Steuerkonzept Wer von Kirchhofs Plänen profitiert - und wer nicht

Steuerrechtler Paul Kirchhof: Ein Mann, ein Buch, alle Steuern
Foto: dapdHamburg - Paul Kirchhof weiß, wie man eine gute Idee zunichtemachen kann. Indem man sie aus der abstrakten Welt der Wissenschaft in die Realität jedes einzelnen Bürgers bringt. Mit diesem Versuch ist er schon einmal gescheitert. Im Bundestagswahlkampf 2005 brandmarkten die Sozialdemokraten um Kanzler Gerhard Schröder Kirchhofs radikale Steuerpläne als unsozial - und der "Professor aus Heidelberg" lieferte ihnen die Gründe dafür.
Diesmal will Kirchhof offenbar vorsichtiger sein. Beispielrechnungen dazu, wer von seinem neuen "Bundessteuergesetzbuch" profitieren und wer darunter leiden würde, veröffentlicht der Jurist lieber erst mal nicht. "Natürlich gibt es Gewinner und Verlierer", sagte Kirchhof SPIEGEL ONLINE. "Aber Sie können sicher sein, dass Geringverdiener nicht schlechter stehen werden."
Eine Krankenschwester zum Beispiel werde profitieren, versichert Kirchhof. Zwar werde sie auf ihre Nachtarbeitszuschläge anders als bisher Steuern zahlen müssen. Dies werde aber durch die höheren Freibeträge und den niedrigen Steuersatz mehr als wettgemacht.
Kirchhofs Reformvorschlag ist verlockend einfach: Alle Einkommensarten sollen nach dem gleichen Tarif versteuert werden - egal ob Löhne, Unternehmensgewinne oder Kapitalerträge. Jahreseinkommen bis 10.000 Euro wären demnach steuerfrei, anschließend geht es in zwei Stufen à 15 und 20 Prozent bis auf 25 Prozent. Dieser Einheitssatz soll für alle Einkommen über 20.000 Euro gelten. Im Gegenzug würden sämtliche Ausnahmen und Privilegien gestrichen.
Hohe Einkommen würden entlastet
Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Und in der Tat äußern andere Steuerexperten Zweifel, ob solch eine radikale Reform sinnvoll ist. "So ein großer Wurf kann eigentlich nicht funktionieren", sagt Stefan Bach, Steuerexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. "Man kann nicht einfach am grünen Tisch über ein neues Steuersystem entscheiden. Das war vielleicht Anfang der neunziger Jahre in Osteuropa möglich, aber nicht heute in Deutschland."
Bach sorgt sich auch um die Verteilungswirkung einer kirchhofschen Radikalreform: "Hohe Einkommen würden deutlich entlastet", sagt der Experte. "Aber für eine solche Entlastung gibt es aus ökonomischer Sicht keinen Grund." Bach fürchtet massive Einnahmeausfälle für den Staat, wenn auch für die oberen Einkommen nur noch niedrige Steuersätze gelten.
Ähnlich argumentiert der baden-württembergische Finanzminister Nils Schmid (SPD). Er beruft sich aus Berechnungen seines Ministeriums aus dem Jahr 2003, als Kirchhof ein ähnliches Konzept für die Einkommensteuer vorgelegt hatte. Damals hatten die baden-württembergischen Experten Einnahmeausfälle von 40 Milliarden Euro für das erste Jahr berechnet. Jedes weitere Jahr würden zehn Milliarden Euro fehlen. "Was Kirchhof vorschlägt ist eine massive Belastung für die öffentlichen Haushalte", wettert Schmid. "Wenn das so käme, würde es den Staat lahmlegen."
Wenn das Geld nicht reicht, wird der Satz erhöht
Kirchhof kennt diese Argumente. Er hält dagegen, die Radikalreform sei aufkommensneutral, dem Staat würden also insgesamt keine Steuereinnahmen entgehen. Möglich werden soll das durch den Wegfall von Ausnahmen und Schlupflöchern. "Viele hohe Einkommen werden zum ersten Mal voll versteuert", verspricht Kirchhof. Die Verlierer der Reform seien die sogenannten Steuergestalter, also "diejenigen, die ihr Geld bisher in Schiffsbeteiligungen oder Filmfonds gesteckt haben, um der Besteuerung zu entgehen - und das übrigens ganz legal. Die müssen jetzt voll zahlen".
Für den Fall, dass dies trotzdem nicht reicht, hat Kirchhof auch schon eine Idee parat. "Wir kommen mit 25 Prozent Spitzensteuersatz aus, wenn es gelingt, alle Privilegien und Vergünstigungen zu streichen", sagt der Steuerrechtler. "Sollten wir das nicht ganz schaffen, dann ist es eine Frage des Steuersatzes. Dann nehmen wir eben 26 statt 25 Prozent."
Das Einnahmeproblem könnte so zu lösen sein, das Gerechtigkeitsproblem eher nicht. Ein Einheitssteuersatz von 25 Prozent würde von weiten Teilen der Bevölkerung wohl immer als ungerecht empfunden werden. Und der Vorschlag, Ausnahmen und Vergünstigungen zu streichen, mag erst einmal viel Applaus bekommen. Sobald aber klar wird, dass es dabei auch um so populäre Privilegien wie die Pendlerpauschale oder die steuerfreien Sonn- und Feiertagszuschläge geht, dürfte der Widerstand wachsen. Entsprechend gering sind die Chancen, dass Kirchhofs Konzept je Gesetz wird: "Dass so etwas politisch durchsetzbar ist, wage ich zu bezweifeln", sagt Karl Heinz Däke, Präsident des Steuerzahlerbundes.
Der Mittelstand profitiert am meisten
Schade wäre ein Scheitern vor allem für die Unternehmen. Sie sollen laut dem Kirchhof-Konzept ebenfalls den einheitlichen Einkommensteuersatz zahlen. Hinzu käme ein Zuschlag, dessen Höhe jede Kommune selbst festlegen könnte und der die heutige Gewerbesteuer ersetzen soll. "Die reine Steuerbelastung für Unternehmen würde dadurch zwar vermutlich kaum sinken", sagt Jens Gewinnus, Steuerexperte beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), "aber die Wirtschaft würde schon durch die wegfallende Bürokratie erheblich entlastet." Das sieht auch Kirchhof selbst so: "Der Unternehmer hat dann endlich den Kopf frei und muss nicht bei jeder Entscheidung die Steuerabteilung fragen", erklärt der Professor.
Besonders vorteilhaft wären Kirchhofs Ideen für den Mittelstand. "Vor allem Personenunternehmen würden von der Vereinfachung profitieren", sagt Steuerexperte Gewinnus. Das liegt daran, dass gerade mittelständische Familienunternehmer bei Gewinnen, die sie ausschütten, nach Kirchhofs Konzept nicht mehr ihren individuellen Einkommensteuersatz von bis zu 45 Prozent zahlen müssten, sondern nur noch den Einheitssatz von 25 Prozent. Für die meisten Mittelständler dürfte das eine deutliche Entlastung sein. Ob sie jemals in den Genuss dieser Regelung kommen, ist allerdings fraglich.