Neue Berechnung der Deutschen Bahn Stuttgart 21 droht noch teurer und später fertig zu werden

Baustelle Stuttgart 21
Foto: Marijan Murat/ dpaDer Aufsichtsrat der Deutschen Bahn will am Freitag über die Zukunft des umstrittenen Großprojekts Stuttgart 21 entscheiden. 7,7 Milliarden Euro, das war die letzte Zahl, die der Bahnvorstand als Kostenprognose für die Verlegung des Kopfbahnhofes unter die Erde genannt hatte, 2024 sollte das Projekt fertig werden. Doch hinter den Kulissen bahnt sich an: Das Prestigeprojekt könnte auch acht Milliarden Euro reißen - und später fertig werden.
Nach Informationen des SPIEGEL hat Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla stellvertretend für die Konzernspitze vor der entscheidenden Sitzung im Berliner Bahntower den Aufsichtsräten ein Angebot unterbreitet: Man vergrößert den Risikopuffer bei der Kalkulation des Projekts auf eine halbe Milliarde Euro, gibt einen späteren Eröffnungstermin an und kommt dann insgesamt auf einen Finanzierungsrahmen von rund 8,2 Milliarden Euro. Demnach würde Stuttgart 21 erst im Jahre 2025 fertig - ein Jahr später, als die Bahn bislang eingeräumt hatte. Aus Bahnkreisen heißt es, Pofalla wolle ein realistisches Bild der Lage zeigen.
Den Vorschlag hat der Bahn-Manager und CDU-Politiker dem Kontrollgremium am Montag auf einem Workshop eröffnet. In Berlin ließen sich dabei Aufsichtsräte von Baufachleuten und Juristen haarklein berichten, wie es um Stuttgart 21 steht. Bislang hatte die Bahn-Spitze dem Aufsichtsrat eine Kostensteigerung von 6,5 auf 7,7 Milliarden Euro genannt. Diese Summe setzt sich zusammen aus den neu berechneten Baukosten plus einem Puffer für Risiken, die laut Sachverständigen mehr als 50 Prozent Eintrittswahrscheinlichkeit besitzen.
Die Bahn-Spitze hat nun aber Risiken unterhalb der 50 Prozent hinzugerechnet. Außerdem zieht eine Verlängerung der Bauzeit automatisch Mehrkosten nach sich, die Pofalla in die konservativere Kostenprognose mit einrechnen ließ. So kam der Bahnvorstand auf die 8,2 Milliarden Euro.
Denn eine Verzögerung von einem Jahr könnte bei dem umstrittenen Infrastrukturvorhaben schnell zusammenkommen. Die Aufsichtsräte sollen am Montag eine Reihe an möglichen Risiken zu hören bekommen haben. Da ging es unter anderem um fehlende Brandschutzgutachten etwa für den unterirdisch geplanten Bahnhof am Stuttgarter Flughafen, der Teil des Projekts ist. Auch stehen noch andere Genehmigungen für die vielen Tunnelbauten auf der Strecke aus. "Wenn es bei einer Genehmigung Probleme gibt, dann wird es nicht nur teurer, sondern ein Jahr Verzögerung kommen schnell zusammen", so berichtet ein Mitglied des Aufsichtsrats dem SPIEGEL.
Unklar, wer Mehrkosten zahlt
Der Vorstoß wäre ein Befreiungsschlag für die Bahn. Der Vorstand, so dessen Kalkül, könnte sich ehrlich machen, könnte darauf verweisen, dass man aus der Vergangenheit gelernt habe, in der man der Öffentlichkeit und dem Aufsichtsrat immer nur Berechnungen vorgelegt hatte, von denen man früh wusste, dass sie am Ende nicht ausreichen würden. Gleiches gilt für den Zeitpunkt der Eröffnung: Es könnte besser sein, ein späteres Datum zu nennen, das man am Ende nicht einhalten wird - weil man eher fertig geworden ist.
Wahrscheinlich ist allerdings, dass die Bahn am Ende auch den Termin im Jahre 2025 ausschöpfen muss. Sorgen bereitet ihr der mittlerweile berühmt-berüchtigte Anhydrit, eine Gesteinsart, durch die die Tunnelanlagen durchgetrieben werden müssen. Das Gestein zieht Wasser an und quillt auf. Die Aufsichtsräte hörten deshalb auf ihrem Workshop am Montag mehrere Stunden einem Professor zu, der in Europa als Koryphäe für diese Gesteinsart gilt. Sie ließen sich auch noch einmal ganz genau vorrechnen, was es kosten würde, das ganze Vorhaben abzublasen und zurück zu bauen. Sechs Milliarden Euro war die Antwort demnach. Schließlich sollen ihnen Juristen auch beantwortet haben, ob man sie als Aufsichtsräte persönlich haftbar machen könne, wenn es am Ende noch einmal teurer werden sollte.
Die Sorge ist durchaus berechtigt. Denn seit einiger Zeit schon überziehen die Gegner von Stuttgart 21 vor allem den Bahn-Vorstand einschließlich Chef Richard Lutz mit Klagen bei der Berliner Justiz.
In dieser Gemengelage müssen die Kontrolleure der Bahn nun am Freitag entscheiden, wie hoch sie die Mehrkosten inklusive einer Risikoreserve ansetzen. Auch die Frage muss beschieden werden, wer für die Mehrkosten aufkommen muss und wie sie zu finanzieren sein werden. Dabei ist unklar, ob sich der Aufsichtsrat dem Vorschlag anschließen wird, die noch höhere Bausumme von 8,2 Milliarden Euro abzusegnen.
Dagegen spricht, den Gegnern des Projekts neue Nahrung zu geben. Zu befürchten ist zudem, dass die am Bau beteiligten Firmen die höhere Summe als Signal nehmen, noch höhere Rechnungen zu stellen. Auch könnte sich die neue Summe negativ auf die Ausgabendisziplin der Planer auswirken.
Auf Anfrage des SPIEGEL wollte sich die Deutsche Bahn unter Verweis auf die morgige Aufsichtsratssitzung nicht zu den neuen Kalkulationen äußern.