Kämpfe in der Ostukraine EU-Kaviarverbot wird Russlands Einmarsch nicht stoppen

Russischer Präsident Putin: Über tausend russische Soldaten in der Ostukraine
Foto: DPA/ RIA Novosti / Kremlin PoolHamburg/Brüssel - Die Staats-und Regierungschefs wollten beim EU-Sondergipfel am Samstag in Brüssel eigentlich nur über das neue europäische Spitzenpersonal beraten. Doch die jüngsten Ereignisse in der Ukraine wirbelten die Tagesordnung durcheinander. "Wir müssen feststellen, dass sich die Dinge in den vergangenen Tagen wieder erschwert und verschlechtert haben", sagte Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstagabend. Daher sei eine Diskussion über neue Strafmaßnahmen gegen Russland unerlässlich.
"Erschwert": Das ist noch vornehm ausgedrückt. Denn in der Ukraine ist eine schleichende Invasion im Gange. Von mindestens tausend russischen Soldaten in der Ostukraine spricht die Nato inzwischen.
Entsprechend mehren sich Forderungen nach neuen Sanktionen. Die EU müsse Russland zeigen, "dass einige der jüngsten Verhaltensweisen im Europa des 21. Jahrhunderts einfach nicht akzeptabel sind", sagte EU-Kommissionschef José Manuel Barroso am Freitag. Schon am Freitagnachmittag beraten die EU-Außenminister bei einem Treffen in Mailand neue wirtschaftliche Strafmaßnahmen. Ihre Vorgesetzten könnten diese am Samstag beschließen. Im Gespräch sind Einfuhrbeschränkungen für russische Luxusgüter wie Wodka, Kaviar, Pelze oder Diamanten.
Westliches Wunschdenken
Doch eine Verhaltensänderung bei Putin dürften solche Strafmaßnahmen nicht bewirken. Russlands wirtschaftlicher Abschwung dürfte sich durch Sanktionen gegen Luxusgüter nur marginal verschärfen. Wie schon bei der Sperrung ausländischer Konten durch die EU und USA würden auch Einfuhrbeschränkungen für russische Luxusgüter zunächst die Oligarchen treffen, die an diesen Waren verdienen. Die Hoffnung des Westens: Die Kreml-nahen reichen Russen könnten um ihre Pfründe bangen und deshalb Druck auf Putin machen, die Krise zu beenden.
Christian von Soest, wissenschaftlicher Koordinator eines Forschungsprojekts zur Wirkung von internationalen Sanktionen am Hamburger GIGA-Institut, hält das für Wunschdenken. "Die Kämpfe in der Ostukraine sind eine außenpolitische Krisensituation", sagt er. In einer solchen stelle sich die Bevölkerung meist hinter ihre Regierung. "Als die USA unter George W. Bush im Irak intervenierte, unterstützten anfangs selbst sehr regierungskritische Medien den Präsidenten", sagt Soest.
Entsprechend sind die Sanktionen, die die EU am Wochenende verhängen will, in erster Linie Symbolpolitik. Die Krise in der Ostukraine werden sie nicht lösen. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob all die Sanktionen der USA und EU gegen Russland überhaupt irgendetwas bringen.
Putins kaltes Kostenkalkül
Die russische Führung scheine entschlossen, "notfalls auch das äußerste politische Risiko einzugehen, um die prorussischen Separatisten in der Ostukraine vor einer drohenden Niederlage zu schützen", sagte der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, der "Passauer Neuen Presse". Neue Strafmaßnahmen dürften Putin "wenig beeindrucken".
Sanktionsexperte Soest teilt diese Einschätzung. "Die Forschung unterscheidet bei wirtschaftlichen Strafmaßnahmen zwei Arten von Kosten", sagt er. "Politische und wirtschaftliche." Weder die wirtschaftlichen noch die politischen Kosten scheinen für eine Änderung von Putins Ukraine-Kurs hoch genug.
Die wirtschaftlichen Kosten der Ukraine-Krise seien für Russland zwar beträchtlich, aber zumindest in den kommenden Jahren - aus Sicht der russischen Regierung - wohl verkraftbar, sagt Soest. Zu hoch wären sie wohl erst, wenn die EU zum Äußersten greifen würde. Doch die denkbar schärfste Sanktion - ein Embargo auf russische Gas- und Ölexporte - steht nicht zur Diskussion. Einen kompletten russischen Lieferstopp würde Europa im kommenden Winter nicht durchhalten.
Auch langfristig bleibt die Wirkung von Strafmaßnahmen begrenzt. Zwar rutscht Russland wegen der westlichen Wirtschaftsblockade gerade in die Rezession. Doch kontrolliert Putin die mediale Berichterstattung darüber. "In autoritär regierten Staaten kann sich die Bevölkerung oft nicht wirksam gegen ihre Regierung wenden", sagt Soest. Hinzu kommt, dass die Welt nicht geschlossen gegen Putin steht. Als Russland einen Boykott gegen Lebensmittel aus der EU verhängte, steigerte Brasilien seine Lebensmittelexporte nach Russland.
Die politischen Kosten der Invasion sind für Putin ebenfalls gering. "Im Moment nützt die harte Linie gegen den Westen sogar Putins Popularität", sagt Soest. "Gemessen an seinem immer offensiveren Vorgehen in der Region scheint sich Putin sehr sicher zu sein, dass dem Westen seinerseits der politische Preis einer direkten Intervention viel zu hoch wäre."
"Sanktionen allein werden die Ukraine-Krise auf absehbare Zeit nicht lösen", sagt Soest. "Sie werden nicht verhindern, dass Russland in der Ostukraine offen interveniert, wenn Putin das denn will."