EU-Plan zur Schuldenkrise Deutschland beharrt auf Spardiktat

Sparen oder wachsen? Europa ringt um den richtigen Kurs aus der Wirtschaftskrise. Die EU-Kommission will die strikten Vorgaben aufweichen. In Deutschland sieht man darin schon das Ende der Sparpolitik - und kämpft mit vereinten Kräften dagegen.
Bundeskanzlerin Merkel, EU-Kommissionspräsident Barroso: Kein Aufweichen akzeptieren

Bundeskanzlerin Merkel, EU-Kommissionspräsident Barroso: Kein Aufweichen akzeptieren

Foto: Olivier Hoslet/ dpa

Hamburg - Die Nachricht war noch nicht mal offiziell, da lief die Berliner Empörungsmaschine schon wieder auf vollen Touren: "Ein Aufweichen oder Abweichen von Regeln kommt für die FDP nicht in Frage", verkündete deren Fraktionsvorsitzender Rainer Brüderle einen Präsidiumsbeschluss. Von einem "fatalen Signal" der EU-Kommission sprach der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Barthle. "Einer Aufweichung der Schuldenregeln stimmen wir nicht zu."

Was die Spitzenkräfte der Regierungsparteien so in Rage bringt, ist ein Plan, den die Brüsseler EU-Kommission in den kommenden Wochen vorstellen will. Dabei geht es um eine Lockerung der Schuldenregeln, die im sogenannten Stabilitätspakt vereinbart sind. Bestimmte Investitionen sollen demnach bei der offiziellen Berechnung des Staatsdefizits nicht mehr als Schulden angerechnet werden. Bis zum nächsten EU-Gipfel Ende Juni soll ein entsprechender Vorschlag vorliegen.

Der Vorstoß aus Brüssel eröffnet ein neues Scharmützel im seit Monaten dauernden Kampf um das richtige Krisenlösungsrezept. Während die Bundesregierung dabei vor allem auf strikte Haushaltsdisziplin in den Krisenländern pocht, sehen die Staaten selbst den aus Berlin verordneten Sparkurs zunehmend kritisch. Sie fürchten, dass noch mehr Sparen ihre Volkswirtschaften noch tiefer in die Rezession treibt und fordern stärkere Wachstumsimpulse.

Dabei werden sie von der EU-Kommission nach Kräften unterstützt. Die gegenwärtige Spar- und Reformpolitik habe "in vielerlei Hinsicht ihre Grenzen erreicht", hatte Kommissionspräsident José Manuel Barroso bereits Ende April festgestellt - und den Streit damit verschärft. Kurz darauf legte Sozialkommissar László Andor nach: "Sparen allein schafft kein Wachstum." Es brauche zusätzliche Investitionen und Nachfrage.

Wie das in der Praxis aussehen kann, will die Kommission bald demonstrieren: Bei dem nun diskutierten Vorschlag soll es darum gehen, den Griff in die EU-Strukturfonds für Mitgliedstaaten noch attraktiver zu machen. Dazu soll der Eigenanteil, den die Staaten beim Einsatz der Fördermittel zahlen, bei der Ermittlung des Staatsdefizits nicht mehr als Schulden behandelt werden.

Wenn ein EU-Staat Fördermittel aus einem Strukturfonds abrufen will, muss er gleichzeitig eigenes Geld zuschießen, meist 50 Prozent des Betrages, in einigen Krisenländern wie Griechenland oder Portugal aber auch deutlich weniger. Bisher wird eine solche Investition ganz normal als Staatsschuld angerechnet. Künftig soll das nach dem Willen der EU-Kommission bei bestimmten Berechnungen nicht mehr gelten.

Die deutsche Politik ist in Alarmbereitschaft

Laut Kommission soll es dabei nur um den sogenannten "präventiven Arm" des europäischen Stabilitätspakts gehen. Das heißt konkret: Bei laufenden Defizitverfahren gegen Länder, die die offizielle Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung überschritten haben, würde sich nichts ändern.

Lediglich bei der Berechnung der mittelfristigen Haushaltsziele könnten die Investitionen herausgerechnet werden. Die betreffenden Staaten würden also nicht so schnell wie bisher eine offizielle Verwarnung kassieren, wenn sie durch die Kofinanzierung der EU-Fördermittel zwischenzeitlich vom vereinbarten Weg der Haushaltskonsolidierung abweichen. Einige südeuropäische Länder, wie etwa Italien, fordern solche Lockerungen schon lange.

Die Details des Kommissionsvorschlags werden noch diskutiert. Wie es bisher aussieht, dürfte es in der Praxis aber nicht um sehr hohe Beträge gehen. Am meisten könnte Spanien profitieren, das von 2007 bis 2013 auf knapp 35 Milliarden Euro aus den EU-Fonds zugreifen kann . Italien stehen im gleichen Zeitraum knapp 28 Milliarden Euro zur Verfügung.

Dennoch ist vor allem die deutsche Politik in Alarmbereitschaft. In Berlin fürchtet man, dass eine kleine Aufweichung der Sparziele weitere Ausnahmen nach sich ziehen könnte. Am Ende würde der Glauben an die Reformbereitschaft der Krisenländer untergraben. Gewonnenes Vertrauen könne schnell verspielt werden, mahnte am Montag der Sprecher von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Auch Jörg Asmussen, der einzige Deutsche im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB), kritisierte den Plan. "Man sollte nicht am Stabilitätspakt herumschrauben", sagte der Notenbanker bei einem Besuch in Berlin. Es dürfe nicht zwischen guten und schlechten Schulden unterschieden werden. "Jedes Defizit muss am Kapitalmarkt finanziert werden."

In Brüssel interpretiert man das eigene Vorhaben etwas anders. Man arbeite daran, "wie man öffentliche Investitionen berücksichtigen kann, die die staatlichen Finanzen nachweisbar tragfähiger machen", sagte ein Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn.

Es dürfte also einiges zu besprechen geben, wenn die Staats- und Regierungschefs Ende Juni zum EU-Gipfel zusammenkommen. Zumal bis dahin noch ein weiteres Streitthema auf der Tagesordnung auftauchen könnte: Die Kommission will in den kommenden Wochen ein Gesetz vorschlagen, das einen neuen Geldtopf in der EU begründen könnte. Das sogenannte "Instrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit" soll Staaten mit Strukturproblemen Geld für nötige Reformen zur Verfügung stellen. Als ein möglicher Empfänger gilt Frankreich.

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