Deutschlands größter Wohnungskonzern Bereichert sich Vonovia an seinen Mietern?

Firmenzentrale von Vonovia in Bochum
Foto: Roland Weihrauch/ picture alliance / Roland Weihrauch/dpaMan muss als Mieter schon sehr aufmerksam sein, wenn man Fehler in der Betriebskostenabrechnung entdecken will. Es sind Schreiben mit vielen Berechnungen und noch mehr Zahlen - ideal, um etwas darin zu verstecken. Denn wer macht sich die Mühe, Dokumente anzufordern und die Kalkulationen nachzuvollziehen?
Der Konzern hieß früher Deutsche Annington, nach mehreren Übernahmen wurde daraus im Jahr 2015 Vonovia: ein Großkonzern, der in Deutschland knapp 400.000 Wohnungen besitzt, 3,6 Milliarden Euro umsetzt und als eines der 30 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland in den Dax aufstieg. Gleichzeitig ist Vonovia zum vielleicht umstrittensten Vermieter des Landes geworden. Tausende Mieter sind verärgert, wegen Mieterhöhungen, teuren Modernisierungen und immer wieder wegen vermeintlich überhöhter Betriebskosten.
Zahlendreher erhöht Heizkosten um 14 Prozent
Ernst zur Linden ist Mieter einer Wohnung im obersten Stockwerk mit Blick auf den Kölner Dom. Er trägt eine blaue Breitcordhose, in den Ärmeln des blau-weiß gestreiften Hemdes stecken goldene Manschettenknöpfe in Form von Seemannsknoten - in der Wohnung ist seine Liebe zum Norden und zur See allgegenwärtig. Früher war er Controlling-Vorstand des Axa-Konzerns, davor Leiter der Konzernrevision: Er weiß, wie ein Großunternehmen funktioniert, und er hat einen Blick für Details.
Als Erstes fiel zur Linden auf, dass Vonovia in der Heizkostenabrechnung für das Jahr 2015 einen Zahlendreher hatte - den Mietern waren fast 14 Prozent zu hohe Kosten in Rechnung gestellt worden. Zur Linden widersprach, der Konzern räumte einen "Übertragungsfehler" ein und stellte ihm eine neue Rechnung aus. An die anderen 49 Betroffenen in der Wohnsiedlung gab Vonovia diese Information aber nicht weiter - und beließ es stillschweigend bei der Ursprungsforderung.
Zur Linden fiel aber noch etwas auf: Die Heizkostenabrechnung für das Jahr 2015 sah anders aus als in den Vorjahren. Die Gesamtabrechnung der Wohnanlage fehlte, an der leicht zu erkennen ist, wie viel Heizenergie Vonovia vom Fernwärmeanbieter Rheinenergie gekauft hatte - und wie viel in der Wohnanlage verbraucht wurde. Zur Linden forderte diese Übersicht an, aus der hervorgeht, dass in den Wohnungen offenbar nur gut 80 Prozent der eingekauften Wärme ankam. Den Mietern wurden aber 100 Prozent der Kosten berechnet. Wo war der Rest geblieben?
Schuld sind immer die anderen
Wer wie Ernst zur Linden nach der Antwort sucht, verheddert sich leicht in einem Gestrüpp aus Daten, Vorwürfen, Verdächtigungen, Zuständigkeiten und Schuldzuweisungen.
Vielleicht ist sein Fall ein Einzelfall, vielleicht geht es nur um wenig Geld. Vielleicht aber ist es auch nur das Beispiel für Zehntausende ähnliche Fälle,und vielleicht geht es insgesamt um Millionen Euro - deshalb lohnt sich ein genauer Blick auf die Abrechnung dieser Hochhauswohnung in Köln.
Der Mieter zur Linden forderte die Belege an, rechnete, und konfrontierte Vonovia mit den Ergebnissen. Er schrieb Briefe und E-Mails, telefonierte und traf verschiedene an der Abrechnung Beteiligte. Von jedem bekam er eine andere Begründung für die Abweichungen zwischen den tatsächlichen Kosten und der Abrechnung. Inzwischen umfasst der Schriftverkehr zur Nebenkostenabrechnung vier prall gefüllte blaue Ordner.
Grob zusammengefasst lässt sich sagen, dass Vonovia die Differenz auf den Wärmelieferanten Rheinenergie schiebt: Der Zähler sei wohl defekt gewesen, deshalb sei der Verbrauch geschätzt worden. Der städtische Energieversorger weist das zurück, man habe allerdings aufgrund der Mieterbeschwerden dem Wohnungsunternehmen "angeboten, den Übergabe-Zähler ausbauen und amtlich auf Messgenauigkeit hin überprüfen zu lassen", schrieb Rheinenergie auf Anfrage des SPIEGEL. Das sei im August 2017 geschehen, "und das Ergebnis war eindeutig: Der Zähler misst korrekt."
Die von zur Linden beanstandeten Differenzen müssten demnach erst in der Wohnanlage aufgetreten sein. Die Zähler dort werden von Techem abgelesen, einem weltweit agierenden Konzern mit Hauptsitz im hessischen Eschborn - der lediglich mitteilt, dass die Zähler einwandfrei funktionierten.
Damit führt die Suche zurück zu Vonovia. Das Unternehmen hat vor fast einem Jahr erneut angekündigt, die Abrechnungen der vergangenen Jahre zu prüfen. "Diese Prüfung ist sehr komplex und dauert derzeit noch an", teilte der Konzern auf SPIEGEL-Anfrage mit.
Zur Linden hat vor mehr als einem Jahr damit begonnen, dem zuständigen Sachbearbeiter, den Geschäftsführern des Kundendienstes, dem Vorstandschef der Aktiengesellschaft und schließlich dem Aufsichtsrat zu schreiben. Eine Antwort hat er bis heute nicht bekommen.
Einerseits geht es nur um ein paar Hundert Euro, keine große Summe für den Ex-Manager zur Linden. Andererseits geht es ihm ums Prinzip. Und vielleicht verändert seine Hartnäckigkeit etwas für alle, denn über ganz Deutschland verteilt klagen Vonovia-Mieter über ähnliche fehlerhafte Abrechnungen.
Zwar hat zur Linden wegen des Widerspruchs deutlich weniger gezahlt, als Vonovia gefordert hatte - andere Mieter aber nicht. Zur Linden sieht darin ein System: "Ungerechtfertigte Mehrbelastungen der Mieter werden im Einzelfall korrigiert, um eine gerichtliche Klärung zu vermeiden. Bei allen übrigen Betroffenen werden die Mehrbelastungen jedoch beibehalten, sodass der größte Teil des wirtschaftlichen Effekts der Manipulationen erhalten bleibt."
Zur Linden hat schließlich Strafanzeige wegen Betrugs erstattet, ebenso ein zweiter Mieter. Ob die Staatsanwaltschaft Bochum Ermittlungen aufnehmen wird, ist aber auch fast neun Monate später noch unklar.
Gibt es ein "System Vonovia"?
In anderen dem SPIEGEL bekannten Fällen setzte Vonovia die Vorauszahlungen für Heiz- und Betriebskosten so hoch, dass den Mietern am Jahresende eine Rückzahlung zustand. Meist kommen diese Abrechnungen um Weihnachten herum - nur selten dürfte sich jemand die Zeit nehmen und nachrechnen, ob die Gutschrift nicht hätte höher ausfallen müssen. Wenn ein Vermieter auf diese Weise zu hohe Kosten abrechnen will, ist das eine gute Gelegenheit. Zumal eine möglicherweise falsche Abrechnung rechtswirksam wird, wenn die Mieter nicht innerhalb von zwölf Monaten Einspruch einlegen.
Ein Ehepaar in Kronberg im Taunus hatte ebenfalls Zweifel an der Nebenkostenabrechnung von Vonovia, schließlich hatten sich ihre Heizkosten von gut 500 auf mehr als 1000 Euro mehr als verdoppelt. Fünf Monate nach der Beanstandung räumte Vonovia schließlich ein: "Sie haben Recht, nach erneuter Prüfung der Heizkostenabrechnung ist uns ein Fehler in Abrechnung 2016 unterlaufen."
Glücklich waren die Senioren aber trotzdem nicht, denn die folgenden Sätze in dem Vonovia-Schreiben waren unverständlich: "Da uns für den Abrechnungszeitraum keine Verbrauchswerte vorlagen, erfolgte die Kostenumlage zu 100 % nach Heizfläche. Für diesen Fall steht Ihnen als Mieter eine Kürzung von 15 % zu." Darunter eine Rechnung der Kosten "abzüglich 15 % Gutschrift".
Die Mieter waren verblüfft. Die Verbrauchszähler an ihren Heizungen waren schließlich abgelesen worden. Ein Anruf bei der dafür zuständigen Firma, ebenfalls Techem, habe ergeben, dass die Daten alle erhoben und auch fristgerecht an Vonovia weitergeleitet worden seien. Die bewusst sparsamen Mieter hatten nun aber nichts davon, dass sie ihre Wohnung nur wenig geheizt und wenig warmes Wasser genutzt hatten. Natürlich müssten sie nach der nächsten regulären Ablesung ihre zu viel gezahlten Abschläge wieder zurückbekommen. Aber sie bezweifeln, dass korrekt abgerechnet wird.
Absicht oder Versehen? Unzulässige Posten in den Betriebskosten
Ähnlichen Unmut gibt es in sehr vielen Vonovia-Wohnungen in ganz Deutschland, die Mietervereine bekommen laufend Beschwerden. Für die ist das Unternehmen aber kaum zu fassen: Sie sind lokal organisiert, und sie erfahren höchstens, welche Probleme ihre jeweiligen Mitglieder haben - einen Überblick über das Verhalten des Gesamtkonzerns bekommt nicht einmal deren Dachverband, der Deutsche Mieterbund. Dazu kommt, dass kaum ein Mieter das Risiko einer Klage eingeht.
Denn häufig sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die nicht korrekt sind, wie beispielsweise die "Baumwartung", die sich einem Mieterverein zufolge bei einigen Wohnanlagen in der Betriebskostenabrechnung unter dem Punkt "Gehölzflächenpflege" verbirgt. Diesen Posten dürfen Vermieter gar nicht auf die Miete abwälzen. Aber wer weiß das schon? Und wer würde gegen Kosten von ein paar Euro im Monat das Risiko einer Klage eingehen? Und hat Vonovia seinen Mietern diesen Posten vielleicht nur versehentlich in Rechnung gestellt?
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Das Unternehmen setzt seit seinem Börsengang sehr stark auf "Insourcing", also auf die Erledigung von Arbeiten durch eigene (Tochter-) Unternehmen. Rechtsanwalt Dr. Burkhardt Krems, selbst Vonovia-Mieter, vermutet Kalkül hinter dieser Strategie: "Die Tochterfirmen stellen der Vonovia für ihre Dienstleistungen überhöhte Rechnungen, die über die Betriebskostenabrechnung von den Mietern gezahlt werden." Die Gewinne der Tochterfirmen landen über Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge wieder bei der Vonovia. Wäre die Vermutung des Rechtsanwalts korrekt, dann hätte der Konzern eine Mieterschröpfmaschine gefunden.
Vonovia teilt dazu mit, das Unternehmen wolle "möglichst viele Leistungen aus einer Hand anbieten und dabei möglichst effizient unsere Bestände bewirtschaften". Das Ziel sei es, die Kosten für die Mieter gering zu halten. "Wir orientieren uns an marktüblichen Preisen und arbeiten fortwährend daran, unseren Service noch effizienter und besser für den Kunden zu machen." Der schöne Nebeneffekt: Die Erlöse aus der Immobilienbewirtschaftung bringen dem Konzern laut eigener Gewinn- und Verlustrechnung inzwischen mehr ein als die Vermietung.
Allein die erhöhten Heizkostenabrechnungen der Anlage, in der Ernst zur Linden wohnt, spülen fast 100.000 Euro in die Vonovia-Kasse: Bei insgesamt fast 400.000 Wohnungen käme auf diese Weise eine hohe Millionensumme zusammen. Wenn das Geld mit der Folgeabrechnung zurückfließen sollte, wäre das nur ein komfortabler kostenloser Jahreskredit für das Unternehmen. Wenn kein Mieter widerspricht, könnte daraus sogar eine satte Finanzspritze werden.
Und die Rendite bei dem Dax-Konzern stimmt: Der Deutsche Mieterbund hat ausgerechnet, dass Vonovia die Mieteinnahmen im vergangenen Jahr um 4,2 Prozent gesteigert hat. Profitiert haben davon vor allem die Aktionäre: Die Dividende stieg um fast 18 Prozent auf 1,32 Euro pro Aktie.