläge nach Einkommen staffeln.

So wäre dafür gesorgt, dass diejenigen, die vom Ökoboom stärker profitieren, auch mehr dafür zahlen. Und man könnte die sozial schlechter Gestellten zumindest so weit entlasten, dass sie den Ausbau der erneuerbaren Energien auch künftig als sinnvolle Maßnahme für den Klimaschutz begreifen - und nicht als untragbare finanzielle Belastung.

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