
Steuern, Rente, Zinsen Politik gegen die jüngere Generation


Angela Merkel mit Studenten
Foto: ODD ANDERSEN/ AFPDeutschland investiert zu wenig in seine Zukunft. Die jüngeren Generationen werden darunter enorm zu leiden haben. Nun schwirren wieder mal alle möglichen Umverteilungsideen durch den politischen Raum, die wiederum zuvorderst den Älteren nützen. Warum gibt es eigentlich keinen Aufstand der Jüngeren?
Der gesamte wirtschaftspolitische Kurs nützt vor allem den älteren Generationen. Eigentlich müsste es im heraufziehenden Bundestagswahlkampf vor allem darum gehen, das produktive Potenzial Deutschlands zu sichern, besser zu noch zu steigern. Warnsignale gibt es reichlich:
- Wirtschaft und Staat investieren zu wenig - nur 14 Prozent der Wirtschaftsleistung, deutlich weniger etwa als die Schweiz oder Österreich. Gerade bei Investitionen in neues Wissen liegt Deutschland im internationalen Vergleich zurück, hat der Industrieländerclub OECD berechnet. Auch die Bildungsausgaben bewegen sich nur im Mittelfeld.
- Statt Gelder gezielt in die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und in die Stabilität Europas zu stecken, fließen gigantische Summen ins Ausland ab. Dort werden sie in Vermögenswerte von teils zweifelhafter Qualität investiert. Während Deutschland seine produktive Substanz aufzehrt, hat der Kapitalexport Rekordhöhen erreicht. Seltsam, dass diese Schieflage in der politischen Debatte keine Hauptrolle spielt.
Jede Generation lebt letztlich auf dem Fundament dessen, was vorige Generationen geschaffen haben - an Wissen und Können und an Produktionsanlagen. Eine gute Grundausstattung ermöglicht künftigen Generationen ein höheres Wohlstandsniveau und eröffnet ihnen größere Verteilungsspielräume. Wo jedoch die Investitionen zurückbleiben, wird es für künftige Generationen eng.
Die aktuelle wirtschaftspolitische Debatte hingegen ist ganz im Hier und Jetzt verhaftet. Weil die staatlichen Haushalte derzeit Überschüsse einfahren, stellen Politiker verschiedener Couleur Steuersenkungen in Aussicht. Profitieren werden davon naturgemäß vor allem jene Bürger, die Steuern zahlen, also überwiegend jene nicht mehr ganz jungen Beschäftigten, die beruflich etabliert sind. Statt Steuergelder auszugeben für Bildung, Forschung, Infrastruktur oder Schuldenabbau - was auch jüngeren und kommenden Generationen nützen würde -, konzentriert sich die Diskussion auf die Verteilung aktueller Überschüsse.

Senioren auf der Seebrücke in Binz/Rügen
Foto: Jens B¸ttner/ picture alliance / dpaBei der Rente ist dieser Ansatz schon länger sichtbar. Die Reformen vergangener Regierungen sind längst Geschichte. Nun geht es wieder darum, ältere Wählergruppen besserzustellen. Nach der Rente mit 63 rückt ein noch schwerer wiegender Eingriff auf die Agenda: Von verschiedener Seite kommen Forderungen, das Rentenniveau einzufrieren. Profitieren würden dadurch allenfalls jene Jahrgänge, die in näherer Zukunft in Rente gehen. Zahlen müssten auf jeden Fall die jüngeren Jahrgänge: in Form höherer Beiträge, während sie selbst weiterhin mit Rentenkürzungen rechnen müssten. Bei steigender Lebenserwartung, geringen Kinderzahlen und lahmem Produktivitätsfortschritt wird es kaum anders gehen.
Insgesamt betragen die Verpflichtungen, die der deutsche Staat in Form von Schulden und Ansprüchen an die Sozialsysteme eingegangen ist, gut sechs Billionen Euro - mehr als das Doppelte des Sozialprodukts, so die Stiftung Marktwirtschaft. Lasten, die kommende Generationen irgendwie tragen müssen - entweder in Form von höheren Steuern und Abgaben, von Inflation oder von geringeren staatlichen Leistungen.
Auch die Notenbanken greifen massiv in die Verteilung ein. Als Krisenfeuerwehr waren sie im Zuge der Finanzkrise unentbehrlich. Ihr Dauereinsatz hingegen hat das Potenzial, das Gleichgewicht zwischen den Generationen empfindlich zu stören. Niedrigstzinsen und Anleihekäufe haben nicht wie erhofft die Konsumentenpreise nach oben getrieben (Dienstag und Mittwoch gibt's neue Zahlen zur Inflation in Deutschland und der Eurozone insgesamt), sondern Immobilienpreise und Börsenkurse.
Davon profitieren in erster Linie jene Bürger im fortgeschrittenen Alter, die sich noch ein Vermögen zu halbwegs ordentlichen Zinsen zusammensparen konnten und die nun einen zusätzlichen Wertzuwachs aufs Eigenheim verbuchen können. Jüngere Erwachsene hingegen stehen vor ganz anderen Fragen: Bei Nullzinsen und inflationierten Immobilienpreisen ist ein klassischer Vermögensaufbau nur noch schwerlich möglich.
Warum also gibt es keinen Aufstand der Jüngeren?
Zum einen geht es um politische Entscheidungen mit sehr langfristigen Auswirkungen, die recht abstrakt erscheinen mögen. Zum anderen sind die Bundesbürger insgesamt aktuell noch ganz zufrieden. Drei Viertel halten die Wirtschaftslage für gut, wie Umfragen zeigen. Der Arbeitsmarkt läuft. Anders als in Südeuropa, wo die Jugendarbeitslosigkeit immer noch sehr hoch ist (achten Sie auf den nächsten Versuch zur Regierungsbildung in Spanien am Mittwoch), stehen kaum junge Bundesbürger auf der Straße (neue Daten vom deutschen Arbeitsmarkt gibt's ebenfalls Mittwoch). Und anders als in den USA, wo der Demokrat Bernie Sanders bei den US-Vorwahlen eine junge Anhängerschaft mobilisieren konnte, starten in Deutschland nicht ganze Kohorten junger Erwachsener mit erdrückenden College-Schulden ins Berufsleben.
Doch auch in Deutschland braut sich ein erhebliches Frustpotenzial unter den Jüngeren zusammen. Bei der letzten Shell-Jugendstudie gaben 69 Prozent der befragten 15- bis 25-Jährigen an, sie hätten das Gefühl, "Politiker kümmern sich nicht darum, was Leute wie ich denken". Eine "ausgeprägte Politikverdrossenheit" mache sich breit, konstatierten die Autoren der Studie.
Eine problematische Konstellation: Wenn sich die aktuelle Lage eintrübt - und das wird angesichts der schwachen Investitionsdynamik unweigerlich irgendwann der Fall sein -, droht sich der Frust Bahn zu brechen. Sei es politisch in Form neuer außerparlamentarischer Bewegungen. Sei es ökonomisch in Form einer frustrierten Rücknahme der Leistungsbereitschaft. Manchmal ist die Zukunft eben näher, als man denkt.
Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der Woche
MONTAG
Tallinn - In Zeiten der Provokation - In einem Gefühl der Bedrohung durch Russland wählt Estland einen neuen Präsidenten.
DIENSTAG
Wiesbaden - Die Preise im Sommer - Das Statistische Bundesamt veröffentlicht die erste Schätzung für die Inflationsrate im August.
Brasilia - Rausschmiss in aller Öffentlichkeit - Während Brasilien die schlimmste Rezession seit Generationen durchmacht, erreicht das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Rousseff seinen Höhepunkt - mit einer vermutlich zwölfstündigen Anhörung im Senat und anschließender Abstimmung.
MITTWOCH
Nürnberg - Läuft doch, noch - Die Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht die Arbeitsmarktdaten für August.
Luxemburg - Knapp über null - Europas Statistiker legen neue Zahlen zur Inflation im Euroraum vor.
Madrid - Iberische Verhältnisse - Die lange wirtschaftliche Krise und diverse Skandale haben Spaniens Parteiensystem derart durcheinander gebracht, dass das Land seit acht Monaten ohne gewählte Regierung dasteht. Nach zwei Wahlen, die jeweils politische Pattsituationen gebracht haben, versucht der konservative Regierungschef Rajoy nun, eine Minderheitsregierung zusammenzubekommen.
Berlin - Unterhaltung, elektronisch - Vor der offiziellen Eröffnung der Elektronikmesse IFA (am Freitag): Anbieter von Siemens bis Miele präsentieren sich der Presse.
Frankfurt am Main - That shrinking feeling I - Bei der Bankentagung des "Handelsblatts" präsentieren sich Größen einer Branche, die ihre großen Tage hinter sich hat. Unter anderen Cryan (Deutsche Bank), Zielke (Commerzbank), Fahrenschon (Sparkassen).
DONNERSTAG
Peking - China-Konjunktur - Neue Erkenntnisse zur Stimmung bei Chinas Einkaufsmanagern.
Frankfurt am Main - That shrinking feeling II - Zweiter Tag der "Handelsblatt"-Bankentagung -Weber (UBS), Kirsch (DZ Bank), Strauß (Postbank), Schröder (KfW).
FREITAG
Washington - Fed up? - Bekanntgabe der US-Arbeitsmarktdaten im August. Wie üblich werden die Zahlen vor allem aus dem Blickwinkel analysiert, ob und wann die US-Notenbank Fed die Zinsen anhebt.
Wladiwostok - Ostumgehung - Beim Eastern Economic Forum in Wladiwostok wirbt Russlands Präsident Putin um eine engere Zusammenarbeit mit führenden asiatischen Volkswirtschaften wie Japan und Südkorea, deren Regierungschefs ebenfalls anreisen. Danach geht's zum G20-Gipfel (siehe Sonntag).
SONNTAG
Hangzhou - Wer regiert die Welt? - Beginn des G20-Gipfels unter chinesischem Vorsitz. Brisante Themen gibt es reichlich: Terror, Türkei, Russland und die Ukraine, die EU nach dem Brexit-Votum, die Zuspitzung im Inselstreit zwischen China und Japan, Syrien Lösungen sind kaum zu erwarten. Aber man redet, immerhin.
Schwerin - Die populistische Herausforderung - Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Spannendste Frage: Wie stark wird die AfD?

Institut für Journalistik, TU Dortmund
Henrik Müller ist Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirt als Vizechefredakteur des manager magazin. Außerdem ist Müller Autor zahlreicher Bücher zu wirtschafts- und währungspolitischen Themen. Für den SPIEGEL gibt er jede Woche einen pointierten Ausblick auf die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der Woche.