Troika-Bericht Europa muss Griechenland-Hilfe aufstocken

Die Griechen machen Fortschritte, doch die Genesung ist nicht in Sicht - das ist das Ergebnis des Fortschrittsberichts von EU-Kommission, EZB und IWF. Weil sich das Land im kommenden Jahr nicht am Kapitalmarkt finanzieren kann, sind neue Milliardenhilfen der Europäer unausweichlich.
Protest gegen Sparmaßnahmen: Griechenland am Abgrund

Protest gegen Sparmaßnahmen: Griechenland am Abgrund

Foto: YIORGOS KARAHALIS/ REUTERS

Hamburg/Berlin - Gerade mal neun Seiten umfasst der Bericht von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank ( EZB) und Internationalem Währungsfonds ( IWF) - doch einige Passagen haben es in sich. Es sei unwahrscheinlich, dass sich Griechenland bereits 2012 wieder Geld an den Finanzmärkten leihen könne, steht in dem Dokument, das SPIEGEL ONLINE vorliegt.

Im Klartext heißt das: Europas Steuerzahler werden die Griechen wohl weit länger mit Milliarden päppeln müssen als ursprünglich geplant.

Eigentlich sollte Griechenland ab 2012 wieder auf eigenen Füßen stehen. Bis dahin zahlt die sogenannte Troika aus Europäischer Kommission, EZB und IWF dem hochverschuldeten Staat in regelmäßigen Abständen Geld. Ohne diese Hilfen wäre Griechenland faktisch pleite. Denn am Finanzmarkt würde dem Land derzeit wohl niemand Geld leihen - und wenn, dann nur zu sehr hohen Zinsen. Zu groß erscheint Investoren das Risiko.

Eine Insolvenz Griechenlands aber halten viele Experten für nicht verkraftbar. Manche fürchten für diesen Fall ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone - und weltweite Verwerfungen an den Finanzmärkten, die die Folgen des Lehman-Brothers-Crashs noch übertreffen könnten. Der Zusammenbruch der US-Bank hatte die weltweite Finanzkrise ausgelöst.

Laut Troika-Bericht wird es für die Griechen schwierig, das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen. "Die Rezession scheint etwas tiefer und länger auszufallen als anfangs angenommen", heißt es in dem Bericht. Die Wirtschaftsaktivität sei 2010 um 4,5 Prozent geschrumpft - stärker als zum Start des Rettungsprogramms angenommen.

Die Europäer hatten 2010 ein 110 Milliarden Euro schweres Rettungspaket für Griechenland geschnürt. Die Auszahlung der Milliardenhilfen erfolgt in Tranchen - jede neue Hilfe ist an bestimmte Sparbedingungen geknüpft. Jedes Mal, wenn Geld fließt, muss das Land sich ein Stück saniert haben.

Fortschritte - aber zu wenig Wachstum

Doch die Reformen zum Abbau der gewaltigen Schulden - derzeit sind es rund 350 Milliarden Euro - sind ins Stocken geraten. Die Regierung mache zwar "Fortschritte bei der Beseitigung seiner makroökonomischen und fiskalischen Ungleichgewichte", heißt es in dem Bericht. Allerdings sei die Umsetzung notwendiger Reformen in den letzten Quartalen zum Stillstand gekommen. "Neue Impulse" seien nötig, um die ausufernde Neuverschuldung der Griechen zu bekämpfen. Strukturreformen, die die wirtschaftliche Erholung unterstützen, müssten stärker vorangetrieben werden.

2010 hatte die griechische Neuverschuldung 10,5 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Das ist enorm viel. Erlaubt sind laut EU-Stabilitätspakt gerade mal drei Prozent. Der Abbau der Schulden aber erweist sich als großes Problem: Denn dafür muss der Staat möglichst viel Geld einnehmen. Sprich: Die Wirtschaft muss wachsen. Das aber ist bei dem harten Sparprogramm, dass die Regierung durchzieht, nur schwer möglich.

Entsprechend düster ist der Konjunkturausblick der Troika: Zwar deute einiges darauf hin, dass Griechenlands Wirtschaft derzeit wieder ins Gleichgewicht zurückfinde und die Quartale mit der stärksten Schrumpfung bereits vorüber sein könnten, heißt es in dem Bericht. "Allerdings wird für die zweite Hälfte des Jahres 2011 noch von einer weiteren Schrumpfung ausgegangen." Das Wachstum des realen BIP für 2011 wird mit minus 3,8 Prozent veranschlagt. Positive, wenngleich moderate, Wachstumsraten werden erst 2012 erwartet (siehe Tabelle).

Makroökonomischer Rahmen

2010 2011 2012 2013 2014
Reales BIP (Wachstumsrate) -4,5 -3,8 0,6 2,1 2,3
Beitrag Binnennachfrage* -7,7 -6,6 -2,0 1,0 1,4
Nettobeitrag Handel 2,3 2,7 2,6 1,1 0,9
Beschäftigung (Wachstumsrate) -2,1 -3,2 -0,3 0,9 0,7
Arbeitslosenquote (in % der Erwerbsbevölkerung) 9,1 11,5 14,5 15,0 14,5
Netto- Auslandsverbindlichkeiten (% des BIP) -129,5 -140,5 -144,3 -144,3 -143,1
* ohne Bestandsveränderung und Nettozugang an Wertsachen
Quelle: Dienststellen der Kommission.

Die Troika aber stellt das vor ein großes Problem. Einem seiner Partner - dem IWF - sind angesichts der aktuellen Aussichten die Hände gebunden. In den IWF-Statuten ist festgelegt, dass die Organisation nur dann Kredite vergeben kann, wenn sichergestellt ist, dass ein Land für die nächsten zwölf Monate seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann.

Doch das ist, wie die Troika jetzt festgestellt hat, illusorisch. Das aber bedeutet: Der IWF kann schon jetzt kein Geld mehr auszahlen - so lange nicht, bis eine Insolvenz Griechenlands für die kommenden zwölf Monate definitiv ausgeschlossen ist. "Die nächste Auszahlung kann nicht stattfinden, bevor das Problem dieser Unterfinanzierung gelöst ist", heißt es denn auch in dem Bericht.

Das aber bedeutet: Europa wird ein neues Rettungspaket schnüren müssen. Finanzminister Wolfgang Schäuble bezifferte den Refinanzierungsbedarf für die Jahre von 2012 bis 2014 nach Angaben aus Koalitionskreisen am Mittwochabend mit 90 Milliarden Euro. Die gleiche Summe nannte der luxemburgische Premier und Schatzminister Jean-Claude Juncker. Die von Athen geplanten Privatisierungen sollten für ein Drittel der derzeit benötigten Finanzmittel ausreichen und 30 Milliarden Euro einbringen, teilte er am Mittwoch nach einer Telefonkonferenz der Finanzminister der Euro-Zone mit.

Das stellt die Mitgliedstaaten vor eine Herausforderung. Sie müssen ihre Parlamente von dem Vorhaben überzeugen. Eine schwierige Aufgabe, vor allem für die Bundesregierung. Denn hierzulande werden weitere Finanzhilfen sehr kritisch gesehen.

Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Schäuble haben am Mittwoch nach Angaben von Teilnehmern in den Fraktionen von Union und FDP für das neue Hilfspaket geworben. Zugleich stellte sich Merkel hinter den Vorstoß von Wolfgang Schäuble, die privaten Gläubiger im Rahmen eines neuen Rettungspakets zu beteiligen. Auch der Finanzminister habe nach Angaben von Teilnehmern in der FDP-Fraktion unter diesen Bedingungen für eine erneute Unterstützung Griechenlands geworben.

Mit Material von Reuters und dpa
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