Währungskrise Europa muss mehr Europa wagen

Der Euro ist in Gefahr - und Europas Spitzenpolitiker verkennen die historische Dimension der Bedrohung. Jetzt braucht es eine Revolution: Alle EU-Staaten müssen Steuern, Renten und Löhne koordinieren. Sonst wird es gerade Deutschland schlecht ergehen.
Merkel, Juncker, Sarkozy: Ein Staatsmann, zwei Verwalter nationaler Egoismen

Merkel, Juncker, Sarkozy: Ein Staatsmann, zwei Verwalter nationaler Egoismen

Foto: Yves Logghe/ AP

Deutsche Mark, Bundesbank, Gartenzwerg - mit diesem Inventar lebte es sich in der Bundesrepublik lange Zeit sehr gut. Doch die D-Mark horten heute höchstens noch Sammler; die Bundesbank ist längst zu einer regionalen Niederlassung der Europäischen Zentralbank geschrumpft; und auch der Gartenzwerg hat im Produktlebenszyklus seinen Zenit überschritten.

Die meisten Deutschen wissen, dass die schwarz-rot-goldene Kuscheligkeit vorbei ist. Eigentlich. Doch viele sehnen sich zurück in die Wohlfühlzone. Das hat auch mit der Früher-war-alles-besser-Nostalgie zu tun. Vor allem aber damit, dass die Bundesrepublik sich einst selbst genügte - und heute bei allen globalen Problemen mit drinhängt. Deutsche Soldaten kämpfen in Afghanistan gegen die Taliban. Fleißig-anspruchslose Chinesen machen anständigen schwäbischen Firmen die Weltmärkte streitig. Und Kanzlerin Angela Merkel muss mies wirtschaftende Griechen vor dem ökonomischen Kollaps retten.

So groß die Versuchung auch ist - mehr Nationalismus wagen kann keine Antwort sein. Im Gegenteil: Deutschland muss noch enger mit anderen Ländern zusammenarbeiten. Das gilt gerade für die EU und die Euro-Zone. Es braucht mehr Europa. Und nicht weniger.

Der Blick zurück bringt nichts

Die Euro-Krise zeigt: Eine Währungsunion kann dauerhaft nicht ohne eine umfangreiche wirtschaftliche und politische Integration funktionieren. Seit der Einführung der Gemeinschaftswährung 1999 sind die Volkswirtschaften des Kontinents auseinandergedriftet. Die Bundesrepublik hat deutlich an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Ländern wie Griechenland und Portugal gewonnen.

Früher konnten sich diese Staaten Wohlstand erkaufen, indem sie ihre Währungen abwerteten. Weil die Euro-Mitgliedschaft dies unmöglich macht, müssen sie heute auto-aggressive Sparmaßnahmen beschließen. Ohne zu wissen, ob die Genesung so gelingt.

Die Debatte, dass diese Länder eigentlich nichts in der Währungsunion zu suchen haben, hilft niemandem weiter. Es muss nun darum gehen, erstens das Beste aus der aktuellen Euro-Krise zu machen und zweitens dafür zu sorgen, dass diese existenzgefährdenden Probleme künftig erst gar nicht mehr entstehen.

Gelingen kann dies nur, wenn die Mitglieder der Euro-Zone ihre Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik koordinieren. Künftig darf es nicht mehr möglich sein, dass Irland mickrige Unternehmensteuern erhebt, Griechen mit 55 in Rente gehen, Franzosen nur 35 Stunden pro Woche arbeiten und deutsche Arbeitnehmer sich mit Nullrunden zufriedengeben.

Wie überfällig eine Angleichung der nationalen Regelungen ist, macht kein Bereich so deutlich wie die Steuerpolitik. Es ist grotesk, dass ausgerechnet die beiden Staaten vor dem finanziellen Aus gerettet werden mussten, die das geringste Pro-Kopf-Steueraufkommen haben oder mit die niedrigsten Unternehmensteuern verlangen - Griechenland und Irland.

Für Deutschland wird Europa teurer

Ein erster Schritt wäre es, die Unternehmen-, Einkommen- und Mehrwertsteuer zu harmonisieren. Derzeit liegen die Steuersätze in der Euro-Zone weit auseinander: für Kapitalgesellschaften zwischen 10 und 35 Prozent, bei der Mehrwertsteuer zwischen 15 und 25 Prozent. Die Mitgliedstaaten der Währungsunion müssen Mindest- und Höchstsätze definieren. Innerhalb der festgelegten Bandbreite können sie dann nationale Festlegungen treffen.

Die Steuerpolitik darf aber nur der Anfang sein. Langfristig muss es auch eine europäische Sozialpolitik geben. Es gäbe dann Altersgrenzen, innerhalb derer Arbeitnehmer in Rente gehen können. Und Arbeitgeber und Gewerkschaften müssten sich europaweit über Lohnerhöhungen absprechen. Damit kein Land ausschert, bräuchte es eine demokratisch legitimierte Institution, die im Interesse aller beteiligten Staaten die nationalen Entscheidungen steuert und überwacht.

Dazu kommt: Auch wenn eine Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik die Verwerfungen innerhalb der Euro-Zone reduziert - ohne nennenswerten Finanzausgleich zwischen reicheren und ärmeren Ländern wird es kaum gelingen, die Währungsunion dauerhaft zu stabilisieren.

Wie beim deutschen Länderfinanzausgleich muss es direkte Zahlungen zwischen den einzelnen Staaten geben. Oder das EU-Budget muss massiv wachsen. In einer solchen politischen Währungsunion sind auch die derzeit vieldiskutierten Euro-Bonds denkbar, gemeinsam von allen Mitgliedern herausgegebene Anleihen.

Ende einer Lebenslüge

Mehr Europa heißt für Deutschland auch ein teureres Europa. Es ist die Chance für hiesige Politiker, endlich mit der Lebenslüge aufzuräumen, die EU habe weder einen finanziellen noch einen politischen Preis.

Die Bundesrepublik müsste einen beträchtlichen Teil des europäischen Ausgleichsfonds finanzieren und könnte durch die Harmonisierung diverser Politikbereiche an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Vom weiteren Bedeutungsverlust für die Bundes- und Landesregierungen ganz zu schweigen.

Alternativlos - wie Entscheidungen derzeit gerne bezeichnet werden - ist die stärkere Integration Europas nicht. Allerdings ist die Alternative für Deutschland denkbar schlecht. Aus ökonomischen und politischen Gründen. Wurschtelt die Euro-Zone weiter wie bisher, könnte die Währungsunion bald auseinanderbrechen. Doch gäbe es tatsächlich wieder die D-Mark, würde sie deutlich aufwerten. Vielleicht sogar um 20 Prozent.

Dieser dramatische Verlust an Wettbewerbsfähigkeit würde der deutschen Wirtschaft massiv schaden. Das zeigen historische Erfahrungen: Der realitätsferne Umtauschkurs bei der deutsch-deutschen Währungsunion 1990 führte binnen weniger Wochen zur Implosion der DDR-Wirtschaft. Als 1993 das Europäische Währungssystem auseinanderbrach und Länder wie Großbritannien ihre Währungen abwerteten, litt die Bundesrepublik jahrelang unter den Folgen.

"Wer an Europa zweifelt, soll Soldatenfriedhöfe besuchen"

Genauso fatal wie die wirtschaftlichen Folgen wären die politischen. Ein Rückfall in die Kleinstaaterei würde zum internationalen Bedeutungsverlust Europas führen. Ob China und Indien ohne die EU die wichtigen Entscheidungen des 21. Jahrhunderts treffen können, ist fraglich. Ohne Deutschland, Portugal oder Luxemburg können sie es allemal.

Europas derzeitige Krise muss als Auslöser für eine Entwicklung zu einer echten politischen und wirtschaftlichen Union begriffen werden. Dazu bräuchte es vor allem europäische Staatsmänner und nicht emotionslose Verwalter nationaler Egoismen.

Der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker scheint der letzte Regierungschef zu sein, der beim Projekt Europa noch in historischen Dimensionen denkt. Und damit an Altkanzler Helmut Kohl und den früheren französischen Präsidenten François Mitterrand erinnert. Auch wenn Juncker schrecklich pathetisch klingt, sollten Angela Merkel und Nicolas Sarkozy ihn zumindest mit einer Warnung ernst nehmen: "Wer an Europa zweifelt oder gar verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen."

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