
USA Warum Reiche jetzt links – und Verlierer weiter Trump wählen


Unterstützter Joe Bidens (l.) und Donald Trumps in Boston am 7. November
Foto:Pat Greenhouse / Boston Globe via Getty Images
Es bereitet etwas Unbehagen, wenn der noch amtierende US-Präsident trotz ziemlich klarer Niederlage nicht so richtig aktiv an den Konsequenzen mitzuarbeiten bereit scheint. Also etwa die Niederlage eingesteht. Und im Gegenteil mal eben Minister neu benennt, die fürs Militärische zuständig sind.
Typisch Trump. Geht vorüber. Hoffen wir mal.
Noch mehr Unbehagen könnte bald ohnehin etwas anderes bereiten. Und das liegt in dem politischen Kuriosum, das die Detailauswertungen offenbaren, die sich jenseits des offenbaren Gesamtsiegs von Joe Biden nun zeigen – und die das tiefere Problem in diesen bewegten Zeiten spiegeln. Ebenso wie die Aufgabe, die vor Biden liegt. In Amerika und bald womöglich auch bei uns.
Normalerweise geht es ja so zu, dass die eher besser gestellten Leute, wenn sie wählen gehen, eher konservativ wählen. Also im Falle der USA die Republikaner. Zumal die in der Regel ja auch entsprechende Ideen haben – etwa, dass man die Steuern auch für Reiche senken sollte. Wofür sich Ärmere nicht so begeistern können. Während die, denen es eher gut geht, nicht so viel Anlass haben, daran etwas zu ändern (außer zum Positiven), sondern es eher zu konservieren. Daher der Name. Und die, die es nicht gut finden, weil es ihnen womöglich auch selbst besser gehen könnte, eher links wählen, also in Amerika die Demokraten. Mal so ganz grob.
Die Vermögenden, die Biden wählten
Umso beeindruckender wirkt, was besagte Detailauswertungen der jüngsten US-Wahlen nun ergeben. Danach ist zwar das Grundmuster nicht plötzlich weg. Nur scheint es sich im Gesamtmaßstab auf kuriose Art eher umgekehrt zu haben. Forscher der Brookings Institution errechneten, dass Joe Biden vor allem in jenen Regionen (Counties) vorne lag, die zu den wirtschaftlich Potenteren gehören – mit einem atemberaubenden Ergebnis: In den Counties, in denen der Demokrat Biden gesiegt hat, werden alles zusammen gut 70 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, darunter in Top-Geldstädten wie Los Angeles und New York. Währenddessen kommen die Regionen, in denen Donald Trump vorn liegt, auf ärmliche 30 Prozent – und das obwohl der Stimmenanteil an sich ja an die 50 Prozent heranreicht.
Wie sehr die Wählerschaft sich in politisch verkehrter Art zu spalten scheint, zeigen Berechnungen von Jed Kolko in der "New York Times". Wie der Chefökonom von Indeed.com herausfand, gibt es immer weniger Counties mit tendenziell hohem Anteil an Höherqualifizierten, die noch Trump gewählt haben. Unter denen, die sich von Trump abwandten, waren auffällig viele mit Hochschulausbildung. Was, weil es um den Grobpolterer Trump geht, nicht so überraschend wirken mag, wohl aber nach Parteilogik.
Umgekehrt haben den Demokraten Biden wiederum auffällig viele in den Regionen den Rücken gekehrt, in denen der Anteil von Leuten hoch liegt, die Routinejobs machen. Ähnlicher Regionalsog hin zu Trump auch dort, wo die Arbeitslosigkeit entweder schon vor der Pandemie überdurchschnittlich hoch war – oder seit Februar gestiegen ist. Was wiederum kurios scheint, weil in der Zeit ja Trump wirkte, aber von den Verlierern offenbar nicht für die Folgen seiner Pandemiewirrungen verantwortlich gemacht wurde.
"Zu Biden wechselten die Leute nicht nur in Regionen, die gemessen an der Ausbildung wirtschaftlich heute bessere Perspektiven haben, sondern auch dort, wo die Wirtschaft in den vergangenen vier Jahren stärker war", so Kolko.
Wirtschaftliche Spaltung
Die Wahl hat damit offenbar einen Trend noch verstärkt, der bereits zu Trumps Wahl 2016 beigetragen zu haben scheint. Damals fanden Forscher heraus, dass der Republikaner gerade in den alten Industrieregionen gewinnen konnte, die früher Bastionen der Demokraten waren (und von denen er einige jetzt wieder verloren hat). In einer neueren Studie fand der Wirtschaftshistoriker Gavin Wright von der Stanford University heraus, dass sich die Menschen in Südstaaten auffällig oft radikalisiert haben, die wirtschaftlich besonders stark von jener Konkurrenz Mexikos getroffen wurden, die das Handelsabkommen Nafta verschärft hatte.
Die jüngsten Trends haben es umso mehr in sich – auch für den gerade neugewählten demokratischen Präsidenten – und seine Partei.
Erster Befund: It's the economy, stupid – wie einst Präsident Bill Clinton ausrief. Wenn Amerika so gespalten ist, dann offenbar doch sehr viel weniger wegen diverser kultureller Divergenzen. Die Kernursache scheint, klarer als zuvor, in der Teilung zwischen Gewinnern und Verlierern von Globalisierung und Technologietrends zu liegen.
Befund Nummer zwei: Davon profitieren auf beeindruckende Weise nicht zuerst die, die für so etwas im eigenen Verständnis eigentlich politisch zuständig sein müssten – also jene eher linken Demokraten, die früher einmal die Arbeiter und Benachteiligten zu vertreten beanspruchten. Im Gegenteil: Die Verlierer wenden sich mehr noch als zuvor einem rechten Populisten zu. Auch wenn das für Trump nicht gereicht hat, weil die anderen noch mehr mobilisiert haben.
Wenn das stimmt, bestätigt es die Unkenrufer. Diese werfen denen, die politisch links verortet werden vor, wie besessen politische Korrektheit zu pflegen – statt mit ebenso viel Eifer dafür zu sorgen, dass es denen real besser geht, die abgehängt sind und vor lauter Sorge um das Ende des Monats nicht so richtig viel Begeisterung für Identitätsfragen entwickeln. Ein Verdacht, der ja auch in Deutschland gelegentlich kursiert.
Es geht dann nicht mehr um links oder rechts. Sondern darum, was am besten wirkt, um die Verlierer aufzufangen – und ihnen wirtschaftlich eine neue Perspektive zu geben. Dafür wird es nicht reichen, irgendeine laue Politik im Konsensmodus zu machen. Dafür braucht es eine Menge Investitionen in Infrastruktur und neue regionale Strukturen jenseits der Regionen an den Küsten. Und einen besseren Mindestlohn. Oder sehr viel mehr Ausgaben, die in neue Technologien und in Klimaschutz gehen.
Viel von dem, was Biden im Programm eigentlich ja auch stehen hat. Nur dass bisher niemand so recht daran glauben mag.
Sonst gibt es bald die nächsten Verliererregionen. Die dann im Zweifel wieder Leute wählen, die nur ordentlich gegen die Eliten poltern – ohne die Probleme zu lösen.