Umstrittene Bonitätswächter Wie die Politik zum Rating-Junkie wurde

Weltweit hängen Regierungen an ihren Lippen, auch eine Rettung Griechenlands könnte nun an ihrem Veto scheitern: Die drei amerikanischen Rating-Agenturen beeinflussen derzeit die Geschicke ganzer Staaten. Dass ihre Macht noch immer so groß ist, liegt auch an der Politik.
Sitz von Standard and Poor's in New York: Diesmal ist Europa dran

Sitz von Standard and Poor's in New York: Diesmal ist Europa dran

Foto: Justin Lane/ dpa

Hamburg - Es gibt noch Ratings, bei denen Griechenland glänzend abschneidet: Die Bonitätswächter von Euler Hermes Rating bewerten das Land derzeit mit ihrer Bestnote AA und bescheinigen ihm "sehr gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen". An der Seriosität bestehen wenig Zweifel: Euler Hermes ist die erste Rating-Agentur, die offiziell die Ende 2010 verschärften europäischen Regeln für die Branche erfüllt.

Es gibt nur ein Problem: Das gute Rating für Griechenland bezieht sich nicht auf die Kreditwürdigkeit des Staats - sondern auf die von griechischen Unternehmen. Die Bewertung von Staatsanleihen liegt weiterhin fast ausschließlich in der Hand von drei großen Rating-Agenturen aus den USA: Standard & Poor's (S&P), Moody's und Fitch.

Deshalb war die Aufregung wieder einmal groß, als S&P zu Beginn der Woche ankündigte, eine geplante Umschuldung griechischer Anleihen als Zahlungsausfall werten zu wollen. Der mühsam erarbeitete Kompromiss zur Beteiligung privater Banken scheint wieder in Frage zu stehen.

Warum aber machen sich Politik und Finanzwelt in Europa noch immer so abhängig vom Urteil dreier Privatunternehmen in New York? Schließlich stehen diese "Big Three" selbst massiv in der Kritik, seitdem sie im Vorfeld der Krise hochriskante Finanzprodukte mit Bestnoten veredelt hatten. Seitdem haben Politiker immer wieder gefordert, die Übermacht der Agenturen zu brechen - auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Mit Blick auf die jüngste Entscheidung von S&P sagte sie am Dienstag: "Was das Thema Ratingagenturen anbelangt, glaube ich, ist es wichtig, dass wir uns unsere eigene Urteilsfähigkeit nicht sozusagen wegnehmen lassen."

Sichtbare Erfolge aber gibt es bislang kaum. Das liegt auch daran, dass die Politik in der Rating-Misere zugleich Täter und Opfer ist.

Opfer sind Europas Politiker, weil auch sie in der Finanzkrise zu Getriebenen der Rating-Agenturen wurden. Seit Jahrzehnten wird mit Einstufungen zwischen der Bestnote AAA und dem Pleitesiegel D neben der Bonität von Unternehmen oder Finanzprodukten auch die Kreditwürdigkeit von Staaten bewertet. Doch erst jetzt - da eine Schuldenkrise nicht Asien oder Südamerika, sondern Europa erfasst hat - bekommen auch Regierungen hierzulande die Macht der Rating-Agenturen zu spüren.

Der Druck auf die "Big Three" wächst

Zweifel an der Aussagekraft ihrer Urteile gibt es nicht nur wegen des Versagens in der Finanzkrise. Viele Beobachter werfen den Agenturen vor, sie bevorzugten ihre Heimat. "Niemand kann erklären, warum diverse EU-Staaten schlechtere Ratings haben als die hochverschuldeten USA", sagt Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament.

Auf die Kritik haben Regierende in Europa durchaus reagiert. "Da war die Politik verhältnismäßig tatkräftig", lobt Brigitte Haar, Expertin für Wirtschaftsrecht an der Universität Frankfurt. In der Krise wurden die europäischen Regeln für Rating-Agenturen verschärft. Seit Anfang des Jahres überwacht die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) deren Geschäfte.

Dass der Druck auf US-Agenturen wächst, zeigte sich erst am Montag: Die italienische Börsenaufsicht bestellte Vertreter von S&P ein. Diese sollten erklären, warum sie ein Sparpaket des Landes bereits negativ bewertet hatten, bevor dessen Details überhaupt bekannt waren. Die ESMA drohte den US-Agenturen sogar mit dem Entzug der Zulassung, falls sich diese nicht an die neuen europäischen Regeln halten sollten.

Doch solche Gesten machen leicht vergessen, dass die Politik den Rating-Schlamassel mitverursacht hat. Denn die Agenturen haben niemanden gezwungen, ihr Urteil zum Maßstab zu erheben. Sie machen einfach ihren Job. Dennoch wurde der Bezug auf Bonitätsnoten in viele Gesetze übernommen - etwa EU-Richtlinien, welche die Eigenkapitalvorschriften namens Basel II europaweit verbindlich machen oder in die unter dem Namen Solvency II geplante Reform der Versicherungsregulierung. "Die Politik hat die Macht der Rating-Agenturen gesetzlich geschaffen", kritisiert EU-Parlamentarier Giegold.

Die Vorliebe von Politikern und Investoren für die "Big Three" hat auch praktische Gründe: Sie decken fast 95 Prozent des Markts ab, ihr Rating-System ist seit Jahrzehnten etabliert und unterscheidet sich nur in Nuancen. Ein Wechsel zu neuen Wettbewerbern ist nach Ansicht der Frankfurter Wirtschaftsjuristin Haar für Investoren wenig attraktiv, da damit die Vergleichbarkeit der Ratings gefährdet würde. Zudem bestehe die Gefahr eines "Rating-Shopping", bei dem Finanzmarktakteure jeweils die Agentur mit der mildesten Bewertung herauspicken. "Aus der Misere kommen wir nicht heraus", glaubt Haar.

Politiker sind zuversichtlicher. Schon früh in der Finanzkrise kam die Idee einer neuen, europäischen Rating-Agentur auf. Die Unterstützer reichen vom Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin über Ex-Bundespräsident Horst Köhler bis zu Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Selbstverständlich müsste die Agentur aber unabhängig sein, hieß es stets dazu.

"Die Kommission muss jetzt liefern"

Doch wer sollte diese Unabhängigkeit garantieren? Schließlich hat in der Krise selbst die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Unschuld verloren, als sie zur Stützung von Krisenstaaten massenweise deren Staatsanleihen aufkaufte.

Der FDP-Europaabgeordnete Wolf Klinz glaubt dennoch, eine Lösung gefunden zu haben: Die europäische Rating-Agentur soll in Form einer Stiftung geschaffen werden. Diese Idee stellte Klinz Ende vergangenen Jahres im Namen des Wirtschafts- und Währungsausschusses vor. Im Herbst nun will die EU-Kommission mit einem eigenen Gesetzesvorschlag reagieren. "Die Kommission muss jetzt liefern", fordert Klinz' grüner Parlamentskollege Giegold, der die Forderung nach einer Rating-Stiftung unterstützt.

Die EU-Parlamentarier wollen jedoch nicht einfach einen vierten Rating-Riesen. Stattdessen soll europaweit ein Netzwerk von europäischen Rating-Agenturen gefördert werden. Damit diese auch Aufträge bekommen, könnten für die Bewertung von Finanzinstrumenten künftig immer zwei Ratings europäischer Agenturen vorgeschrieben sein.

Aber werden europäische Agenturen in absehbarer Zeit auch die Bonität von Staaten beurteilen? Im Moment sieht es nicht danach aus. Euler Hermes etwa hat bereits angekündigt, sich weiterhin auf das Geschäft mit Unternehmen beschränken zu wollen - unter anderem mit Verweis auf die hohen Haftungsrisiken. Auch Pläne des französischen Kreditversicherers Coface, der den "Big Three" mit Unternehmensratings Konkurrenz machen wollte, wurden vorerst wieder abgeblasen. "In Europa sehe ich keinen potenziellen Wettbewerber, der in den Startlöchern steht", sagt Haar.

Der FDP-Politiker Klinz glaubt jedoch, Rating-Agenturen würden ohnehin nur für Bewertungen von Finanzprodukten gebraucht. "Wenn es um Staatsschulden geht, braucht man die Agenturen gar nicht." Schließlich seien die wichtigen Daten über die Verschuldung eines Landes öffentlich verfügbar - etwa von der OECD, dem IWF oder der jeweiligen Zentralbank. Damit könnten sich große Investoren leicht selbst ein Bild machen.

Auch der Grüne Giegold glaubt, dass mehr Unabhängigkeit von den Rating-Agenturen leicht möglich wäre. Die Versicherungsrichtlinie Solvency II etwa lasse sich schlicht aussetzen: "Damit hätte man sämtliches Kapital der Versicherungen aus dieser tödlichen Logik raus."

Mehr Mut zur eigenen Meinung könnte bald auch die Europäische Zentralbank zeigen. Bislang wollte die EZB griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit akzeptieren, sofern diese von den Rating-Agenturen als Zahlungsausfall bewertet würden. Laut einem Bericht der "Financial Times" wollen die Zentralbanker die Papiere nun aber weiter akzeptieren, solange zumindest noch nicht alle Agenturen einen Zahlungsausfall festgestellt haben. Sich an das am wenigsten schlechte Rating klammern: Solange keine tragfähige Alternative zu den "Big Three" gefunden ist, könnte das auch die am wenigsten schlechte Lösung sein.

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