Steuerhinterziehung in Deutschland Die Oase lebt

Palmenskulptur in Hamburg: Die meisten Millionäre, die wenigsten Kontrollen
Foto: Angelika Warmuth/ picture alliance / dpaBayern lieben Superlative. Das zeigt jeder politische Aschermittwoch der CSU. Es gibt aber auch Spitzenwerte, mit denen man sich im Freistaat selten brüstet. Etwa jene 828 Betriebe, für die ein bayerischer Betriebsprüfer im Durchschnitt zuständig ist. Das sind mehr als in jedem anderen Bundesland, wobei die Arbeitsbelastung in Baden-Württemberg nur unwesentlich geringer ist.
Die Zahlen ergeben sich aus einer bislang unveröffentlichten Datenanalyse der deutschen Finanzministerien. Sie finden sich im Buch "Steueroase Deutschland" von Markus Meinzer, das am Freitag erscheint.
Der Vorwurf, Deutschland sei ähnlich wie die Bahamas und Bermuda ein Paradies für Steuertrickser, wird schon länger erhoben. "Die große Steuerhinterziehung findet nicht im Ausland statt, sondern hier bei uns", sagte der frühere Steuerfahnder Reinhard Kilmer 2013 dem SPIEGEL . Gerade in jüngster Zeit jedoch hat sich die Bundesrepublik gerne als Vorreiter im Kampf gegen Steuerhinterziehung gezeigt.
Im März vergangenen Jahres wurde Ex-Bayern-Manager Uli Hoeneß unter großem Aufsehen wegen unversteuerter Spekulationsgewinne zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Im Herbst unterzeichneten in Berlin mehr als 40 Länder ein Abkommen über den automatisierten Austausch von Kontodaten. Das Bankgeheimnis sei tot, wurde damals schon frohlockt.
Doch damit Daten ausgetauscht werden können, müssen sie erst einmal erhoben werden. Meinzer, der als Analyst für die Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network arbeitet, zeigt, wie mühsam das in Deutschland ist. Bis heute haben Bund und Länder nicht einmal eine gemeinsame Steuersoftware, obwohl für ein Pilotprojekt 400 Millionen Euro versenkt wurden. Deshalb reicht oft ein Umzug über Landesgrenzen, um Spuren zu verwischen. Zudem ist die Zahl der Finanzbeamten in jüngster Zeit stetig gesunken - trotz der überwiegend positiven Wirtschaftslage.
Wo es dennoch zu Verfahren kommt, bleiben Urteile oft mit Verweis auf das Steuergeheimnis geheim oder es kommt zu fragwürdigen Deals wie bei Formel-1-Manager Bernie Ecclestone, dessen Verfahren gegen die Zahlung von 100 Millionen Dollar eingestellt wurde. Und wo sich Ermittler trotz aller Widerstände in Ermittlungen gegen Prominente und Konzerne verbeißen, werden sie nicht selten zurückgepfiffen oder gar kaltgestellt. Wie jene vier hessischen Steuerfahnder, die wegen angeblicher Paranoia zwangspensioniert wurden. Möglich macht es die auch international umstrittene Weisungsbefugnis von Justizministern, deren Abschaffung sich laut einer Umfrage 83 Prozent der Richter und Staatsanwälte wünschen.
Nicht ganz die Cayman Islands
Ist Deutschland also eine Steueroase? Meinzer räumt Unterschiede zu Orten wie den Cayman Islands ein. Dort droht Kritikern schon Gefängnis, wenn sie nur nach vertraulichen Finanzdaten fragen. Doch durch die Mischung aus strenger Gesetzeslage und Kleinstaaterei muss der Staat auch hierzulande oft nicht so genau hinschauen. "Das Steuergeheimnis wirkt mit dem Föderalismus wunderbar zusammen, um Verantwortlichkeiten zu verwischen", schreibt Meinzer.
Besonders große Personalnot in der Finanzverwaltung herrscht auffälligerweise in Ländern wie Bayern oder Baden-Württemberg. Dabei ist hier für den Fiskus besonders viel zu holen, das verdeutlicht der Vergleich von Steuerfahndern zur jeweiligen Wirtschaftskraft.
Die geringe Wahrscheinlichkeit einer Überprüfung ist für Unternehmen eine Motivation, sich auch weiter bevorzugt im Süden der Republik anzusiedeln. Doch auch ein Standort im hohen Norden hat seine Reize: Nirgendwo sonst in der Republik gibt es so viele Einkommensmillionäre wie in Hamburg. Zugleich müssen diese Reichen nirgendwo seltener unerwarteten Besuch vom Fiskus fürchten wie in der Hansestadt.
Schwächen Bundesländer also gezielt ihre Finanzverwaltung, um so zu kleinen Steueroasen innerhalb der Bundesrepublik zu werden? Der Verdacht wird auch von Steuergewerkschaftern geäußert, klar belegen kann ihn Meinzer nicht. Eine Rolle für den mangelnden Ehrgeiz spielt jedenfalls auch der Länderfinanzausgleich. Dank ihm müssen die Ministerpräsidenten den allergrößten Teil ihrer Steuermehreinnahmen gleich wieder abgeben.
Sicher ist: Von der international eingeforderten Transparenz in Steuerfragen ist Deutschland an vielen Stellen selbst weit entfernt. Haftstrafen gegen reiche Prominente wie Hoeneß blieben bislang die Ausnahme, häufiger kommt es zu umstrittenen Bewährungsstrafen wie im Fall von Ex-Postchef Klaus Zumwinkel.
Beim Durchschnittsbürger droht damit nach Ansicht von Meinzer ein fataler Eindruck: "Wer wiederholt beim Schwarzfahren für 60 Euro erwischt wurde, wandert in den Knast. Wer aber Hunderttausende Euro hinterzogen hat, scheint schlimmstenfalls - falls Zuschauer da sein sollten - mit einer Bewährungsstrafe davonzukommen."
Vielleicht kommt deshalb irgendwann auch der Ruf nach strengeren Steuerregeln eher aus der Bevölkerung als aus den Finanzministerien. Am Ende seines Buches verweist Meinzer auf das Label "Fair Tax Mark", mit dem sich britische Unternehmen seit Kurzem zertifizieren lassen können. Nach dem Vorbild von Fair-Trade-Produkten bestätigt es unter anderem, dass Firmen ihre Abgaben nicht durch Geschäfte in Steueroasen oder komplizierte Transaktionen zwischen verschiedenen Ländern minimieren. Eine deutsche Entsprechung des Siegels gibt es noch nicht.

Markus Meinzer:
Steueroase Deutschland
Warum bei uns viele Reiche keine Steuern zahlen
C.H.Beck;
288 Seiten; 14,95 Euro.