US-Klage gegen Rating-Agentur "Hoffentlich sind wir reich und pensioniert, wenn alles zusammenbricht"

Standard & Poor's in New York: Das Verfahren dürfte bitter und langwierig werden
Foto: BRENDAN MCDERMID/ REUTERSDer Analyst scheint ziemlich baff. "Dieser Deal ist lächerlich", schreibt er einer Kollegin in einer E-Mail. "Wir sollten ihm kein Rating geben." Die Kollegin sieht das ähnlich - wenn auch nur bedingt: "Das Modell erfasst nicht mal die Hälfte des Risikos", stimmt sie zu. Aber: "Wir geben jedem Deal ein Rating… Er könnte von Kühen strukturiert werden, wir würden ihm ein Rating geben."
Der saloppe Wortwechsel stammt vom April 2007, dem Beginn der US-Kreditkrise. Besagter "Deal" war ein besonders wackliges Hypothekenpapier - und die Analysten, die sich darüber lustig machen, arbeiten für Standard & Poor's (S&P), eine der drei großen Rating-Agenturen Amerikas.
Fast fünf Jahre lang schlummerten die E-Mails im internen Archiv der New Yorker Firma, die gemeinsam mit den Konkurrenzagenturen Moody's und Fitch die Finanzwelt bewertet. Erst jetzt kommen sie ans Licht - in einer Milliardenklage der US-Regierung, die die seit langem kritisierte Herrschaft der Rating-Riesen endgültig ins Wanken bringen könnte.
In der Betrugsklage beschuldigt das US-Justizministerium S&P, die damaligen Risiken bei Hypothekenpapieren verschwiegen und aus reiner Profitgier viel zu gute Ratings verteilt zu haben. Der 128-Seiten-Schmöker, bei einem kalifornischen Bezirksgericht eingereicht und von 16 US-Bundesstaaten mitgetragen, ist ein regelrechter Finanzkrimi: Gnadenlos enthüllt er, wie Insider lange vor anderen wussten, dass der Crash kommen würde - und trotzdem fleißig weiterzockten, um abzukassieren.
Zugleich liest sich die Klageschrift streckenweise wie das Drehbuch eines B-Movies. Anständig war das Verhalten der S&P-Analysten dabei zweifellos nicht. Die Frage ist nur: War es auch illegal?
So oder so, der Imageschaden ist angerichtet. Die Wall Street spricht ihr Urteil jetzt schon: Die Aktie von McGraw-Hill, der mitangeklagten Mutterfirma von S&P, stürzte am Dienstag um fast elf Prozent ab; Moody's erging es nicht viel besser. Im Fall eines Schuldspruchs droht McGraw-Hill eine Geldstrafe von fünf Milliarden Dollar - fast so viel wie der letzte Jahresumsatz des Unternehmens (6,25 Milliarden Dollar).
Das Verfahren dürfte bitter und langwierig werden. S&P streitet die Vorwürfe ab und hat einen der besten Anwälte Amerikas angeheuert - Floyd Abrams, dessen illustre Karriere ihn auch schon bis vor den Supreme Court geführt hat. "Einfach unvertretbar", nannte Abrams die Klage in einem Interview mit dem "Wall Street Journal". "S&P glaubte, was es sagte. Punkt."
Die brisante S&P-Korrespondenz, die die Klage zitiert, scheint eine andere Sprache zu sprechen: Da wird munter gescherzt - über Klienten und die dräuende Kreditkatastrophe.
"Wenn du denkst, es ist jetzt schlimm, warte nur die nächste Woche ab"
"Dieser Markt ist ein sich wild drehender Kreisel, der schlecht enden wird", prophezeit S&P-Direktor David Tesher schon im Dezember 2006 in einem vertraulichen Memo. Tesher ist für Collateralized Debt Obligations (CDOs) zuständig, jene komplexen Wertpapiere, die später im Mittelpunkt der Krise standen und nun den Kern der S&P-Anklage bilden.
Trotz Teshers Einschätzung gibt S&P diesen Kunstprodukten der Banken weiter Bestnoten. "Rating-Agenturen erschaffen weiter ein noch größeres Monster - den CDO-Markt", schreibt ein S&P-Mitarbeiter im selben Monat. "Hoffen wir, dass wir alle reich und pensioniert sind, wenn dieses Kartenhaus zusammenbricht." Ein anderer beklagt sich später, er fühle sich "persönlich nicht wohl dabei, das abzusegnen".
Bezeichnend sind auch diese E-Mails zwischen einem neu angeheuerten S&P-Analysten und einem Investmentbanker vom Juli 2007:
S&P-Analyst: "Die Investoren und die Medien hassen uns, und wir alle rennen rum, um das Gesicht zu wahren… Es gab großen internen Druck bei S&P, viele Deals schon früher herunterzustufen, bevor diese Sache in die Luft fliegt. Aber die Führung sorgte sich darum, zu viele Klienten zu verärgern und einen Frühstart vor Fitch und Moody's hinzulegen."
Banker: "Also wirklich, wir bezahlen euch, um unseren Deals Ratings zu geben, und umso besser das Rating, umso mehr Geld verdienen wir?!?! Was soll das? Wie könnt ihr dabei nur unparteiisch sein????"
S&P-Analyst: "Ich gebe es zu. Wir haben das verbockt. Aber wenn du denkst, es ist jetzt schlimm, warte nur die nächste Woche ab."
Oder dieser Instant-Message-Verkehr zwischen zwei CDO-Analysten nach einer Sitzung, auf der Tesher besprochen habe, wie man "den Immobilienmarkt in die Luft jagen" könnte:
Analyst 1: "Wir haben das Wichtigste mitgekriegt."
Analyst 2: "Das heißt, der Markt wird crashen…"
Analyst 1: "Ja."
Analyst 2: "Das heißt, wir werden knatschige Analysten und knatschige Banker und einen knatschigen CDO-Direktor sehen."
Analyst 1: "Ich bin sowieso knatschig."
Analyst 2: "Aber dann sollten wir die Kriterien nicht forcieren, aber wir machen's trotzdem ahahhahaha."
Ein S&P-Analyst dichtete im März 2007 sogar den Hit "Burning Down the House" der Talking Heads von 1983 um, "mit Entschuldigung an David Byrne", den Leadsänger der New-Wave-Gruppe. Motto: Wir fackeln die Wall Street ab:
"Passt auf
der Immobilienmarkt wurde schwächer
Kühlt sich ab
Starker Markt ist nun viel schwächer
Subprime ko-ocht ü-ber
Reißt das Haus ab
Haltet euch fest
CDO-Geschäft - hat ein Problem
Haltet euch fest
Kreditgestützte CDOs wollten sie
Gehen ganz unter, mit
Subprime-Hypotheken."
Zwei Tage später schickt der Analyst ein Video hinterher, wie die Klage ausführt: Im S&P-Büro singe er die erste Strophe "seines" Songs und tanze dazu, während seine Kollegen lachten.
S&P wehrt sich: Diese kompromittierenden E-Mails seien "aus dem Zusammenhang gerissen" und "reflektieren nicht unsere Kultur, Integrität oder wie wir Geschäfte machen".
Die US-Regierung will die Verluste einklagen, die staatlich versicherte Banken, Sparkassen und Pensionsfonds durch die Hypotheken-Spekulationen der Kreditkrise erlitten haben. Allein die Pensionsfonds in Kalifornien verloren nach Angaben der dortigen Justizministerin Kamala Harris fast eine Milliarde Dollar.
Unklar blieb zunächst, ob Fitch und Moody's nun ebenfalls mit in den Justizstrudel gerissen werden. Jedenfalls kommt die Klage zu einem politisch inopportunen Moment: Schon während der vergangenen Schuldenkrise stufte S&P die Bonität der USA herunter; bald droht in Washington der nächste Fiskal-Showdown.
Dann muss S&P erneut die Kreditwürdigkeit der Nation beurteilen - jener Nation, die die Rating-Agentur jetzt ihrerseits wegen Betrugs verklagt hat.