
Warteschleife: Gefangen in der Todeszone
Öffentlicher Nahverkehr Verloren in der Tarif-Todeszone
Als wir noch in Hamburg wohnten, amüsierte ich mich jedes Mal, wenn meine Frau ein Ticket zu lösen versuchte. Mit großen Augen stand sie dann vor dem HVV-Automaten wie ein Eichhörnchen vor einem Hochleistungsrechner. Über fünf Jahre in Hamburg - doch sie kapierte es einfach nicht.
"Von hier bis zum Jungfernstieg. Wie viele Ringe, Tom?"
"Es gibt in Hamburg keine Ringe, Schatz. Nur in München."
"Aber hier sind doch welche auf dem Plan …"
"… ja, aber die sind nur außerhalb des Großbereichs relevant."
Sie fuhr mit dem Finger ziellos über den Plan. "Du meinst den Gesamtbereich?"
"Nein, das sind zwei verschiedene Dinge. Drück' einfach die 3."
"Warum?"
Tja. Warum eigentlich? Keine Ahnung. Weil die 3 eben das Standardticket für Stadtfahrten ist. Als gebürtiger Hanseat weiß ich das. Meiner bajuwarischen Gattin fehlt da einfach der kulturelle Hintergrund.
Der Herr der Ringe ist ein Münchner
Nun wohnen wir in München, und das Lachen ist mir vergangen. Denn das hiesige ÖPNV-System ist noch viel komplizierter als das Hamburgische. Eine Kostprobe: Um von A nach B zu gelangen, müssen Sie zunächst die Zonen zählen. Das sind um den Stadtkern herum angeordnete konzentrische Ringe. Aber Vorsicht bitte, denn Ringe sind diese Zonen nur der Form nach. Man darf sie nicht mit jenen 16 Ringen im tariflichen Sinne verwechseln, die es neben den vier Zonen auch noch gibt. Ringe zählt man, wenn es sich um Zeitfahrkarten (oder um Ausbildungstarife) handelt. Zonen finden hingegen ausschließlich bei Einzeltickets Anwendung - und bei Streifenkarten.
Letztere bestehen aus zehn Abschnitten. Pro Zone muss man zwei abstempeln. Außer es handelt sich um eine Kurzstrecke, dann nur einen. Als Kurzstrecke gilt jede Fahrt bis zur vierten Haltestelle nach dem Einstieg (jedoch mit maximal zwei S- oder U-Bahn-Haltestellen). All dies gilt selbstverständlich nicht, wenn man jünger als 21 ist. In diesem Fall entspricht jeder Streifen einer Zone. Wer unter 14 ist, muss hingegen immer nur einen Streifen stempeln und braucht überhaupt keine Zonen (oder Ringe) zu zählen, selbst wenn er das in der Schule bereits gelernt hat. Hunde fahren gratis. Aber nur der Ersthund - Zweithunde benötigen eigene Fahrkarten.
Alles verstanden? Gut. Dann müssen Sie es nur noch von der tariflichen Theorie in die Beförderungspraxis schaffen. Die Zonenzählerei ist nicht ganz einfach, weil die Bahnstrecken kreuz und quer durch Zonen (und Ringe) laufen. Wenn Sie eine im Norden verlassen, dann aber im Süden erneut touchieren, zählt sie zweimal. Erst ab vier Zonen bleibt der Preis konstant. Außer wenn Sie an einem katholischen Feiertag aus südwestlicher Richtung kommen und zwei Pudel dabei haben.
Unlängst rügte mich meine Frau, weil ich seit Wochen bei jeder Fahrt zu wenig Streifen abgestempelt hatte. "Mensch, zähl' halt die Ringe!", sagte sie. "Zonen heißen die!", blaffte ich zurück.
Tanja bestritt, dass Zonen existierten. "Die gibt es doch nur in Hamburg."
Umweltschutz - schwer gemacht
Politiker und Stadtplaner halten uns seit Jahren dazu an, den ÖPNV zu nutzen. Aber warum sind die Regeln dann so kompliziert? München ist ja beileibe nicht die einzige Stadt, dessen Tarifsystem so aussieht, als habe sich bei ihrer Erstellung ein sadistischer Regelfetischist ungehemmt austoben dürfen.
Mit Grauen erinnere ich mich an Frankfurt: Dort hat der Fahrgast über eine Tastatur vierstellige Zielnummern einzugeben, die zuvor einer Tabelle von der Größe eines Wahlplakats zu entnehmen sind. Mit etwas Pech bietet einem der Automat dann noch verschiedene Alternativstrecken an, für die es wiederum Wegnummern gibt. Zudem verzichtet der Rhein-Main-Verbund weitgehend auf Farbleitsysteme oder die Angabe bekannter Orte. Stattdessen steht auf den Schildern Ginheim oder Gonzenheim. Immer.
Ist das ein rein deutsches Phänomen? Die Frage drängt sich auf, denn in London, Paris oder New York käme wohl niemand auf die Idee, 137 verschiedene Tarife mit alphanumerischen Codes einzuführen. Dort gilt das "Eine Fahrt, ein Ticket, ein Preis"-System.
Neulich musste ich ans andere Ende der Stadt. Ich ließ mir sicherheitshalber von meiner Frau erklären, welches Ticket zu lösen war. Trotz dieser Vorbereitung musste ich 40 Euro blechen. "Sie haben nicht entwertet", schalt mich der Kontrolleur. Das hätte ich in der Tat tun müssen. Da gibt es keine Ausrede, die Regeln sind lupenrein und glasklar: Alle MVV-Einzelfahrkarten müssen vor Fahrtantritt gestempelt werden.
Außer jenen, die im Bus gekauft werden. Und in der Tram. Oder allen, die an S-Bahn-Automaten der Deutschen Bahn gezogen werden. Diese Tickets sind bereits entwertet.