Bundesrechnungshof Stuttgart 21 könnte 50 Prozent teurer werden als zuletzt geplant

Neue Munition für die Kritiker von Stuttgart 21: Zehn Milliarden Euro könnte die Tieflegung des Hauptbahnhofs laut Bundesrechnungshof kosten. Veranschlagt waren 6,5 Milliarden Euro.
Von Wilfried Eckl-Dorna
Modell des neuen Stuttgarter Bahnhofs

Modell des neuen Stuttgarter Bahnhofs

Foto: DB Stadt Stuttgart/ dpa

Für das meistdiskutierte Infrastrukturprojekt Deutschlands, den neuen Berliner Flughafen, gibt es eine höchst informative Website. Flughafen-Berlin-Kosten  heißt sie ganz schlicht. Optisch beschränkt sie sich auf das Notwendige, inhaltlich ist sie entlarvend. Sie schlüsselt auf, welche Summen die Steuerzahler bisher in den neuen Hauptstadt-Airport gesteckt haben.

Bei knapp 4,8 Milliarden Euro steht der Zähler am 6. Juli 2016. Davon ließen sich, rechnet der Website-Betreiber Robert Hartl spitz vor, 600 Jahre Flugkosten der Bundestagsabgeordneten finanzieren - oder gleich drei gläserne Berliner Hauptbahnhöfe.

Der im bayerischen Passau lebende Robert Hartl bekommt vermutlich Schnappatmung, wenn er von der neuesten Kostenschätzung aus seinem Nachbarland Baden-Württemberg hört. Denn die in der Landeshauptstadt Stuttgart geplante Tieflegung und der Umbau des Hauptbahnhofs könnten doppelt so teuer werden wie die bislang aufgelaufenen Kosten für den verkorksten Berliner Airport.


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Nach Medienberichten könnte das Bahnprojekt Stuttgart 21 die Steuerzahler und die Deutsche Bahn bis zu zehn Milliarden Euro kosten - das wären über 50 Prozent mehr als die aktuell offiziell veranschlagten 6,5 Milliarden Euro. Nach Informationen von "Stuttgarter Zeitung"  und "Stuttgarter Nachrichten"  geht davon der Bundesrechnungshof nach umfangreichen, mehr als dreijährigen Prüfungen aus. Dabei seien auch viele vertrauliche Unterlagen der Bahn gesichtet worden.

Finanzierung der Mehrkosten ist wohl noch völlig ungeklärt

Immerhin soll für das viele Geld einiges passieren: Die Schwaben werden ihren Kopfbahnhof in der Landeshauptstadt los, er wird in eine unterirdische Durchgangsstation umgebaut und an eine neue Schnellbahntrasse Richtung Ulm angebunden. Der Zeitplan dafür ist ehrgeizig: Bereits 2021 sollen die ersten Züge in den Tiefbahnhof rollen.

Die Finanzierung für das Großprojekt ist allerdings noch nicht auf Schiene. Nach Angaben der Zeitungen hat der Bundesrechnungshof die Bundesregierung bereits gewarnt, dass die Finanzierung der Mehrkosten in Milliardenhöhe völlig ungeklärt sei. Ein Sprecher des Bundesrechnungshofs lehnte eine Auskunft zu den Inhalten des Prüfberichts ab.

Beim Bahnprojekt Stuttgart-Ulm war am Dienstag keine Stellungnahme mehr zu bekommen. Die zögerlichen Informationen über Kostensteigerungen gelten als ein Grund für den überraschenden Rücktritt von Bahn-Vizechef Volker Kefer Anfang Juni.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hatte die Kostenschätzung eines Münchner Verkehrswissenschaftlers von 9,8 Milliarden Euro als nicht völlig unrealistisch bezeichnet. Den Zeitungen zufolge ist die vorläufige Prüfmitteilung der Bundesregierung zugeleitet worden, eine letzte Stellungnahme aus dem Haus von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) müsse noch eingearbeitet werden.

Schwäbische Keimzelle der Wutbürger-Bewegung

Stuttgart 21 ist aber nicht nur ein teures Projekt - es ist auch eines jener Infrastruktur-Vorhaben, das zahlreiche Bürgerinitiativen zu verhindern suchen. Proteste unter anderem gegen das Roden von Bäumen für Stuttgart 21 hatten bundesweit für Aufsehen gesorgt. Im Jahr 2010 waren mehr als hundert Demonstranten durch einen harten Polizeieinsatz verletzt worden. Die heftig geführte Debatte um das Für und Wider des Landeshauptstadt-Bahnhofs hat Deutschland um das schöne Wort des "Wutbürgers" bereichert.

Wütend sind nun nicht mehr nur die Bürger. In der Regierungskoalition und einigen Bundesländern wachse derweil der Ärger wegen des überteuerten Projekts, schreiben die Zeitungen. Stuttgart 21 drohe andere Verkehrsvorhaben bundesweit mit seinen Mehrkosten zu kannibalisieren. Der Bahnexperte der Grünen im Bundestag, Matthias Gastel, warnte, dass S21 zum "Fass ohne Boden" für den Bund und die Finanzierung von Schienenprojekten bundesweit werden könnte.

mit Material von dpa-afx
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