Wirtschaftskrise in Venezuela Aufstand gegen den Soziölismus

Autoschlange im venezolanischen San Cristobal
Foto: Carlos Eduardo Ramirez/ REUTERSEs wird gehungert im Staat mit dem größten Ölschatz der Erde. Jedes siebte Kind in Venezuela war vergangenes Jahr laut der Caritas akut unterernährt. Sechs von zehn Venezolanern verloren 2017 Gewicht, im Schnitt mehr als zehn Kilogramm. In einer Studie dreier venezolanischer Universitäten erklärten fast 90 Prozent der Teilnehmer, das Familieneinkommen reiche nicht, um genug Lebensmittel zu kaufen.
Venezuela verarmt. Dabei könnte es steinreich sein. Schließlich hat es die Natur gut gemeint mit dieser Nation, die gespalten ist im Machtkampf zwischen dem autokratischen Präsidenten Nicolás Maduro und dem Oppositionspolitiker Juan Guaidó.
Mindestens 303 Milliarden Barrel Erdöl, ein Barrel entspricht 159 Litern, lagern in Venezuelas Boden. Mehr als in Saudi-Arabien, Kanada, Russland oder den USA. Gewaltige Vorkommen wurden in den vergangenen Jahren im Orinoco-Gürtel entdeckt.
Doch der Staatsmonopolist Petróleos de Venezuela (PDVSA) schafft es nicht, den Schatz zu heben. Im Gegenteil: Venezuelas Produktion sinkt und sinkt, von rund 3,3 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2008 auf rund zwei Millionen im Jahr 2017. Im den ersten elf Monaten 2018 waren es durchschnittlich sogar nur noch 1,38 Millionen Fass pro Tag.
Verheerend für ein Land, dessen Deviseneinnahmen zu mehr als 90 Prozent aus dem Verkauf von Rohöl und Ölprodukten stammen. Und: Nicht nur der Staat steht wegen der ausbleibenden Petrodollars vor dem Ruin. Sondern auch die PDVSA, das Herzstück der venezolanischen Wirtschaft.
Zulieferer wie das Serviceunternehmen Halliburton mussten Forderungen über Hunderte Millionen Dollar abschreiben, weil sie das Geld nie bekommen hätten. Seit 2017 kann die PDVSA vielen Gläubigern keine Kreditzinsen mehr zahlen.

Ölnation in der Staatskrise: Diese Konzerne haben in Venezuela etwas zu verlieren
Was hat sie bloß so ruiniert?
"Die Henne der goldenen Eier" nannten die Venezolaner PDVSA einst. Noch zur Jahrtausendwende galt die PDVSA als einer der bestgeführten, modernsten Ölkonzerne auf dem südamerikanischen Kontinent, sein Personal galt als exzellent ausgebildet.
Heute ist das ehemalige Paradeunternehmen Inbegriff für die Misswirtschaft unter Präsident Nicolás Maduro und seinem verstorbenen Vorgänger Hugo Chávez. Bald nachdem die linkspopulistischen Chavistas die Kontrolle über die PDVSA übernommen hatten, begann die Ölausbeute zu fallen. Kosten und Schulden stiegen dagegen.
"Der Niedergang dieses Unternehmens ist das Ergebnis von jahrelanger Misswirtschaft", sagt Eugen Weinberg, Rohstoffstratege der Commerzbank. Und, nicht zu vergessen: von Vetternwirtschaft und Korruption.
Video: Guaidó gegen Maduro - Szenen der Machtprobe in Venezuela
Als 2003 ein Streik Tausender PDVSA-Mitarbeiter gegen Chávez scheiterte, politisierte der Präsident das Unternehmen rigoros. Er ersetzte eine Reihe Topmanager durch Freunde sowie Genossen seiner Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas. Chávez-kritische Fachkräfte wurden ausgemustert und durch loyale Jasager ersetzt.
"PDVSA ist rot. Rot von Kopf bis Fuß", verkündete der neue Konzernpräsident, Energieminister Rafael Ramírez, seinerzeit. Überlebensgroße Banner mit Chávez' Konterfei hingen plötzlich am Firmentower in Caracas. Und der verehrte "Comandante" kündigte an, er werde das Erdöl "dem Volk zurückgeben".
Konkret hieß das: Die Regierung zwang ausländische Ölgesellschaften, Teile ihrer Beteiligungen in Venezuela an die PDVSA zu übertragen.
Dazu schröpfte Chávez die PDVSA. 175 Milliarden Dollar Steuern sowie 42 Milliarden Dollar für Sozialprojekte musste das Unternehmen zwischen 2005 und 2012 abführen. Obendrauf musste es 57 Milliarden Dollar in einen dubiosen Staatsfonds einzahlen, der unter anderem in russische Kampfjets investierte.
Umverteilungspolitik in die eigenen Taschen
Ein Teil der Milliarden kam wirklich bei den Bedürftigen an. Die Armutsquote im Land sank zunächst spürbar - aber eben nur solange die Preise an den internationalen Ölmärkten haussierten.
Das Preishoch sicherte Chávez zweimal die Wiederwahl. Doch er wirtschaftete nicht nachhaltig. Große Summen aus dem Ölgeschäft verschwanden in dunklen Kanälen oder wurden für Wahlkampagnen ausgegeben.
In der Folge wurde bei der PDVSA das Geld immer knapper. Es mangelte an Investitionen und an Mitteln für den Erhalt der Anlagen. Die Konsequenz war eine Serie verheerender Unfälle: schwere Brände, eine Raffinerieexplosion mit 47 Toten, Lecks.
"Die Produktion fällt von allein, wenn man nicht jedes Jahr konsequent investiert", sagt Ölexperte Weinberg. Bohrköpfe und Maschinen müssen ersetzt, neue Felder erschlossen, Pipelines gewartet werden. All dies wurde vernachlässigt - erst recht, als die Ölpreise fielen. Denn Maduro führte Chávez' Umverteilungspolitik in die eigenen Taschen fort.
2015 waren die Ausgaben der PDVSA für Sozialprogramme an die sechs Milliarden Dollar höher als ihr Gewinn. Was die Regierung nicht daran hinderte, Benzin zu staatlich festgelegten Spottpreisen an die Venezolaner zu verschleudern. Der Liter kostete zeitweise umgerechnet weniger als einen Cent.
So billig war der Sprit, dass Betreiber von Straßenbaustellen anstelle der blinkenden Warnlampen brennende Benzinfässer aufstellten. Schmuggler transportierten Benzin im großen Stil ins Nachbarland Kolumbien. Einige Kredite, die China der Maduro-Regierung gegeben hatte, zahlte die PDVSA mit Öl zurück.
Dutzende verhaftete Manager
Der Soziölismus hat den Staatskonzern ausgeblutet. Seit 2016 werden seine Zahlungsnöte immer offensichtlicher: Geschäftspartner stoppen ihre Lieferungen; die PDVSA hat Not, überhaupt noch die nötigsten Ersatzteile aus dem Ausland zu beziehen; Korruptionsskandale erschüttern das Unternehmen; Dutzende Manager sind festgenommen worden.
Im Oktober 2017 traten aus einem überfluteten Raffinerietank der PDVSA Hunderttausende Liter Ölprodukte aus und gelangten ins Meer. Und die Förderung bricht nunmehr dramatisch ein. Das Londoner Analysehaus IHS Markit erwartet, dass Venezuela zu Jahresende nur noch 500.000 Barrel täglich produzieren wird.
Ohne die Petrodollars aber ist das Land nicht zahlungsfähig. Venezuela hat mit ihnen seit Langem die meisten Importgüter wie Nahrung oder Medikamente bezahlt. Nun versiegt der Warenstrom - und das Volk begehrt auf.
Die wachsende Armut weiter Teile der Bevölkerung ist Mitauslöser für die Revolte von Guaidó, dem oppositionellen Parlamentspräsidenten, der sich am Mittwoch selbst zum neuen Staatschef ernannt hat.

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Ölexperte Weinberg sagt der venezolanischen Ölwirtschaft eine goldene Zukunft voraus - sofern sich Guaidó durchsetzt. "Das Potenzial der Lagerstätten ist riesig, es gibt noch immer viele gut ausgebildete Fachkräfte", sagt er. "Wenn die Rechtssicherheit zurückkommt und die PDVSA sich für ausländische Partner öffnet, kann die Produktion binnen fünf Jahren auf fünf Millionen Barrel pro Tag steigen."
Die Henne würde dann wieder goldene Eier legen und die leeren Staatskassen füllen.
Ölkonzerne aus Europa, Amerika und China dürften um die Teilhabe an Joint Ventures in Venezuela wetteifern. Die besten Chancen hätten US-Multis, sagt Weinberg: "Guaidó hat in den Vereinigten Staaten studiert, Trump hat ihn gleich als neuen Präsidenten anerkannt, und die USA waren bis vor wenigen Jahren der größte Abnehmer für venezolanisches Öl."
Ob es zu einer solchen Bonanza kommt, ist ungewiss. Jetzt tobt erst einmal ein Machtkampf in Caracas. Und je länger dieser dauert, je stärker die Unruhen eskalieren, je weiter das Land auf einen Bürgerkrieg zusteuert, desto mehr Venezolaner werden Hunger leiden müssen.
Zusammengefasst: Die sozialistischen Staatslenker Hugo Chávez und Nicolás Maduro haben den staatlichen Ölkonzern PDVSA durch Misswirtschaft und Korruption an den Rand der Pleite getrieben. Da von dem Konzern das Wohl der kompletten venezolanischen Wirtschaft abhängt, befindet sich das Land in einer tiefen Krise. Im Putsch des Parlamentspräsidenten liegt die Chance, dass PDVSA zu alter Stärke erblüht und es mit Venezuela wieder bergauf geht.