Stuttgart 21 und EnBW Grün-Rot erbt die doppelte Kostenfalle

Auf die Euphorie des Wahlsiegs folgt nun die Last des Regierens: Grüne und SPD kämpfen in Baden-Württemberg mit milliardenschweren Problemen. Ein Ausstieg aus dem Großprojekt Stuttgart 21 wäre teuer - und dem frischverstaatlichten Energieriesen EnBW droht ein massiver Wertverlust.
Stuttgart-21-Gegner: Bürger sollen über Großprojekt abstimmen

Stuttgart-21-Gegner: Bürger sollen über Großprojekt abstimmen

Foto: CHRISTOF STACHE/ AFP

Die Grünen erzielten ihr historisch bestes Ergebnis bei einer Wahl, sie können erstmals eine Landesregierung anführen und degradieren die Sozialdemokraten zum Juniorpartner.

Bedeutet die grüne Revolution im Südwesten der Republik nun auch das Ende für das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21? Im Wahlkampf standen die Grünen noch geschlossen an der Seite der S21-Gegner. Ihr Versprechen: Die Baden-Württemberger sollen über das Projekt abstimmen dürfen. Ein negatives Votum würde alles verändern.

Doch damit könnten auch die Grünen echte Probleme bekommen: Ein Stopp von Stuttgart 21 dürfte fast zwingend eine Schadensersatzklage der Bahn nach sich ziehen. Immerhin gibt es bindende Verträge. Für die Kosten müsste dann der Steuerzahler einspringen.

Stuttgart 21 ist nur eine der großen Baustellen, die der künftige Ministerpräsident Winfried Kretschmann angehen muss. Die zweite ist nicht weniger heikel: Noch-Amtsinhaber Stefan Mappus hat im Wahlkampf den Energieriesen EnBW verstaatlicht.

Nach der Katastrophe in Japan ist das Geschäftsmodell des Atomkonzerns gefährdet - und damit auch die Finanzierung des 5,9 Milliarden Euro teuren Kaufs durch das Land. Eigentlich sollte sich das Geschäft von selbst finanzieren: Mit der Dividende von EnBW sollte der Kredit für den Kauf bedient werden. "Wenn die Dividenden geringer sind als die Zinsen, fällt uns das auf die Füße", sagte Kretschmann am Montag. Klar sei, "dass wir da eine schwere Hinterlassenschaft schultern müssen".

Stuttgart 21 und EnBW - zwei Problembereiche, die für die Grünen eine schwere Hypothek bedeuten. Wie teuer könnte beides im schlimmsten Fall werden? Ein Überblick.

Stuttgart 21 - wie teuer wäre der Abbruch?

Seit mehr als zehn Jahren sorgt der neue unterirdische Bahnhof für Streit in Stuttgart. Im vergangenen Jahr ging der Bau jedoch in die heiße Phase, die Proteste verschärften sich, es entstand schließlich eine Volksbewegung gegen das Großprojekt.

Nutznießer sind nun die Grünen. Doch sie stehen auch im Wort: Einfach an Stuttgart 21 festhalten und den Wahlkampf Wahlkampf sein lassen, geht nicht. Der Höhenflug der Öko-Partei würde bei den kommenden Wahlen jäh gestoppt werden.

Doch die Alternative ist auch nicht gerade komfortabel. Die Grünen müssten ein Bauprojekt stoppen, das bereits auf Hochtouren läuft und dessen Gesamtkosten auf 4,5 Milliarden Euro beziffert werden. Bahn und Bundesregierung, die zusammen zwei Drittel der Kosten tragen, pochen auf unterschriebene und damit bindende Verträge.

Sollte Baden-Württemberg doch noch aussteigen, drohen dem Land Schadensersatzforderungen zwischen einer und 1,5 Milliarden Euro. Das wäre etwa so viel wie der Anteil, mit dem das Land sich an Stuttgart 21 beteiligt. Mit anderen Worten: Die Landesregierung müsste genauso viel zahlen wie jetzt auch, bekäme aber keinen neuen Bahnhof. Attraktiv ist das nicht.

SPD hofft auf Zustimmung für S21

Dazu kommt: Ein neuer Kopfbahnhof, wie ihn sich die S21-Gegner wünschen, würde weiteres Geld verschlingen. Laut "Stuttgarter Zeitung" kursieren bei den Grünen Pläne, sich mit der Bahn auf einen Kompromiss zu einigen. Dieser sehe vor, den Stuttgarter Kopfbahnhof per Tunnel an die Schnellbahnstrecke nach Ulm anzuschließen. Bahn-Chef Rüdiger Grube würde seine ICE-Trasse bekommen und der Kopfbahnhof bliebe erhalten.

Die SPD hält dagegen weiterhin an S21 fest. Ihr designierter Wirtschaftsminister Claus Schmiedel spricht sich trotzdem für eine Volksbefragung aus: "Wir machen jetzt erst einmal den Stresstest, der zeigen wird, ob der geplante Bahnhof groß genug ist. Und dann sehen wir, ob nachgerüstet werden muss." Danach sollen die Baden-Württemberger befragt werden. Schmiedel gibt sich optimistisch, dass die Bürger sich mehrheitlich für das Projekt aussprechen.

Und wenn nicht? Da gibt Schmiedel sich fatalistisch: "Wenn die Bürger lieber 1,5 Milliarden Euro für Schadensersatz ausgeben als für den Bahnhof, dann sind sie von dem Projekt einfach nicht zu überzeugen."

EnBW - welche Kosten drohen beim Energieriesen?

Stefan Mappus hatte den Kauf als Wahlkampf-Coup geplant. Tatsächlich entpuppte sich die Übernahme der EnBW-Mehrheit als Katastrophe für den atomfreundlichen CDU-Ministerpräsidenten. 4,7 Milliarden Euro hat das Land für den Stromkonzern gezahlt, weitere 1,2 Milliarden dürften noch dazukommen. EnBW erzeugt seine Energie zu 51 Prozent aus vier Atomkraftwerken. Mit Philippsburg 1 und Neckarwestheim 1 sind zwei Meiler seit kurzem stillgelegt. Dass sie nach dem Moratorium der Bundesregierung wieder ans Netz gehen, gilt als unwahrscheinlich.

Schon die dreimonatige Zwangspause kostet EnBW 500 Millionen Euro Umsatz. Soll der Konzern tatsächlich auf erneuerbare Energien umgerüstet werden, wird das noch teurer. Grüne und SPD wissen das. Und sie wissen auch, dass Mappus' Rechnung, den Kredit für den Kauf über die Dividende des Konzerns zu finanzieren, nach Fukushima nicht mehr aufgehen wird.

Um 30 Prozent darf die Dividende sinken, damit sie die Zinsen des Milliardenkredits noch finanziert. Das hat die Mappus-Regierung den Grünen kürzlich mitgeteilt. Doch angesichts der massiven Umbrüche, die bei dem Atomkonzern anstehen, könnte die Ausschüttung noch stärker zurückgehen.

"Müssen kurzfristig Landesgelder einsetzen"

"In diesem Jahr können wir die Zinsen wohl noch aus der Dividende bedienen", sagt Franz Untersteller, der bei den Grünen als Umweltminister gehandelt wird. Doch schon im kommenden Jahr, vor allem aber 2013 und 2014 dürfte der Steuerzahler für den Milliardenkauf einspringen müssen. "Ich befürchte, dass wir bereits kurzfristig Landesgelder einsetzen müssen", sagt auch Claus Schmiedel, SPD-Kandidat für das Wirtschaftsministerium.

Er schlägt vor, ein eigenes Konto einzurichten, mit dem das Minus der landeseigenen Tochtergesellschaft Neckarpri ausgeglichen werden könne. Auf dieses Konto müsse diese dann aber auch wieder einzahlen, wenn sich die Situation bei EnBW entspannt. Wie stark die EnBW-Beteiligung den Haushalt belastet, darüber wollen die Politiker nicht spekulieren. Klar ist aber, dass die Verluste mindestens im dreistelligen Millionenbereich liegen dürften.

Von einem Verkauf, den Mappus anstrebte, haben sich SPD und Grüne derweil längst verabschiedet. Schätzungen gehen davon aus, dass das Unternehmen im Falle eines kompletten Ausstiegs aus der Atomenergie 30 Prozent seines Wertes verlieren könnte.

Die Anteile an die Börse zu bringen, halten die künftigen Koalitionäre deshalb für gefährlich. Und kommunale Partner zu finden, sei aufgrund der schwierigen Lage des Konzerns ausgeschlossen. "Die Stadtwerke setzen alle auf erneuerbare Energien", sagt einer aus dem grün-roten Lager. "Da hat doch keiner Interesse, sich bei einem Atomkonzern einzukaufen."

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