Studie empfiehlt Reform der Krankenversicherung Ende der Privatkassen könnte gesetzlich Versicherte massiv entlasten

Die gesetzliche Krankenversicherung würde mit Privatversicherten ein Plus von neun Milliarden Euro jährlich erzielen. Die Beiträge gesetzlich Versicherter könnten laut einer Studie im Schnitt um 145 Euro sinken.
Wartezimmer eines Arztes in Minden

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Foto: Maurizio Gambarini/ picture alliance / dpa

Gesetzlich Krankenversicherte könnten pro Jahr im Schnitt 145 Euro gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber sparen, würden Privatversicherte in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) einbezogen. Durch die finanziell leistungsstärkeren privat versicherten Bundesbürger würde die GKV einen jährlichen Nettofinanzüberschuss von 8,7 Milliarden Euro erzielen und könnte die Beiträge daher spürbar senken, zeigt eine repräsentative Studie des Iges-Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung.

Laut der Untersuchung, die die Diskussion um die Einführung einer Bürgerversicherung befeuert, verdienen Versicherte in der privaten Krankenversicherung (PKV) - Gutverdiener, Beamte, einkommensstarke Selbstständige - durchschnittlich 56 Prozent mehr als gesetzlich Versicherte. Sie seien auch tendenziell gesünder. Wären sie in der GKV, könnte der Beitragssatz laut der Studie um 0,6 bis 0,7 Prozentpunkte sinken. In Europa leiste sich nur Deutschland ein duales System. Damit entzögen sich Privatversicherte einem Solidarausgleich, wie die Stiftung kritisierte.

Die Studie basiert auf den aktuellsten Daten aus dem Jahr 2016, einer jährlich durchgeführten Wiederholungsbefragung von rund 12.000 Haushalten. 2016 - wie auch aktuell - waren rund 8,8 Millionen Menschen privat versichert. Die GKV zählte 2016 rund 70,4 Millionen Versicherte, derzeit sind es vor allem zuwanderungsbedingt gut 73,2 Millionen, sagte Stiftungsexperte Stefan Etgeton.

Würde man alle im Jahr 2016 privat Versicherten in die GKV einbeziehen, ergäben sich hypothetische zusätzliche Beitragseinnahmen in Höhe von 38,6 Milliarden Euro pro Jahr, so die Analyse. Die zusätzlichen Gesamtausgaben beliefen sich auf knapp 30 Milliarden Euro. Die Privatversicherten würden nach dieser Rechnung also zusätzliche Beitragseinnahmen in die GKV einbringen, die höher ausfielen als die zusätzlichen Gesamtausgaben, die sie verursachen würden.

Gleiche man Ärzten die Honorarverluste aus, die ihnen ein PKV-Wegfall verursachen würde, geht die Simulation von einem um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte niedrigeren Beitragssatz aus. Dann würden GKV-Versicherte und ihre Arbeitgeber noch durchschnittlich um insgesamt 48 Euro im Jahr entlastet werden.

Ärzteangebot in Gebieten mit vielen Privatversicherten höher

Auch das Ärzteangebot dürfte sich verschieben bei einem generellen Wechsel Privatversicherter in die GKV. Das Iges-Institut untersuchte auch einen Zusammenhang zwischen der regionalen Verteilung Privatversicherter und der Niederlassung von Ärzten. Am Beispiel Bayern zeigt sich demnach, dass in Gegenden mit vielen Privatversicherten überdurchschnittlich viele Ärzte ihre Praxen haben. Ein ursächlicher Zusammenhang sei in der Studie nicht nachgewiesen worden. Die Autoren gehen jedoch davon aus, dass "die im Schnitt zweieinhalbfach höhere Vergütung ärztlicher Leistungen für Privatpatienten die Anreize für Ärzte verstärkt, sich in den bereits gut versorgten Gegenden mit vielen Privatversicherten niederzulassen".

Als Folge des dualen Systems warnte die Bertelsmann-Stiftung vor Solidaritätsverlusten und einer Schwächung des sozialen Zusammenhalts. "Der durchschnittliche GKV-Versicherte zahlt jedes Jahr mehr als nötig, damit sich Gutverdiener, Beamte und Selbstständige dem Solidarausgleich entziehen können", kritisierte Etgeton.

Daher fordert die Stiftung einen Umbau der Kranken- und Pflegeversicherung. Es solle leichter werden, von der PKV in die GKV zu wechseln. Ziel des Umbaus sei eine integrierte Kranken- und Pflegeversicherung, bei der alle Bürger pflichtversichert sind. Die Versicherungspflichtgrenze solle dafür aufgehoben werden. Die Beiträge sollten sich an der finanziellen Leistungsfähigkeit orientieren, nicht am individuellen Gesundheitsrisiko.

kig/dpa-AFX/AFP
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