Zulassungsentzug Erste Verkehrsämter sträuben sich, VW-Diesel stillzulegen

VW-Amarok auf der IAA 2016
Foto: Julian Stratenschulte/ picture alliance / dpaFast hat Volkswagen sein Ziel erreicht, 2,6 Millionen manipulierte Dieselautos in Deutschland mit einem umstrittenen Software-Update umzurüsten. Rund 260.000 Wagen fehlen noch. Nun erhalten die ersten Besitzer dieser Dieselautos vom Straßenverkehrsamt die Verfügung zur sofortigen Stilllegung ihres Fahrzeugs.
Die Besitzer können sich aber offenbar mit Erfolg wehren. Denn weil sich das Bundesverkehrsministerium in der Sache wegduckt, greifen manche Verkehrsämter lieber nicht voll durch.
Der Besitzer eines VW Amarok mit illegaler Abschalteinrichtung erhielt nach Unterlagen, die dem SPIEGEL vorliegen, am 19. Oktober die Mitteilung des zuständigen Straßenverkehrsamts, das den Betrieb seines Fahrzeugs mangels Nachrüstung untersagte - mit sofortigem Vollzug. So dürfte es bald vielen Autobesitzern ergehen. Allerdings: Die Kanzlei des Besitzers, Stoll & Sauer, beantragte am vergangenen Mittwoch, den Sofortvollzug auszusetzen - und erreichte schon am selben Tag noch mehr: Das Straßenverkehrsamt in Euskirchen hob nicht nur den sofortigen Vollzug, sondern gleich die gesamte Verfügung auf.
Das besondere Problem des Amarok-Besitzers: Er klagt vor dem Landgericht Köln gegen VW und Händler des Konzerns, weil ihm das Fahrzeug angesichts der VW-Tricks bei den Stickoxidwerten mit Mängeln verkauft wurde. Das Gericht könnte ein Gutachten verlangen, das die Abgaswerte vor und nach der Umrüstung darlegt. Wäre das Auto schon umgerüstet, wäre das nicht mehr möglich.
Überraschend schnelle Volte
"Eine so schnelle Aufhebung des vollständigen Bescheids hätte ich so nicht erwartet", sagt Rechtsanwalt Ralf Stoll, dessen Kanzlei bundesweit mehr als 4500 Gerichtsverfahren gegen VW und dessen Händler führt und mehr als 35.000 Geschädigte im Abgasskandal vertritt. "Es zeigt eine gewisse Unsicherheit." Das Amt in Euskirchen wollte sein Vorgehen nicht kommentieren.
Die Volte der Behörde in Euskirchen offenbart das Dilemma der Politik in der VW-Abgasaffäre. Bundeswirtschaftsministerium und Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) haben jahrelang über Indizien für einen Betrug bei den Tests von Abgaswerten hinweggesehen. Obwohl die Manipulationen dann aufflogen, scheute der bisherige Verkehrsminister Alexander Dobrindt eine klare Reaktion. Das Ministerium verweist an das KBA, das jetzt handeln müsse; das KBA gibt den schwarzen Peter an die Straßenverkehrsämter weiter. Sie müssten Fahrzeuge im Falle aus dem Verkehr ziehen, wenn diese nicht ordnungsgemäß seien.
Straßenverkehrsämter uneins
Doch unter den Ämtern, personell und fachlich nicht annähernd für ein solches Unterfangen ausgestattet, scheuen sich die ersten. Nach SPIEGEL-Informationen ist in den Reihen der Straßenverkehrsämter bundesweit eine Diskussion über das Vorgehen im Fall VW entbrannt.
Während etwa in Niedersachsen die harte Linie verfolgt wird und manipulierten VW-Fahrzeugen ohne Umrüstung die Zulassung entzogen werden soll, sträuben sich Ämter in anderen Bundesländern. Manche von ihnen scheuen Klagen gegen eine solche Verfügung, wie sie die Kanzlei Stoll & Sauer im Fall des Amarok schon vorsorglich beim Verwaltungsgericht Aachen eingereicht hatte.
"Wir halten uns zurück, solange es keine Vorgabe vom Gesetzgeber gibt", sagt der Leiter eines Straßenverkehrsamts. "Wir können und wollen nicht derjenige sein, der hier die Entscheidung trifft, ob das Software-Update ausreicht." Das Risiko von Klagen gegen das Amt wegen einer Stilllegung sei zu groß. "Das Bundesverkehrsministerium muss einen Erlass machen, wie wir vorgehen sollen. Das passiert in anderen Fällen ganz normal auch so. Nur in dem VW-Thema hören und sehen wir von dort nichts."
"Wir haben dafür keine Experten"
Die Straßenverkehrsämter sind durch die schwammigen politischen Entscheidungen, wie mit VWs manipulierten Autos umzugehen ist, in eine schwierige Situation geraten. Sie müssten nun entscheiden, ob die Nachrüstung ausreicht, um die VW-Dieselautos in einen rechtskonformen Zustand zu bringen. "Das können wir nicht, wir haben dafür keine Experten", heißt es bei einem der Ämter.
Die Skepsis hat ein Fundament: Schließlich gibt es Gutachten und sogar Landgerichtsurteile die Zweifel an den Updates schüren. Dort wird dargelegt, dass die Nachrüstung den Schadstoffausstoß nicht ausreichend senkt, die Leistung der Autos sogar vermindert, den Verbrauch und Verschleiß von Teilen erhöht.
Mittlerweile überwiegt offenbar auch in Berlin die Sorge, mit den Software-Updates allein könnte es nicht getan sein. Nun wird doch eine Umrüstung von Autoteilen statt nur neuer Programmiercodes favorisiert. Dafür soll die nachträgliche Ausstattung der Modelle mit einem Katalysator mit Harnstoffeinspritzung (sogenanntes AdBlue) bei den Autos geprüft werden.
"Wir wollen hier keine Beweismittel vernichten helfen", sagt der Leiter einer Straßenverkehrsbehörde. Sein Amt wolle abwarten, bis klar sei, ob die Software-Updates ausreichten oder der Gesetzgeber die Entscheidung übernehme. "So lange entziehen wir keinem Auto die Zulassung, das uns durch das KBA gemeldet wird, weil es nicht an der Rückrufaktion teilgenommen hat. Wir wollen nicht zwischen die Mühlen von Politik und Justiz geraten."