Steuerhinterziehung "Ein Ganove haut den anderen übers Ohr"

Darf der Staat heimlich beschaffte Bankdaten von Steuersündern kaufen? Ja, sagt der Regensburger Strafrechtler Tonio Walter. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärt er, warum die Behörden "Ermittlungen jeder Art" durchführen dürfen - und selbst der Informant nichts Strafwürdiges tut.
Bankenstandort Zürich: "Wer Geld vor dem Fiskus verbirgt, macht sich strafbar"

Bankenstandort Zürich: "Wer Geld vor dem Fiskus verbirgt, macht sich strafbar"

Foto: epa Keystone Della Bella/ picture-alliance/ dpa

Steuerhinterziehern

SPIEGEL ONLINE: Herr Walter, die Bundesregierung hat beschlossen, eine illegal aus einem Schweizer Bankhaus beschaffte CD mit Daten von mutmaßlichen anzukaufen, in München und Stuttgart liegen ähnliche Angebote vor. Darf sich der Staat mit Kriminellen gemein machen?

Schweiz

Walter: Das tut er nicht. Zunächst halten wir fest: Wer Geld in die bringt, das er vor dem Fiskus verbirgt, oder dort mit Geldanlagen Gewinne erwirtschaftet, die er nicht versteuert, macht sich einer Steuerhinterziehung schuldig. Und Schweizer Banker, die dabei helfen, machen sich genauso strafbar, zumindest wegen Beihilfe, oft aber auch wegen Anstiftung und Begünstigung. Wenn die nach Deutschland reisen, kann ihnen hier der Prozess gemacht werden.

SPIEGEL ONLINE: Aber der Informant, der die CD beschafft hat, hat sich doch auch strafbar gemacht?

Walter: Da bin ich nicht so sicher. Nach Schweizer Recht vielleicht - bei der Frage, ob sich aus dem Ankauf der Daten hierzulande rechtliche Konsequenzen ergeben, kommt es aber nur auf die deutsche Rechtslage an. Und die führt für mich zu einem anderen Ergebnis: Nach deutschem Recht hat sich der Informant nicht strafbar gemacht. Und damit ist auch beantwortet, ob der Ankauf der CD eine strafbare Beteiligung am 'Datenklau' ist und ob die Daten in einem Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung einem Verwertungsverbot unterliegen. Meine Antwort ist jeweils: nein.

SPIEGEL ONLINE: Aber man muss doch davon ausgehen, dass das Beschaffen oder Kopieren der CD ohne Erlaubnis geschah - warum halten Sie es trotzdem nicht für strafbar?

Walter: Dass die Erlaubnis der Bank fehlt, heißt noch nicht, dass sich der Informant strafbar macht.

SPIEGEL ONLINE: Das müssen Sie erklären.

Walter: Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Informant nicht eine herumliegende CD entwendet, sondern die Daten auf eine mitgebrachte CD kopiert hat; damit liegt schon mal kein Diebstahl vor und auch keine Unterschlagung. Zwar gibt es auch Straftatbestände, die das unbefugte Kopieren von Daten oder den Verrat von Geheimnissen erfassen. Die Frage ist aber, ob diese Begriffe - Geheimnisse und Daten - auch illegale Vorgänge erfassen. Denn was sich auf der CD befindet, sind offenbar zumindest ganz überwiegend Informationen über Straftaten. Und ich meine, solche illegalen Geheimnisse oder Daten braucht das Strafrecht nicht zu schützen.

SPIEGEL ONLINE: Ist das nur Ihre Auffassung?

Walter: Früher gingen die Gerichte und die meisten Juristen ohne weiteres davon aus, dass illegale Geheimnisse nicht schutzwürdig sind. Derjenige, der sie verrät oder unbefugt weitergibt, macht sich folglich auch nicht strafbar, selbst wenn er dafür Geld nimmt. In den USA ist das auch heute noch allgemeine Ansicht, in Deutschland sind die meisten Rechtswissenschaftler aber inzwischen anderer Auffassung.

SPIEGEL ONLINE: Warum Sie nicht?

Walter: Viele Autoren ziehen einen Vergleich zum Diebstahl: Wer einen Dieb bestiehlt, ist selbst ein Dieb. Beim Diebstahl geht es aber um eine physische Wegnahme, sozusagen um Faustrecht. Das ist hier die falsche Parallele. Die richtige ist der Betrug: Und da ist grundsätzlich anerkannt, dass sich das Strafrecht nicht dafür interessiert, wenn ein Ganove den anderen übers Ohr haut. Außerdem steht dem Informanten als Rechtfertigung der Notstand zur Seite. Denn er hilft dem Fiskus und der deutschen Strafverfolgung mit einer Information, die zwingend erforderlich ist. Schaden tut er allein dem Interesse einer Schweizer Bank, ihre - aus deutscher Sicht - kriminellen Aktivitäten zu verheimlichen.

SPIEGEL ONLINE: Schafft man damit nicht einen rechtsfreien Raum?

Steuerhinterziehung

Wirtschaftskriminalität

Walter: Nein, denn es gibt ja Regeln, die den Fall erfassen. Außerdem: Daten, die Aufschluss geben über eine Straftat des Arbeitgebers - oder ähnliches - betreffen fast immer ein Geschäftsgeheimnis, da der Arbeitgeber das ja nicht vor den Augen der Öffentlichkeit macht. Wenn man aber den Verrat auch solcher Geheimnisse bestrafen wollte, würde sich jeder Arbeitnehmer, der Straftaten seines Arbeitgebers anzeigt, selbst strafbar machen. Der Staat würde also mit strafrechtlichen Mitteln helfen, Straftaten zu decken - das wäre widersinnig, wenn man bekämpfen will.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt, der Staat profitiert, wenn er solche Daten ankauft, gar nicht unbedingt von einer Straftat?

Walter: Genau. Damit scheidet für mich auch der Vorwurf aus, deutsche Staatsdiener würden sich beim Ankauf der CD selbst strafbar machen.

SPIEGEL ONLINE: Wenn man Ihnen aber nicht folgt, dann könnten sich Amtsträger, die diese Daten ankaufen, oder Politiker, die diesem Ankauf zustimmen, wegen Beteiligung an einer Straftat, Begünstigung des Täters oder wegen Hehlerei strafbar machen?

Walter: Egal, welchen Tatbestand man annimmt: Den deutschen Behörden steht ein Rechtfertigungsgrund zur Seite, nämlich die allgemeine Befugnis, beim Verdacht von Straftaten "Ermittlungen jeder Art" durchzuführen, wie das Gesetz sagt.

SPIEGEL ONLINE: Dürften die Daten, wenn sie mit Hilfe einer Straftat beschafft worden wären, in einem Strafverfahren verwendet werden?

Walter: In Extremfällen kann es ein solches Beweisverwertungsverbot geben; in der Praxis ist die Rechtsprechung aber eher großzügig, wenn die Behörden die Straftat nicht selbst initiiert haben. Man schaut sich jeden Einzelfall an, wägt ab - und das dürfte in unserem Fall zugunsten der Ermittlungsbehörden ausgehen.

SPIEGEL ONLINE: Was aber ist, wenn die CD nicht nur Daten von Steuerhinterziehern enthält - sondern auch von unschuldigen Bürgern, die keine Steuerhinterziehung begangen haben? Wäre die unbefugte Weitergabe der Daten dieser Bürger strafbar?

Walter: Selbst wenn es zu einem solchen 'Beifang' gekommen sein sollte, ändert das für mich nichts an der Bewertung. Der Informant wäre für mich deswegen nur dann strafbar, wenn er die Daten zu den Steuerhinterziehern vorab ohne weiteres von den Daten Unschuldiger hätte trennen können. Und für die bundesrepublikanischen Behörden greift für mich auch hier die Rechtfertigung aufgrund ihrer Ermittlungsbefugnis - wobei zusätzlich zu bedenken ist, dass die Daten 'in gute Hände' gelangen und dass man sie vermutlich einfach mitkaufen muss, um an die Straftäter zu kommen.

Das Interview führte Dietmar Hipp
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