Scheidender NRW-Finanzminister über Jagd auf Finanzbetrüger "Wir kennen ja Fälle, wo Steuerfahnder in der Klapse gelandet sind"

Steuerfahnder bei einer Razzia
Foto: Sebastian Willnow / dpaEin Business-Club in der Nähe des Kölner Barbarossa-Platzes. Als Finanzminister hat Norbert Walter-Borjans hier gerne Kontakte in der Domstadt gepflegt. Jetzt empfängt er zu einem seiner letzten Interviews vor dem Machtwechsel in NRW. Für einen Wahlverlierer hat der SPD-Politiker auffallend gute Laune.
Das dürfte auch daran liegen, dass "NoWaBo" - so sein Spitzname - in seiner siebenjährigen Amtszeit eine für Finanzminister ungewöhnliche Popularität erlangte. Der Ankauf von CDs mit den Daten von Steuersündern machte den Volkswirt über Deutschland hinaus bekannt, führte zu Tausenden Strafverfahren und Nachzahlungen in Milliardenhöhe. Im Inland trug ihm das den Titel "Robin Hood der Steuerzahler" ein. Die Schweiz warf Walter-Borjans hingegen Hehlerei vor und setzte sogar einen Spitzel auf seine Finanzverwaltung an. In Zukunft hat der 64-Jährige nun mehr Zeit für sein Hobby, die Bildhauerei.
SPIEGEL ONLINE: Herr Walter-Borjans, der Regierungswechsel steht kurz bevor, bald haben Sie deutlich mehr Zeit. Machen Sie jetzt erst mal Urlaub in der Schweiz?
Walter-Borjans: Höchstens auf der Durchreise, wenn ich nach Italien zum Marmor-Meißeln fahre. Das liegt aber eher daran, dass es mir in der Schweiz zu teuer ist. Ich habe immer gesagt, dass ich kein Problem mit den Schweizern habe, sondern nur mit bestimmten Finanzjongleuren. Das hat sich etwas geändert, seitdem bekannt wurde, dass der Schweizer Staat einen Spion auf uns angesetzt hat.

Norbert Walter-Borjans, 64, war seit 2010 Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. Zuvor arbeitete der Volkswirt unter anderem im Produktmanagament von Henkel, als Regierungssprecher in NRW und Staatssekretär im Saarland. Während seiner Amtszeit ließ der SPD-Politiker zahlreiche Daten-CDs kaufen, mit denen Steuerhinterzieher enttarnt wurden. Nach der Niederlage der SPD bei der Landtagswahl im Mai muss Walter-Borjans seinen Posten Ende Juni räumen.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie solche Entwicklungen geahnt, als Sie sich 2010 erstmals zum Kauf von Daten-CDs entschieden?
Walter-Borjans: Damals nicht. Dass man sich mit den Kreisen derer auseinandersetzen muss, die es mit der Steuerfahndung zu tun hatten, war klar. Aber ich habe zum Beispiel nicht mit dem Haftbefehl gegen unsere Steuerfahnder gerechnet. Der hat mir aber ungewollte Schützenhilfe geleistet - erst dadurch rückte das Ausmaß des Steuerbetrugs auch in Deutschland richtig ins Licht.
SPIEGEL ONLINE: Damals wurde Ihnen Hehlerei vorgeworfen.
Walter-Borjans: Man konnte sogar im Internet Vordrucke für Anzeigen gegen mich herunterladen. Das hat sich aber alles schnell erledigt. Seit etwa zwei Jahren kommen auch viele Leute aus der Wirtschaft zu mir und sagen: Ich gehöre nicht zu ihren Stammwählern, aber machen Sie bloß so weiter - das darf jetzt nicht aufhören.
SPIEGEL ONLINE: Das klang noch anders, als Sie 2012 das eigentlich schon beschlossene Steuerabkommen mit der Schweiz gekippt haben.
Walter-Borjans: Es tat gut festzustellen, dass man in der Politik etwas bewirken kann. Auch in der SPD fanden einige, dass die Sache schon gegessen sei. Die wollten nur noch mal maulen und sagen, dass wir das ganz anders gemacht hätten.
SPIEGEL ONLINE: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie motiviert hat?
Walter-Borjans: Zunächst mal die Berichte der eigenen Steuerfahnder. Da war der Leiter der Wuppertaler Steuerfahndung, Peter Beckhoff, eine ganz wichtige Figur. Klar war aber auch, wie wichtig politische Rückendeckung ist. Wir kennen ja Fälle wie in Hessen, wo Steuerfahnder am Ende in der Klapse gelandet sind. So was macht die Beamten natürlich nicht besonders motiviert oder kreativ. Unsere Steuerfahnder hatten bei mir die Sicherheit, dass ich sie nicht im Regen stehen lasse.
SPIEGEL ONLINE: Nun aber haben Sie die Landtagswahl verloren und müssen abtreten. Warum ist es so schlecht für die SPD gelaufen?
Walter-Borjans: Am Einsatz gegen Steuerhinterziehung hat es jedenfalls nicht gelegen. Das bescheinigen uns viele Menschen, auch außerhalb der SPD. Meinetwegen hätten wir im Wahlkampf noch deutlicher herausstellen können, dass die Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stimme auch entscheiden, wie konsequent die Landesregierung künftig für Steuergerechtigkeit eintritt.
SPIEGEL ONLINE: In einer internen E-Mail soll es bereits geheißen haben, die umtriebige Wuppertaler Steuerfahndung müsse künftig zurückhaltender auftreten. Mit dem Bundeskriminalamt und Hessen haben Sie außerdem darüber gestritten, wer künftig Ermittlungen zu den sogenannten Panama Papers führt. Sind das erste Versuche, Ihre Politik zurückzudrehen?
Walter-Borjans: Solche Anzeichen muss man ernst nehmen. Aber ein Grund dafür ist auch, dass eine Verwaltung nicht viel damit anfangen kann, wenn ein Amt wie in Wuppertal heraussticht. Verwaltung mag keine Markenbildung. Ich dagegen habe mein Berufsleben im Produktmarketing angefangen und gelernt, wie wichtig eine etablierte Marke sein kann. In der Schweiz kennt man nun mal die Steuerfahndung in Wuppertal besser als in Aachen oder Essen - auch wenn die in anderen Schwerpunktbereichen genauso gute Arbeit machen.
SPIEGEL ONLINE: Welche Rolle spielt der anstehende Regierungswechsel?
Walter-Borjans: Die Betroffenen in den Behörden fühlen sich im Ungewissen. Dass mein Nachfolger die Nutzung von Daten-CDs ablehnen könnte, weckt Besorgnis bei den Beschäftigten. Es führt aber auch heute schon zu Verhaltensänderungen bei Verhandlungspartnern. Rechtsanwälte, die Beschuldigte vertreten, sind jetzt bockiger. Weil sie sagen: Lass doch mal gucken, wie ein Finanzminister von der FDP oder CDU entscheidet. Ich kann nur hoffen, dass die Nachfolgeregierung das schnell klarstellt und am besten auf Kontinuität setzt. Im Zweifel vertraue ich aber darauf, dass sonst ein anderes Bundesland die Marke fortführt. Wuppertal können sie schlecht eingemeinden - aber vielleicht ja eine Stadt umbenennen.
SPIEGEL ONLINE: Ist die Bankenlobby ähnlich mächtig wie die Autobranche, die jahrelang mit Abgasmanipulationen durchkam?
Walter-Borjans: Ich glaube, die Machtstrukturen sind eher noch stärker. Bankiers hatten schon zu Zeiten von Konrad Adenauer enorme Bedeutung für die Wirtschaftspolitik. Wir reden von höchstbezahlten Leuten mit enormen Möglichkeiten. Ein Akteur zum Beispiel, der heute im Zentrum des Cum-Ex-Skandals steht, hat von mir eine mittlere fünfstellige Entschädigung gefordert.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben auch wiederholt den Einfluss der Finanzlobby auf das Bundesfinanzministerium kritisiert. Wo genau sehen Sie den?
Walter-Borjans: Wolfgang Schäuble mag als Parteistratege ein Schlitzohr sein, aber als Bundesfinanzminister hat der Mann Prinzipien. Einige teile ich, andere nicht. Schäuble ist allerdings nicht so detailbesessen wie man denkt. Nach meiner festen Überzeugung hat er sich deshalb etwa beim Steuerabkommen mit der Schweiz von Argumenten seiner Umgebung leiten lassen, die schlichtweg unzutreffend waren. Was da im Hintergrund gemacht wurde, diente vor allem der Interessenwahrung einer vermeintlichen CDU-Klientel.
SPIEGEL ONLINE: Wen meinen Sie konkret?
Walter-Borjans: Finanzstaatssekretär Michael Meister zum Beispiel hat mehrfach gegengesteuert, wenn ihm Positionen seines Ministers als unvereinbar mit denen der Unions-Fraktion zu sein schienen - sei es bei den Koalitionsverhandlungen über die Abschaffung der Abgeltungssteuer oder das Vorgehen gegen den Steuerbetrug bei Registrierkassen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben in NRW kurz vor Ihrem Abschied noch den ersten ausgeglichenen Haushalt seit 1973 verantwortet. Vorher aber waren ihre Etats so rot, dass sogar der Verfassungsgerichtshof sie mehrfach gekippt hat. War auch das der Grund für ihre Robin-Hood-Strategie gegenüber Steuersündern?
Walter-Borjans: Definitiv nicht. Eine Rolle spielte aber, dass wir Belastungen fair verteilen wollten. Ich habe 2010 einen Haushalt übernommen, in dem 6,5 Milliarden Euro Neuverschuldung geplant waren. Von da an haben wir das stetig reduziert. Ohne Bruch und Kürzungen bei wichtigen Aufgaben hätte man von der Neuverschuldungshöhe nicht schneller runterkommen können.
SPIEGEL ONLINE: Aber moralisch bleibt es ein schmaler Grat, wenn ein Finanzminister kriminell erworbene Daten im Ausland auch deshalb erwirbt, weil ihm daheim das Geld fehlt.
Walter-Borjans: Die Steuerfahndung hat ihre gute Arbeit nicht als Hilfe für die Haushaltsabteilung gemacht. Wir sahen schlicht, dass sich ein wachsender Teil vor allem Wohlhabender der Steuer entzieht, während andere die Lasten tragen. Da kommt man ohne Informanten und Verrat aus der Szene nicht weiter - das ist genauso wie beim Drogen- oder Waffenhandel.
SPIEGEL ONLINE: So viel Sie auch tun - Großkonzerne können mit hoch bezahlten Juristenteams ständig neue Gesetzeslücken auftun. Bleibt der Staat da nicht immer im Nachteil?
Walter-Borjans: Es bleibt jedenfalls ein Hase-und-Igel-Rennen, gerade in Demokratien, die mehr Zeit für ihre Gesetzgebungsprozesse brauchen. Ich habe mit Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon deshalb über eine Art Ethikrat für Banken diskutiert. Der könnte bei neuen Gesetzen von sich aus auf Lücken hinweisen. Dann könnte die Politik sie entweder schließen, und alle Banken haben die gleichen Bedingungen - das ist ihnen ja oft am wichtigsten. Oder der Staat lässt eine Gesetzeslücke aus anderen Erwägungen bewusst offen und kann die Banken dann auch nicht belangen, wenn sie die ausnutzen.
SPIEGEL ONLINE: Apropos Ethik: Ihr Amtsvorgänger Helmut Linssen (CDU) musste später einräumen, selbst Geld am Fiskus vorbei in Mittelamerika geparkt zu haben. Ist nach Ihrem Abtritt Ähnliches zu erwarten?
Walter-Borjans: Nein. Als Vater von vier studierenden Kindern ist mir schon allein die Versuchung erspart geblieben, größere Summe anzuhäufen.