Banker-Boni "Das System macht die Händler zu asozialen Menschen"
Die EU will die Boni für Banker begrenzen - doch reicht das aus, um die Gier-Kultur in den Handelssälen zu beseitigen? Der Schweizer Psychiater Thomas Noll hat das Verhalten von Börsenhändlern untersucht. Im Interview erzählt er, warum das System die Menschen verdirbt.
SPIEGEL ONLINE: Herr Noll, machen Bonuszahlungen Banker zu schlechteren Menschen?
Noll: Das kann man so pauschal nicht sagen. Es ist ja durchaus sinnvoll, Anreize zu setzen. Aber wenn die Boni-Systeme schlecht gestaltet sind oder wenn die Höhe maßlos wird, dann kann das die Banker korrumpieren.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben das Kooperationsverhalten von Börsenhändlern untersucht und sind zu einem erschreckenden Ergebnis gekommen: Die Händler verhielten sich nicht nur egoistischer und rücksichtsloser als normale Menschen, sondern schnitten sogar schlechter ab als Psychopathen. Wie erklären Sie sich das Ergebnis?
Noll: Die Händler wiesen insgesamt weniger psychopathische Merkmale auf als die Normalbevölkerung. Aber sie haben sich in unserer Untersuchung trotzdem deutlich egoistischer und asozialer verhalten als die anderen Gruppen. Das lässt darauf schließen, dass dieses Verhalten eben nicht durch eine Persönlichkeitsstörung bedingt ist, sondern sich bei der Arbeit in den Handelssälen entwickelt.
SPIEGEL ONLINE: Der Fehler liegt also im System?
Noll: Das System macht die Händler zu asozialen Menschen. In der Psychiatrie gibt es eine Theorie, die zwischen Persönlichkeitstätern und Situationstätern unterscheidet. Bei den Angehörigen der ersten Gruppe sind die Risikoeigenschaften fest in ihrer Persönlichkeit verankert, sie suchen aktiv Situationen, in denen sie ihre Ruchlosigkeit ausleben können. Die Situationstäter hingegen weisen keine oder nur leichte Auffälligkeiten auf. Sie werden erst durch die Situation zu einem Risiko. So wie die Börsenhändler. Diese sind sehr jung, wenn sie in die Banken kommen - und lassen sich dann leicht beeinflussen. In unserer Studie zeigte sich, dass es ihnen oft sogar wichtiger war, ihren Konkurrenten zu schaden, als selbst Gewinne zu machen.
SPIEGEL ONLINE: Was ist denn an der Kultur in den Handelssälen so schlimm, dass es die Menschen zu einem Risiko macht?
Noll: Die Welt der Händler ist sehr stark auf Geld fokussiert. Das ist ihr Job - aber es nimmt ungesunde Ausmaße an. Exzessive Boni tragen dazu bei, die Leute zu korrumpieren. Es gibt keine richtigen Hierarchien, Titel zählen wenig. Die Händler können sich nur durch Geld und Statussymbole definieren.
SPIEGEL ONLINE: Die EU will die Boni für Banker auf das Zweifache des Festgehalts begrenzen
Noll: Das ist ein Zeichen gegen die Gier, es hat aber eher symbolischen Charakter. Die Bevölkerung sieht, dass der Staat reagiert. Das dient dem sozialen Frieden. Am Verhalten der Trader wird es aber zumindest kurzfristig nichts ändern.
SPIEGEL ONLINE: Experten befürchten, dass die Banken einfach die Fixgehälter anheben und die Gesamtvergütung dadurch kaum sinkt.
Noll: Genau das ist das Problem. Wenn die Vorgesetzten nun schon wieder nach Wegen suchen, die Regeln zu umgehen, verleiten sie auch die jungen Börsenhändler zu unethischem Verhalten.
SPIEGEL ONLINE: Wie kann man das Bonus-System reformieren, um gesündere Anreize zu setzen?
Noll: Ich habe nie verstanden, warum die Bonus-Systeme nicht mit einem Malus-System kombiniert werden. Aktuell können die Banker viel riskieren ohne Angst vor Konsequenzen zu haben. Bei Fehlspekulationen werden sie nicht selbst zur Kasse gebeten. Das widerspricht völlig dem marktwirtschaftlichen Grundgedanken.
SPIEGEL ONLINE: Institute wie die Deutsche Bank schicken ihre Mitarbeiter nun in Ethikseminare. Ist das der richtige Weg, um die Kultur in den Handelsräumen zu verändern?
Noll: Ein Ethikseminar alleine wird nicht viel bringen, aber es ist zumindest ein Zeichen. Es geht um eine Kombination von Mitteln. Die Haltung der Chefs muss sich ändern. Sie müssen den Verhaltenskodex aufwerten und bei Fehlverhalten eine konsequente Null-Toleranz-Politik fahren. Vor allem aber müssen die Chefs in ihrem eigenen Verhalten Vorbilder sein.
Das Interview führte Stefan Kaiser