Streit über Atomsteuer Forscher wirft Regierung Wettbewerbsverzerrung vor

CSU-Chef Horst Seehofer will die Atomsteuer abschaffen, damit die Energiekonzerne mehr in erneuerbare Energien investieren. Ökoforscher Felix Matthes zweifelt, dass E.on und Co die Milliarden für den richtigen Zweck verwenden - und warnt vor "Energie-Thatcherismus", der den Wettbewerb verzerrt.
Atomkraftwerk Philippsburg: Konzerne fordern Abschaffung der Brennelementesteuer

Atomkraftwerk Philippsburg: Konzerne fordern Abschaffung der Brennelementesteuer

Foto: Uli Deck/ dpa

Hamburg - Kurz vor dem entscheidenden Treffen zum Atomausstieg gibt es neuen Streit: CSU-Chef Horst Seehofer und andere Regierungsmitglieder fordern, eine milliardenschwere Steuer abzuschaffen, die auf den Kernbrennstoff von Atomkraftwerken erhoben wird. Die Konzerne bräuchten das Geld für Investitionen in die erneuerbaren Energien. Energieforscher Felix Matthes kritisiert diesen Vorstoß. Wer die Brennelementesteuer abschaffen wolle, betreibe "Energie-Thatcherismus", moniert der Forschungskoordinator des Öko-Instituts in einer internen Analyse.

Die frühere britische Premierministerin Thatcher war der Auffassung, man müsse Steuern kürzen, um Wachstum zu generieren - der Markt würde sich selbst regulieren. Kritiker sagen, diese Art der Politik habe hohe Arbeitslosigkeit, Wettbewerbsverzerrungen und Profitgier stimuliert. Matthes hält auch die Abschaffung der Brennstoffsteuer für wettbewerbsverzerrend. Schließlich müssten auch andere Unternehmen wie Stadtwerke in die Energiewende investieren - ohne zusätzlichen Anreiz.

Er halte es außerdem für "höchst zweifelhaft", dass ein Entgegenkommen bei der Steuer Investitionen in deutsche Ökostromprojekte befeuern würde, schreibt der Forscher. "In der Realität werden Entscheidungen bei allen Unternehmen strikt auf Projektbasis entschieden."

Tatsächlich sieht zum Beispiel E.on den Standort Deutschland für Ökostrom-Investitionen kritisch. "Es geht für uns immer darum: Wann lohnt sich welche Technologie in welchem Land am meisten?", sagte Klaus-Dieter Maubach, Vorstand für Forschung und Technik, im Interview mit SPIEGEL ONLINE. "Bei den erneuerbaren Energien lautet die Antwort im Moment selten Deutschland." Bis 2013 will E.on 3,6 Milliarden Euro in diesen Sektor investieren - den Großteil im Ausland. "In Deutschland müssen Hochsee-Windparks sehr weit draußen auf dem Meer gebaut werden", kritiserte Maubach. Für Solarenergie sei Spanien der bessere Markt - trotz der hohen Vergütung in Deutschland.

Die Bundesregierung hatte die Einführung der Brennelementesteuer erst im Herbst 2010 beschlossen - zusammen mit der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Da diese nun rückgängig gemacht wird, fordern die Energiekonzerne, auch die Steuer wieder abzuschaffen - und drohen mit juristischen Schritten. E.on-Chef will im Juni entscheiden, ob er gegen die Steuer für das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld klagt. Dieses ist zurzeit für Sicherheitschecks vom Netz und bekommt neue Brennelemente eingesetzt. Sobald es wieder in Betrieb geht, wird die Abgabe binnen vier Wochen fällig. In diesem Zeitraum soll über die Klage entschieden werden.

FDP gegen Steuerstopp

Matthes argumentiert, Steuer und Laufzeiten seien nicht aneinander gekoppelt. Ursprüngliche Motivation der Steuer sei schließlich gewesen, "einen Teil der Gewinne abzuschöpfen, die den Betreibern von Atomkraftwerken durch die Einführung von CO2-Zertifikate entstanden sind". Durch diese waren die Strompreise zwischenzeitlich erheblich gestiegen, wovon die Betreiber der emissionsarmen Atomkraftwerke erheblich profitierten.

Die Brennelementesteuer ist Teil eines Sparpakets, mit dem die Regierung die deutsche Staatsverschuldung eindämmen will. Ursprünglich sollte der Fiskus durch sie rund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr einnehmen. Da vermutlich noch in diesem Jahr 8 der 17 deutschen Atomkraftwerke dauerhaft stillgelegt werden, wären die Einnahmen auf 1,3 Milliarden gesunken. Das Finanzministerium erwägt, die Steuer so zu erhöhen, dass die Einnahmen trotzdem bei 2,3 Milliarden Euro liegen. Ihre Abschaffung dürfte es nicht goutieren - ebenso wenig die FDP. Schließlich fordern die Liberalen Steuererleichterungen für Bürger. Fielen die Einnahmen aus der Atomsteuer weg, gäbe es dafür weniger Spielraum.

Damit die Energiewende funktioniert, müssen in den kommenden Jahren neue Gaskraftwerke gebaut werden. Diese können sehr schnell hoch- und heruntergefahren werden und damit Schwankungen in der Stromerzeugung der erneuerbaren Energien gut ausgleichen. Allerdings werfen Gaskraftwerke nur wenig Profit ab - so dass für Investoren nur wenig Anreiz besteht, sie zu bauen. Matthes schlägt daher die Einführung einer sogenannten Kapazitätsprämie vor. Wer neue Gaskraftwerke baut, erhält demnach eine Prämie, dafür, dass er das Energiesystem stabilisiert. Diese beschert ihm auf seine Investition eine Rendite. Die Kosten tragen die Verbraucher - über Aufschläge auf ihre Stromrechnung. Da nur wenige Gaskraftwerke für die Energiewende gebaut werden müssten, wären die Kosten laut Matthes minimal.

ssu
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