Freihandels-Streit Wo TTIP feststeckt - und warum

Container im Hafen von Miami
Foto: © Carlo Allegri / Reuters/ REUTERS"Da bewegt sich nichts": Mit dieser Begründung hat Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel am Wochenende die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) für "de facto gescheitert" erklärt. Am Dienstag bekräftigte er seine Darstellung, die amerikanischen Verhandlungspartner hätten keinerlei Entgegenkommen gezeigt. Deshalb sei nicht mehr mit einer Einigung zu rechnen.
Offiziell laufen die TTIP-Gespräche natürlich noch - das beeilten sich Bundeskanzlerin und Wirtschaftsverbände ebenso zu betonen wie der US-Handelsbeauftragte Michael Froman.
Wie also kommt Gabriel zu seiner vorzeitigen Absage? Wie viel Unterstützung hat er? Und sind die Gespräche damit tatsächlich schon gescheitert? Die wichtigsten Fragen im Überblick:
Wie weit sind die Verhandlungen?
In den vergangenen drei Jahren haben EU und USA in insgesamt 14 mehrtägigen Runden über TTIP verhandelt, zwischendrin gab es Videokonferenzen von Experten und inoffizielle Treffen. Dabei wurden alle wichtigen Fragen debattiert. Zu den 27 bis 30 geplanten Kapiteln des Abkommens lagen bis Ende Juli 15 sogenannte konsolidierte Texte vor, in denen beide Seiten ihre Angebote und erste Bewertungen zusammenführen.
Eine Einigung aber gibt es offiziell bislang zu keinem einzigen Kapitel - so steht es in einer Bestandsaufnahme, die das Wirtschaftsministerium am 9. August an die übrigen Ressorts verschickt hat. Damit begründet man nun in Gabriels Haus auch die De-facto-Absage des Ministers an weitere Gespräche: Es gebe "in wichtigen Punkten keine Bewegung von Seiten des amerikanischen Verhandlungspartners", sagte ein Sprecher am Montag. "Es gibt auch bislang noch keine, auch keine vorläufig vollständige, Einigung für eines der 27 Kapitel."
Wie zerstritten die Verhandlungspartner in einzelnen Punkten tatsächlich sind, ist aber nicht immer nachvollziehbar. Zwar können Mitglieder von Bundestag und Bundesrat konsolidierte Texte in einem auf Betreiben von Gabriel eingerichteten Leseraum studieren. Doch wann genau einzelne Unterlagen dort landen, ist den Verhandlungspartnern überlassen - und dürfte auch von Taktik bestimmt sein.
Fragwürdig ist vor diesem Hintergrund Gabriels Aussage, die Amerikaner hätten die Gespräche durch mangelndes Entgegenkommen "aktiv beendet". Mit derselben Argumentation ließen sich jedenfalls auch viele Koalitions- oder Tarifverhandlungen bis kurz vor Schluss abbrechen.
Warum sind die Verhandlungen ins Stocken geraten?
Streitpunkte gibt es viele. Im Wirtschaftsministerium wird besonders auf die öffentliche Beschaffung und den Investitionsschutz verwiesen.
- Private Schiedsgerichte, vor denen Investoren wegen Regierungsentscheidungen auf Schadensersatz klagen können, waren von Anfang an ein besonders kritischer Teil des Abkommens. Die EU will sie durch einen ständigen Schiedsgerichtshof ersetzen, vor dem Staaten im Gegensatz zum bisherigen Verfahren in Berufung gehen können. Die USA sehen das nach Angaben aus Regierungskreisen ebenso kritisch wie das geplante Auswahlverfahren für Richter.
- Ähnlich heikel ist die öffentliche Beschaffung, also die Frage, inwieweit Unternehmen künftig Zugang zu staatlichen Aufträgen auf der anderen Seite des Atlantiks bekommen. In den USA gelten oft sogenannte Buy-American-Klauseln, die Behörden zum Kauf bei einheimischen Herstellern verpflichten. Einen Großteil dieser Käufe tätigen Bundesstaaten oder Kommunen. Bislang zeigen die US-Verhandler offensichtlich keinerlei Bereitschaft, diese Ebenen in die Marktöffnung einzubeziehen.
- Weit auseinander liegen die Positionen auch bei Zöllen. Hier wollen die Europäer Ausnahmen für bestimmte Agrarzölle, die USA für manche Autozölle. Ähnlich strittig ist der künftige Umgang mit Finanzdienstleistungen, bei denen der US-Verbraucherschutz als strenger gilt.
- Kaum Bewegung gibt es schließlich auch bei Markenrechten: Hier würden die Europäer ihr System geografisch geschützter Herkunftsbezeichnungen am liebsten auch für den US-Markt durchsetzen. Die Amerikaner wollen dagegen auch weiterhin Champagner aus Kalifornien oder Nürnberger Würstchen aus Nebraska kaufen können.
Wer ist für und wer gegen TTIP?
Die wichtigsten Unterstützer von Gabriels Absage an TTIP kommen aus der eigenen Partei und deren Umfeld. Die SPD-Linke lehnt TTIP ebenso ab wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Letzterer gehört zu den Organisatoren mehrerer Großdemos, zu denen ein breites Bündnis von TTIP- und Ceta-Gegnern am 17. September eingeladen hat. Ein ähnlicher Protestmarsch in Berlin zog im vergangenen Jahr rund 150.000 Menschen an - ein großer Erfolg für die Veranstalter. Einzelne Teilnehmer sorgten allerdings für schrille Töne, indem sie Gabriel mit einem Galgen drohten. Schließlich war der Wirtschaftsminister damals noch ein entschiedener Befürworter von TTIP.
Im europäischen Ausland steht besonders die französische Regierung TTIP schon lange skeptisch gegenüber. Auf ihren Druck wurde der in Frankreich umfangreich subventionierte und reglementierte Kulturbereich weitgehend aus den Verhandlungen ausgeklammert. Doch die Regierung in Paris fürchtet beispielsweise auch um die heimische Landwirtschaft. Kurz nach Gabriels jüngsten Äußerungen forderte nun auch der französische Außenhandelsstaatssekretär Matthias Fekl einen Abbruch der Verhandlungen. Für sie gebe es "keine politische Unterstützung in Frankreich mehr".
Unterstützt wird TTIP dagegen insbesondere von Wirtschaftsvertretern, wobei die Begeisterung mit der Unternehmensgröße tendenziell zunimmt. Auch in der europäischen Bevölkerung insgesamt gibt es laut der letzten Eurobarometer-Umfrage eine Mehrheit von 58 Prozent für TTIP. Während besonders Deutsche und Österreicher das Abkommen ablehnen, sind unter anderem Litauer oder Rumänen klar dafür. Das dürfte auch daran liegen, dass die Bevölkerung in Mittel- und Osteuropa noch stärker auf mehr Wohlstand durch Handel hofft.
Wie unterscheiden sich TTIP und Ceta?
Sein Nein zu TTIP grenzt Gabriel klar vom Ja zum kanadisch-europäischen Abkommen Ceta ab. Er beklagt, die beiden Vertragswerke würden häufig verwechselt, zeigt sich aber sehr zuversichtlich, dass ein SPD-Parteitag Ceta im September absegnen wird. Tatsächlich unterscheidet sich Ceta in einer Reihe von Punkten von TTIP. Der vielleicht wichtigste: Den Schiedsgerichtshof, den die EU sich für TTIP wünscht, gibt es bei Ceta dank Nachverhandlungen schon.
Dennoch muss Gabriel mit internem Widerstand rechnen. Nach Ansicht von Matthias Miersch, Sprecher der Parteilinken, "kann kein sozialdemokratisches Mitglied eines Parlaments diesem Abkommen in der vorliegenden Fassung zustimmen". Seine Ablehnung begründet Miersch unter anderem mit der mangelnden Definition von Rechtbegriffen in Ceta. Als Anwalt habe er selbst erlebt, wie sehr es auf deren Auslegung ankomme.
Tatsächlich zeigt die Analyse früherer Entscheidungen, dass verschiedene Schiedsgerichte in derselben Frage zu gegenteiligen Ergebnissen kommen können. Auch im Fall von Ceta ist beispielsweise unklar, wie weit ein zugesagter Schutz von öffentlichen Versorgungsunternehmen vor Klagen wirklich geht.
Entscheidend an Ceta dürfte denn auch noch etwas anderes sein: Im Gegensatz zu TTIP ist das Abkommen ausverhandelt - und für Gabriel damit deutlich schwerer zu stoppen.
Sind die Verhandlungen jetzt am Ende?
Nein, denn unmittelbar verhandeln weder Gabriel noch Merkel über TTIP, sondern die EU-Kommission. Diese könnte sich nach wie vor entscheiden, eine 15. Verhandlungsrunde und schließlich ein sogenanntes Endspiel über das Abkommen zu beginnen. Vorher wollen EU-Verhandlunsführerin Cecilia Malmström und ihr US-Pendant Froman aber am 22. und 23. September mit den EU-Handelsministern eine Zwischenbilanz ziehen.
Die Zeit drängt für die Verhandler auch wegen der anstehenden Präsidentschaftswahlen. Im Vergleich zu Barack Obama haben sich sowohl Donald Trump als auch in geringerem Maße Hillary Clinton als Freihandels-Skeptiker positioniert. Dass Europäer und Amerikaner unter diesen Vorzeichen noch einen Kompromiss finden, ist nach den jüngsten Äußerungen von Gabriel allerdings nicht wahrscheinlicher geworden.