Recep Tayyip Erdogan
Foto: Pool Presdential Press Service/AP/dpaDer rasante Abwärtstrend der türkischen Währung geht weiter. In der Nacht zum Donnerstag erreichte der Kurs der Lira Tiefstände im Handel mit dem Dollar und mit dem Euro. Zeitweise mussten für einen Dollar 4,97 Lira und für einen Euro 5,82 Lira gezahlt werden.
Als Gründe für den Wertverfall der türkischen Währung gelten ein starker Anstieg der Inflation sowie die Sorge der Finanzmärkte vor einer wachsenden Kontrolle der Notenbank des Landes durch den Staatspräsidenten. Seit dem frühen Morgen konnte sich der Kurs der Lira wieder ein Stück weit erholen.
Am Vormittag hat der türkische Finanzminister Berat Albayrak einen Versuch unternommen, die Märkte zu beruhigen. In einem von der Nachrichtenagentur Anadolu zitierten Interview bezeichnete der Minister die Spekulationen über ein Ende der Unabhängigkeit der türkischen Notenbank als "unakzeptabel". Albayrak ist der Schwiegersohn von Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Erdogans Dekret schürt Sorgen der Anleger
Zuletzt verstärkte ein Dekret von Präsident Erdogan die Furcht der Anleger vor einer wachsenden Kontrolle über die Geldpolitik. Es ermächtigt Erdogan, den Präsidenten und den Vizepräsidenten der Zentralbank alleine zu ernennen. Außerdem wird durch das Dekret die Amtszeit der beiden Spitzennotenbanker des Landes von bisher fünf auf nur noch vier Jahre verkürzt.
Darüber hinaus belastet eine hohe Inflation die türkische Währung. Laut jüngster Daten betrug die Teuerung im Juni mehr als 15 Prozent. Dies setzt die Notenbank des Landes unter Druck. Die Währungshüter versuchen, mit einem Anstieg der Leitzinsen die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Erdogan ist aber ein Gegner hoher Zinsen, die als klassisches Instrument zur Inflationsbekämpfung gelten.
"Die Stunde der Wahrheit für die Lira"
Die nächste Zinsentscheidung der Notenbank ist am 24. Juli. Nach Einschätzung der Devisenexpertin Antje Praefcke von der Commerzbank ist es "die Stunde der Wahrheit für die Lira". Sollten sich jüngste Aussagen Erdogans bewahrheiten und die Zinsen in der Türkei in der nächsten Zeit tatsächlich sinken, dann sei der Absturz der Lira, den wir zuletzt gesehen haben, wahrscheinlich nur "ein lächerlicher Abklatsch" dessen, was ihr künftig drohen könnte.
Erdogan drängt die Zentralbank regelmäßig dazu, die Leitzinsen nicht zu erhöhen. Zuletzt hatte der Präsident sogar die Möglichkeit sinkender Zinsen in den Raum gestellt.
Eine Erhöhung der Zinsen gilt als wichtiges Mittel zur Stabilisierung der Währung, doch Erdogan fürchtet in diesem Fall einen Einbruch des Wirtschaftswachstums.
Am 24. Juni wurde Erdogan für eine weitere Amtszeit als Staatschef wiedergewählt. Durch das neue Präsidialsystem verfügt er über mehr Macht als alle seine Vorgänger der vergangenen Jahrzehnte.
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Und dann kam die AKP: Die Grafik zeigt deutlich, dass sich die ausländischen Direktinvestitionen in der Türkei nach dem ersten Wahlsieg der AKP 2002 nach einem anderen Muster als zuvor entwickelten. Allerdings sind sie inzwischen auch wieder weit entfernt von ihrem Allzeithoch von 22 Milliarden Dollar: Zuletzt haben der Putsch und das harsche Vorgehen von Präsident Erdogan gegen seine Kritiker Investoren verschreckt.
Aufholjagd: Die Türkei hat ihre Wirtschaftskraft in den vergangenen Jahren verdreifacht. Pro Kopf gerechnet vergrößerte sich zuletzt allerdings der Abstand zu Industrienationen wie Deutschland wieder.
Einer der Gründe für die Popularität der AKP-Regierungen bei vielen Bürgern und Investoren: In ihre Amtszeiten fällt die drastische Reduzierung der früher chronisch hohen Inflationsraten in der Türkei. Eine niedrige Preissteigerung ist wichtig, damit Firmen und Bürger Planungssicherheit haben. Allerdings hat die Zentralbank zuletzt einen ungewöhnlich starken Anstieg der Inflation zugelassen, auf rund 12 Prozent. Eigentlich hat sie verkündet, eine Zielmarke von lediglich fünf Prozent zu verfolgen.
Reiseland Türkei: Binnen weniger Jahre hat sich die Zahl der Türkeitouristen verdreifacht. Nach einem schweren Einbruch - 2016 wurde die Türkei von schweren Bombenanschlägen und dem Putsch erschüttert - erholen sich die Urlauberzahlen wieder. Im kommenden Jahr will die Türkei wieder mehr als 30 Milliarden Dollar mit dem Tourismus verdienen.
Made in Turkey: Die Produktion von Fahrzeugen in der Türkei hat sich verdreifacht. Dazu trägt auch Daimler bei, der Konzern produziert in der Türkei Lkw. Nur 15 Prozent davon gehen an türkische Abnehmer, der Rest ins Ausland. Die Türkei ist für viele westliche Firmen ein Sprungbrett auf die Märkte des Nahen Ostens.
Die Türkei profitiert auch von einer positiven demografischen Entwicklung. Seit 1960 hat sich die Bevölkerungszahl fast verdreifacht.
Das Bevölkerungswachstum rührt nicht nur von einer hohen Geburtenrate. Auch die Lebenserwartung steigt. Starben Türken einst im Schnitt fast 20 Jahre früher als Menschen in Griechenland, beträgt der Abstand heute nur noch rund sechs Jahre.
Obwohl die türkische Wirtschaft seit Jahren wächst - und Millionen neue Jobs geschaffen hat - konnte die Regierung die Arbeitslosenquote nicht dauerhaft senken. Im Gegenteil: Weil immer mehr junge Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen, liegt sie heute sogar höher als zu Beginn der AKP-Ära.
Unerwarteter Erfolgsfaktor: Allgemein wird eine starke Wirtschaft auch mit einer stabilen Währung assoziiert. Die türkische Lira hingegen hat über die Jahre massiv abgewertet - und verliert gegenüber Dollar und Euro weiter an Wert. Den türkischen Exporteuren kommt das allerdings durchaus entgegen: Ihre Produktionskosten in der Türkei sind geringer - bei gleichbleibenden Erträgen in Europa.
Doch den türkischen Boom trägt mehr als nur die Reisebranche: Firmen in verschiedenen Sektoren sind in den vergangenen Jahren zu internationaler Wettbewerbsfähigkeit gereift. Unter den Top 100 der größten Baufirmen der Welt finden sich sieben aus der Türkei. Der Haushaltsgerätehersteller Arcelik unterhält 14 Fabriken, die Hälfte davon im Ausland - und hat vor einigen Jahren die deutsche Traditionsmarke Grundig geschluckt. Ein Indikator für die Entwicklung der türkischen Wirtschaft ist ihr Aufstieg auf Rang 40 des "Economic Complexity Index" der Uni Harvard. Er gibt an, wie ausgefeilt die Produkte sind, die eine Volkswirtschaft herstellt. Deutschland zählt zu den Spitzenreitern.