US-Wirtschaft nach Amoklauf von Parkland Ein neuer Morgen im Waffenland

Nach dem Amoklauf an einer Schule in Parkland brachen viele US-Unternehmen mit der Waffenlobby. Manche haben das teuer bezahlt. Und die Macht des Verbands NRA ist ungebrochen.
NRA-Jahrestreffen 2018

NRA-Jahrestreffen 2018

Foto: JUSTIN SULLIVAN/ AFP

Remington ist wieder da. Nur zwei Monate nach seinem Insolvenzantrag ist der älteste Waffenhersteller Amerikas zurück im Geschäft. Gerettet von Investoren, befreit von Schulden und aufgepäppelt mit einem 43-Millionen-Dollar-Kredit der Bank of America - dem Großinstitut, das noch vor Kurzem versprochen hatte, kein Geld mehr an Kunden zu verleihen, die militärische Schusswaffen für den zivilen Gebrauch herstellen.

Ende März, wenige Wochen nach dem tödlichen Amoklauf an der Parkland-Schule in Florida hatte Remington, das das bei Massenmördern besonders beliebte Sturmgewehr AR-15 herstellt, die Pleite erklärt. Wer wollte, konnte darin ein Omen der Hoffnung sehen: Zum ersten Mal in der Geschichte schien der Protest gegen die libertären Waffengesetze der USA eine Chance zu haben. Weil landesweit Hunderttausende junge Leute auf die Straße gegangen waren, um Beschränkungen für den Verkauf von Gewehren durchzusetzen. Aber auch weil viele Unternehmen sich dem Protest der Konsumenten angeschlossen und ihre Verbindungen zur mächtigen Waffenlobby National Rifle Association (NRA) gekappt hatten.

March for Our Lives im März in Los Angeles

March for Our Lives im März in Los Angeles

Foto: MARIO TAMA/ AFP

Es war eine kleine Bank aus Nebraska, die den neuen Trend in America Inc. gesetzt hatte: die First National Bank of Omaha. Aufgrund des "Feedbacks von Kunden" stelle man die mit der NRA herausgegebene Kreditkarte ein, erklärte die Bank nach dem Massaker in Florida, bei dem ein 19-Jähriger 17 Menschen getötet hatte. Die Tat hatte eine nie da gewesene Bewegung empörter Schüler ausgelöst, die in der Mathe- oder Geschichtsstunde nicht länger um ihr Leben fürchten wollten. Aktivisten starteten eine Social-Media-Kampagne: #BoycottNRA - boykottiert die NRA.

Verbraucher verlangen Haltung

Und so folgten viele Firmen dem Vorbild der Bank of Omaha, aus moralischen Gründen oder weil sie um ihren Ruf bei den kaufkräftigen Millennials und Teens fürchteten. Denn im polarisierten Amerika Donald Trumps ist Shopping zum Statement in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen geworden wie nie zuvor. Konzerne wie Starbucks oder United haben erlebt, dass ein vergleichsweise kleiner Anlass reicht, um eine Wutwelle auf Twitter und Facebook in Gang zu setzen. Die Verbraucher verlangen von den Herstellern Haltung.

  • Prompt strichen nach dem Parkland-Amoklauf innerhalb weniger Tage die Fluggesellschaften Delta Airlines und United ihre Rabatte für NRA-Mitglieder, ebenso der Versicherer MetLife, der Virensoftware-Hersteller Symantec, die drei Mietwagen-Giganten Avis Budget, Hertz und Enterprise sowie das Autoportal TrueCar.
  • Die Versicherungspolice "NRA Carry Guard", mit der sich NRA-Mitglieder gegen Rechtsstreitigkeiten nach Schießereien wappnen können, verlor auf einen Schlag ihren Versicherer Chubb und ihren Makler Lockton.
  • Der Einzelhandelsriese Walmart erklärte, keine Waffen mehr an unter 21-Jährige zu verkaufen.
  • Der führende Outdoor-Anbieter Dick's Sporting Goods ging noch weiter und verbannte alle Schnellfeuergewehre aus seinen Filialen, weil "Gedenken und Gebete nicht genug sind".
  • BlackRock, der größte Vermögensverwalter der Welt, kündigte an, sich seine Investment-Portfolios genauer ansehen zu wollen, ein Wink mit dem Zaunpfahl für die Wall Street.
  • Der Finanzdienstleister Citigroup entwarf sogar eine eigene Waffenpolitik für seine Geschäftspartner: Ein Mindestalter der Käufer von 21 Jahren, das Verbot sogenannter Bump Stocks, mit denen halbautomatische zu vollautomatischen Waffen hochgerüstet werden können, sowie verpflichtende Background-Checks. Wer sich daran nicht halte, möge sich eine andere Bank suchen, sagte Citi-Vizepräsident Ed Skyler.

Kampagne mit begrenzter Wirkung

Die Aktivisten fühlen sich durch solche Erfolge angespornt. Ihr aktuelles Boykott-Ziel: Die Supermarktkette Publix, die 670.000 Dollar für den republikanischen Gouverneurskandidaten Adam Putnam in Florida gespendet hat, der sich selbst als "stolzen NRA-Opportunisten" bezeichnet. Man werde den eigenen Spendenprozess überdenken, hat das Unternehmen diese Woche bedauernd mitgeteilt. Ein Sieg auf ganzer Linie.

Protestaktion in Publix-Supermarkt in Florida

Protestaktion in Publix-Supermarkt in Florida

Foto: JOE RAEDLE/ AFP

Und trotzdem ist die Wirkung der Antiwaffenkampagne begrenzt. Citi, Walmart oder auch Dick's Sporting Goods machen nur einen kleinen Prozentsatz ihres Umsatzes mit dieser Art Waren. In den USA gibt es mehr Waffenläden als Starbucks- und McDonalds-Filialen und dazu noch die Gun-Shows, die Waffenmessen für jedermann. Im Februar, dem Monat des Massakers, verdreifachten sich die Spendeneingänge bei der NRA.

Zugleich bekommen die Unternehmen zu spüren, dass eine Abkehr von der NRA auch nach hinten losgehen kann. Im Internet posteten wütende Kunden Videos, in denen sie ihre Yeti-Kühlboxen zerstörten, nachdem die NRA ihre Mitglieder alarmiert hatte, dass die Firma das Geschäft "verweigere". Georgia, der Heimatstaat von Delta, hat der Fluggesellschaft kurzerhand Subventionen von 40 Millionen Dollar jährlich gestrichen. Beide Unternehmen beteuerten inzwischen, dass sie den Zweiten Zusatzartikel zur Verfassung, der den Bürgern den Waffenbesitz garantiert, hoch und heilig achten.

"Erinnerungen verblassen"

Als vor wenigen Tagen ein 17-jähriger Amokläufer wieder zehn Menschen ermordete, diesmal an einer Highschool in Texas, blieb eine ähnliche Reaktion der Wirtschaft wie nach Parkland aus. Und eine Reihe von Konzernen hat sich ohnehin entschieden, den Protest der Waffengegner auszusitzen: So teilte der Logistikkonzern Fedex mit, man halte an der Zusammenarbeit mit NRA fest. Die Onlineriesen Amazon und Apple, die in die Kritik gerieten, weil sie den NRA-Fernsehkanal streamen, gingen schlicht auf Tauchstation.

Republikanischer Kandidat Putnam

Republikanischer Kandidat Putnam

Foto: Monica Herndon/ AP

Stattdessen hat nun die Waffenlobby zum Gegenangriff auf die unbotmäßigen Unternehmen geblasen, denen sie eine "beschämende Zurschaustellung politischer und ziviler Feigheit" vorwirft. Die NRA hat nicht nur den Versicherungsmakler Lockton, sondern gleich noch den New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo und dessen Finanzaufsicht verklagt. Die Organisation wirft dem Demokraten vor, er setze Banken und Versicherungen mittels einer "Schwarze-Liste-Kampagne" unter Druck, ihre Verbindungen zur NRA zu kappen.

Republikanische Politiker drohen ihrerseits den Banken, die nach Parkland Einschränkungen verkündet haben. Er wolle ein Gesetz einbringen, das den Banken verbiete, Waffenkäufer zu diskriminieren, kündigte Senator John Kennedy an, der Mitglied des Bankenausschusses ist. Die Banken sollten zukünftig bloß nicht mehr "heulend" ankommen und erwarten, dass der Steuerzahler sie raushaue, warnte er.

Fotostrecke

Kongress der NRA: Waffen, Werte, Widerstand

Foto: LOREN ELLIOTT/ AFP

Marketingexperten zweifeln zudem, dass der Boykott nachhaltige Wirkung haben wird. "Erinnerungen verblassen", sagte Maurice Schweitzer von der University of Pennsylvania der "New York Times". Im Laufe der Zeit lasse die Intensität der Gefühle nach. Nur selten habe ein Boykott in der Vergangenheit wirklich den gewünschten Erfolg gebracht.

Der Waffenhersteller Remington jedenfalls macht sich erst mal keine Sorgen mehr über die Zukunft. "Der Morgen ist angebrochen im Remington-Land", jubelt Konzernchef Anthony Acitelli.

Video: Kill Zone USA -Spurensuche in einer waffenverrückten Nation

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