Drohende Zahlungsunfähigkeit Warum Amerika schon wieder die Krise hat

US-Präsident Obama: Keine Verhandlungen
Foto: AP/dpaAlexander Hamilton hatte vollstes Vertrauen in sein Konstrukt. Die Balance zwischen Parlament, Regierung und Gerichten sei derart kunstvoll arrangiert, dass "unkluge und gefährliche Maßnahmen" nahezu unmöglich gemacht würden, erklärte der Verfassungsvater im Sommer 1788 stolz das amerikanische System der Checks and Balances.
Von wegen "unmöglich": Seit nunmehr drei Jahren versuchen die Radikalinskis von der Tea-Party-Bewegung, dieses auf Konsens angelegte US-System zu knacken. Jetzt geht der Kampf einem reichlich absurden Höhepunkt entgegen: Um Obamas Gesundheitsreform zu verhindern, drohen die von den Rechtspopulisten bedrängten Republikaner mit dem Staatsbankrott.
Wie geht es weiter im Haushaltsstreit von Republikanern und Demokraten? Was ist das Ziel der Blockierer? Und kann es noch eine Lösung geben? Lesen Sie hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
Schon wieder US-Haushaltskrise, muss man das noch ernst nehmen?
Ja. Denn den USA droht die Zahlungsunfähigkeit. Der Staat könnte seine Rechnungen nicht mehr bezahlen, Amerikas Kreditwürdigkeit würde abgewertet, die Märkte wankten, der Dollarkurs fiele. Eine neue, weltweite Wirtschaftskrise stünde möglicherweise bevor.
Worum geht es diesmal?
Um eine doppelte Frist: Sollte das Parlament keine neuen Mittel bewilligen, geht der US-Regierung am kommenden Dienstag, dem 1. Oktober, das Geld aus. Es käme zum sogenannten Government Shutdown. Heißt: Rund 800.000 Angestellte des Bundes können nicht mehr bezahlt werden, geschlossen würden etwa Nationalparks, Museen, Zoos, Visastellen. Bereits 17 Mal wurden US-Regierungen auf diese Weise lahmgelegt, zuletzt 21 Tage zur Jahreswende 1995/96.
Die zweite Deadline ist bedrohlicher. In drei Wochen, am 17. Oktober, stoßen die USA an ihre gesetzlich festgelegte Schuldenobergrenze von 16,7 Billionen Dollar. Die Summe entspricht etwa 105 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP); zum Vergleich: Deutschlands Schuldenquote liegt bei rund 80 Prozent. Verweigert das Parlament eine Erhöhung der sogenannten Debt Ceiling, ist Amerika zahlungsunfähig. In der gesamten US-Geschichte ist dies noch nie der Fall gewesen, 2011 wurde es knapp verhindert.
Und was genau ist das Problem?
Ohne die Republikaner im Kongress geht nichts, schließlich verfügen sie im Repräsentantenhaus, der unteren Parlamentskammer, über die Mehrheit. Sie wollen diese Macht nutzen, um Obamas Gesundheitsreform ("Obamacare") zu stoppen oder wenigstens zu verzögern. Im Repräsentantenhaus haben sie eine Gesetzesvorlage beschlossen, die zwar die Finanzierung der Regierung bis Mitte Dezember sichert, gleichzeitig aber der Gesundheitsreform Mittel streicht. Der demokratisch dominierte Senat wird das möglicherweise noch an diesem Freitag ablehnen. Dann bleiben nur noch wenige Stunden für einen Kompromiss.
Warum erpressen die Republikaner die Regierung?
Die Erpressungsversuche gehen nicht auf die Republikaner zurück, sondern auf eine rechtspopulistische Bewegung innerhalb der Partei: die Tea Party. Rund 50 der insgesamt 233 republikanischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus können ihr zugerechnet werden, außerdem ein paar Senatoren. Die meisten von ihnen sind 2010 wegen ihres Kampfes gegen Obamacare ins Parlament gewählt worden. Weite Teile der Basis empfinden die in der Gesundheitsreform verankerte allgemeine Krankenversicherungspflicht nicht als zivilisatorischen Fortschritt - mehr als 40 Millionen Amerikaner werden erstmals Versicherungsschutz erhalten können - sondern als sozialistisches Teufelswerk.
Warum machen die moderateren Republikaner da mit?
Weil sie Angst vor radikaleren innerparteilichen Herausforderern in ihren eigenen Wahlkreisen haben. Von den Demokraten hingegen droht ihnen kaum noch Gefahr: In den vergangenen Jahren sind die Grenzen der Stimmkreise mehr und mehr so verändert worden, dass sie bei Wahlen stets entweder eindeutig den Republikanern oder eindeutig den Demokraten zufallen. Wechselnde Mehrheiten werden ungewöhnlicher. Nicht mal mehr zehn Prozent der insgesamt 435 Sitze im Repräsentantenhauses gelten nach Experteneinschätzung überhaupt noch als parteipolitisch offen. Konsequenz: Wer in Washington zu kompromissbereit ist, wird daheim bestraft. So nehmen die Rechtspopulisten erst die republikanische Partei und schließlich das Land in Geiselhaft.
Wird es dennoch eine Lösung geben?
Unklar. In der republikanischen Führung wächst der Ärger über die Tea Party, es zeichnet sich durchaus die Bereitschaft ab, den Government Shutdown vorläufig zu verhindern, die Regierung bis Mitte November zu finanzieren - im Tausch gegen kleinere Veränderungen bei Obamacare.
Dafür aber scheint John Boehner - als Sprecher des Repräsentantenhauses der formell mächtigste Republikaner - die Erhöhung der Schuldenobergrenze am 17. Oktober mit einigen Bedingungen verknüpfen zu wollen, um so die Rechtspopulisten zu befrieden: Neue Schulden nur dann, wenn unter anderem der kurz bevorstehende Start von Obamacare um ein Jahr verschoben und eine umstrittene Mega-Ölpipeline quer durchs Land gebaut wird.
Damit wäre das eine Problem nur gegen das andere, viel größere getauscht. Obamas Reaktion, bisher: Er werde nicht verhandeln.