Wirtschaftskrise in den USA Rauswurf im Reichenviertel

Ohne steigende Konsumausgaben wird sich Amerikas Wirtschaft nicht erholen. Eine neue Studie aber zeigt: Ausgerechnet die Spitzenverdiener halten das Geld zusammen - mit verheerenden Folgen.
Von Ines Zöttl, Washington
Kaufhauskette Bloomingdale's in New York

Kaufhauskette Bloomingdale's in New York

Foto: Peter Foley/ EPA-EFE/ Shutterstock

Im Apple-Store des Christiana-Einkaufszentrums ist das Shopping generalstabsmäßig durchorganisiert. Schon mehrere Meter vor der gläsernen Eingangstür misst ein Mitarbeiter mit einem Infrarot-Thermometer, ob der nahende Kunde eine Gefahr darstellt. Ohne Maske über Mund und Nase geht gar nichts, und in dem überdimensionierten Schauraum verliert sich eine Handvoll Menschen zwischen den Design-Elektronikprodukten. Dafür ist die Schlange vor dem Geschäft umso länger.

Es ist Mitte Juni, der erste Tag, an dem Apple nach über drei Monaten Pandemiepause wieder Käufer in das Geschäft im US-Bundesstaat Delaware lässt. Der Nachholbedarf der konsumverliebten US-Amerikaner ist groß.

Amerikas Wirtschaft braucht das Comeback der Konsumenten, um nach dem Coronavirus-Absturz wieder Fuß zu fassen. Die privaten Ausgaben tragen rund zwei Drittel zur Wirtschaftsleistung bei, während es im Exportland Deutschland nur rund 50 Prozent sind. Es gibt eine Reihe von Anzeichen, dass die Verbraucher wieder Mut gefasst haben: Die Stimmung hat sich laut Umfragen verbessert, und im Mai schnellten die Ausgaben der Haushalte für Waren und Dienstleistungen um 8,2 Prozent hoch - ein Rekordplus nach dem Rekordminus des Stillstandmonats April. Die Autoverkäufer melden wieder Umsätze. Der Index der Hausverkäufe schnellte gar um rekordverdächtige 44 Prozent hoch.

Spitzenverdiener halten ihr Geld zusammen

Doch die Erholung scheint fragil. Beobachter fürchten, dass die neue Infektionswelle und verschärfte Abstandsregeln in vielen US-Bundesstaaten den Konsumenten die Laune verderben. Und nach einer Studie renommierter Ökonomen halten ausgerechnet diejenigen das Geld zusammen, die sich das Einkaufen leisten könnten: die Spitzenverdiener, die finanziell weitgehend unbeschadet durch den Lockdown gekommen sind.

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Der Harvard-Wissenschaftler Raj Chetty und sein Team haben Buchungen von Kreditkartenfirmen und andere Realdaten ausgewertet, um das Kaufverhalten der Amerikaner auf Einkommensschichten und Wohnorte herunterzubrechen. Das Ergebnis: Die extreme Ungleichheit erweist sich in dieser Krise als Brandbeschleuniger. Noch nie waren die Ausgaben der Oberschicht für das Wohl und Wehe der Konjunktur so entscheidend. Wenn die Spitzenverdiener ihre Dollars zurückhalten, sind die Folgen für unzählige kleine Dienstleistungsanbieter und Geringverdiener verheerend.

Genau das aber ist während der Pandemie passiert: Die Platin-Kreditkarten blieben stecken. "Die Ausgaben der Reichen sind viel stärker gesunken als die der Armen und zwar nicht nur prozentual, sondern auch absolut", sagte Chetty, der als neuer Star der Ökonomenzunft gilt, bei der Vorstellung der Studie in einem Webinar. So gab das oberste Viertel der Einkommensbezieher beispielsweise am 15. April drei Milliarden Dollar weniger aus als im Vorjahresvergleich, das unterste Viertel knapste sich nur eine Milliarde Dollar ab. Insgesamt entfällt der Corona-bedingte Rückgang der Kreditkartenumsätze bis Mitte Juni zu über der Hälfte auf die Topverdiener, während das unterste Segment nur auf fünf Prozent kommt.

Das liegt nicht nur daran, dass die Reichen so viel mehr Geld haben, dass ihr Anteil an den Umsätzen von American Express & Co. auch prozentual weit höher ist. Sondern auch daran, dass die Spitzenverdiener ihre Ausgaben in stärkerem Maße zurückgefahren haben: bis Mitte Juni um 14 Prozent verglichen mit nur knapp vier Prozent der Geringverdiener.

Fifth Avenue in New York

Fifth Avenue in New York

Foto: JUSTIN LANE/EPA-EFE/Shutterstock

Kaum Ausgaben für Restaurants und Schönheitssalons

Was aber ist die Ursache für die Askese der Elite? Einkommensverluste jedenfalls nicht, argumentiert Chetty - die habe die Homeoffice-Schicht nämlich so gut wie nicht erlitten. Der Wissenschaftler, der in früheren Arbeiten den Mythos der Aufsteigergesellschaft entzaubert hat, hält die Angst der Millionäre vor einer Infektion für die entscheidende Erklärung. Sie kürzten ihre Ausgaben dort, wo physischer Kontakt unvermeidbar ist: in Restaurants, Schönheitssalons, beim Friseur und anderen Dienstleistern. Dagegen blieb der Covid-Schock bei der Installation von Swimmingpools und Landschaftsgärtnerei aus.

Der Verzicht auf ansteckungsriskante Aktivitäten ist kein klassenspezifisches Phänomen. Aber die Folgen sind es: Gerade im Dienstleistungssektor arbeiten Millionen von Geringverdienern, die nun den Job verloren. Die wachsende Ungleichheit habe dazu beigetragen, dass "immer mehr Menschen mit bescheidenem Einkommen überleben, weil sie dort Dienstleistungen liefern, wo der Konsum ist", sagte der Harvard-Ökonom Lawrence Katz der "New York Times": Und der Konsum ist da, wo das Geld ist. Normalerweise.

Die Ausgabenkürzungen der Spitzenverdiener in der Covid-Krise haben einen geradezu paradoxen Effekt: Sie treffen überproportional die Reichenviertel. Nach den von Chetty's Forschergruppe ausgewerteten Daten kollabierten die Einnahmen der Kleinunternehmen im New Yorker Edelbezirk Upper East Side in der Coronakrise um 73 Prozent. Dagegen ging es in der East Bronx nur um 14 Prozent runter. In Gegenden mit hoher Miete und Einkommen machte ein höherer Anteil von Betrieben dicht als in weniger wohlhabenden Bezirken, fanden die Ökonomen heraus. In den Postleitzahlen mit den teuersten Wohnungen entließen Kleinunternehmen binnen zwei Wochen nach Krisenbeginn mehr als 65 Prozent ihrer Mitarbeiter. In den ärmsten Vierteln verloren weniger als 30 Prozent ihren Job.

Diese Rezession ist anders als frühere Abschwünge: Normalerweise sparen die US-Amerikaner in schlechten Zeiten vor allem an langlebigen Wirtschaftsgütern wie Autos oder Kühlschränken. Diesmal aber traf es in erster Linie die Dienstleistungen. Die Ausgaben dafür stürzten um fast 70 Prozent ab, verglichen mit nicht einmal drei Prozent während der Finanzkrise von 2008. Der Effekt wird dadurch verschärft, dass die Bedeutung des Sektors am Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen Jahrzehnten weiter gewachsen ist.

Ökonom Chetty zieht aus der Datenanalyse den Schluss, dass der Shoppingverzicht vieler US-Amerikaner weder durch die staatlichen Öffnungsbeschränkungen noch durch Einkommenseinbußen verursacht ist, sondern durch "die Bedrohung durch Covid-19 selbst". Auf lange Sicht werde sich die Wirtschaft der USA daher nur erholen, indem das Virus bekämpft werde. Ein weiteres Konjunkturpaket zur Ankurbelung der Nachfrage, wie es die Politik derzeit diskutiert, hält er für wenig Erfolg versprechend. Sein Vorschlag: Der Staat sollte denen, die von der Krise hart getroffen sind, besser direkt helfen: zum Beispiel, indem er ihre Einkommensverluste mit einer Art Sozialversicherung ausgleicht.

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