Thomas Fricke

EZB-Chefposten Wenn Europa den falschen Deutschen wählt

Wer hütet künftig unser Geld? Diese Schicksalsfrage droht sich in einem Kuhhandel nach der Europawahl zu entscheiden.
Der Doppelturm der EZB vor der Bankenskyline in Frankfurt am Main

Der Doppelturm der EZB vor der Bankenskyline in Frankfurt am Main

Foto: Boris Roessler/ DPA

Die Bürger Europas sind aufgerufen, nächste Woche abzustimmen, wer ins Parlament kommt. Das könnte zu bösen Überraschungen führen. Nicht nur, weil die Wahlbeteiligung mangels Begeisterung unter die Voting-Quoten des Eurovision Song Contest an diesem Wochenende zu fallen droht. Oder weil viel mehr wirre Populisten ins Parlament kommen könnten.

Geht es danach, was aus der EU-Diplomatie verlautet, könnte sich mit der Parlamentswahl unversehens auch entscheiden, wer künftig einen ganz anderen und für unser aller Zukunft wichtigeren Posten besetzt: den des obersten Euro-Hüters. Ohne dass der dann je zur Wahl gestanden oder dem Volke offenbart hätte, wie er unser Geld in der nächsten Finanzkrise sichern will. Ein Topjob als diplomatisches Abfallprodukt?

Das könnte sich so begeben: Sollten die Konservativen bei der EU-Wahl ein schlechtes Voting abkriegen und daher nicht damit durchkommen, ihren deutschen Spitzenkandidaten Manfred Weber zum Chef der EU-Kommission zu machen, könnte, so heißt es, stattdessen der Deutsche Jens Weidmann Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) werden, wenn im November Mario Draghi geht. Weil halt die Deutschen einen der beiden großen Chefjobs irgendwie kriegen sollen. Wird Weber Kommissionschef, geht Weidmann nicht zur EZB: Beide Jobs mit deutscher Besetzung, das wäre dann doch ein bisschen viel; gibt ja noch andere in dem Verein.

Kuhhandel über Chefposten

Jetzt wollen wir nicht darüber lamentieren, dass das (im übertragenen Sinne) ein Kuhhandel ist. So etwas ist ja auch gängige Praxis im familiären Alltag, wenn es etwa für Aufräumen zwei Stunden Handy gibt. Bedenklicher ist, dass auf diese Art weitgehend argumentationslos ein Topposten an jemanden (vor-)vergeben wird, von dessen Geschick womöglich viel mehr von unserer wirtschaftlichen Zukunft abhängt als von der Brillanz des gesamten hiesigen Bundeskabinetts.

Bundesbank-Chef Jens Weidmann

Bundesbank-Chef Jens Weidmann

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

So ein EZB-Chef wird immerhin auf acht Jahre ernannt, fast ein Jahrzehnt. Und: Die Wahrscheinlichkeit ist recht hoch, dass es während dieser Zeit die nächste Finanz-, Banken- und (damit wieder) Eurokrise gibt. Egal wie: weil Trumps Holla-Kurs irgendwann in den Absturz führt, China crasht, in Italien die Politkrise eskaliert, in Frankreich auf Macron Rechtsradikale folgen oder die Deutschen mit ihren schludrigen Banken nicht mehr zurechtkommen.

Und weil nach gängigem Urteil von Kritikern die bisherigen Reformen der Bankenwelt nicht reichen, um eine Kriseneskalation das nächste Mal zu verhindern. Nach wie vor müssen die Finanzhäuser viel zu wenig Geld vorhalten, um für Notfälle genug Finanzpuffer zu haben. Dann drohen Bankenkrisen schnell auch wieder zu Staatsschuldenkrisen zu führen - weil Regierungen Banken retten müssen.

Hauptsache ein Deutscher darf nicht das Motto sein

Da hat es etwas Fahrlässiges, einen möglichen neuen EZB-Chef ohne Weiteres für ausreichend geeignet zu halten, weil er ein Deutscher ist, also ein (vermutlich) Harter, also ein Guter, wie das bei uns im Märchenland der angeblich einzig wahren Stabilitätskultur gern erzählt wird. Weil er angeblich dann dem deutschen Sparer dienen und für schöne Zinsen sorgen kann. Gaga.

Es hat ja gute (ökonomische) Gründe, wenn die Zinsen nicht nur in Euroland, sondern fast überall seit Jahren extrem niedrig sind - weil die große Finanzkrise nachwirkt und immer noch relativ wenig Kredite für Investitionen nachgefragt werden. Wird wenig nachgefragt, ist halt der Preis von ganz allein schon niedrig, also der Zins. Sich als Notenbanker dagegen zu stemmen, würde nach aller Erfahrung die Gefahr einer neuen Finanzkrise erhöhen. Daran kann auch ein heiliger deutscher Währungshüter wenig ändern.

Umso wichtiger ist, wie der künftige EZB-Chef in der nächsten Krise reagieren würde. Und ob er die richtigen Schlüsse aus der vergangenen Eskalation zieht.

Zum Beispiel, ob er die in Deutschland zwar immer noch gängige, de facto aber ziemlich alberne Deutung vertritt, dass alles Kriseln von schludernden Regierungen im Süden Europas kam. Was ja trotz allem Nachplappern nicht sein kann. Dann hätten Länder wie Irland und Spanien ja nicht so kriseln dürfen, die anfangs gar keine hohen Staatsschulden hatten. Es erklärt auch nicht, warum die Krise bis 2012 so eskalierte; und warum sie erst in dem Moment stoppte, als Mario Draghi versprach, alles zu tun, um den Euro zu retten - und notfalls alles an Staatsanleihen aufzukaufen. In Wahrheit waren es ja viel mehr die privaten Schulden - und das Versagen einer Finanzwelt im Panikmodus.

Hat Weidmann aus der Vergangenheit gelernt?

Amtierender EZB-Chef Mario Draghi

Amtierender EZB-Chef Mario Draghi

Foto: ARIS OIKONOMOU/ AFP

Dass Draghis Eingreifen entscheidend war und ein Machtwort der Notenbank viel früher hätte kommen müssen, gilt als Interpretation heute in der globalen Fachwelt als in etwa so sicher, wie dass die Babys nicht vom Storch kommen.

Dass der mögliche künftige EZB-Chef Jens Weidmann, der derzeit der Bundesbank vorsteht, damals fast einsam und allein gegen eben dieses Eingreifen Draghis war, wäre zumindest, sagen wir: aufklärungsbedürftig. Ein Alarmsignal ist, dass er seine Haltung dazu (bisher) nicht wesentlich geändert zu haben scheint.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Bundesbanker wie Weidmann vor lauter - in Normalzeiten sicher toller - Prinzipientreue in einer akuten Finanzkrise den Zeitpunkt verpassen, um eine Panikspirale zu stoppen (so wie das die weit pragmatischeren Amerikaner und Briten in der Regel machen). Wie in der Krise des Europäischen Währungssystems Anfang der Neunzigerjahre, als die Bundesbanker erst eingriffen, als wilde Spekulationsattacken nach Briten und Italienern auch die Franzosen zu treffen drohten. Oder nach dem Lehman-Crash. Womöglich ein Denksystemfehler: Wer wie zu Schönwetterzeiten der alten Bundesbank noch in tiefem Glauben daran lebt, dass Finanzmärkte immer vernünftig reagieren, verpasst in einsetzenden Krisenzeiten halt schnell den Moment, Aussetzer der Finanzwelt zu kontern.

Der Bundesbank-Reflex wird's regeln

Jetzt kann man darauf setzen, dass auch ein EZB-Chef Weidmann nicht allein entscheidet. Nur: Warum muss er dann Chef werden? Zumal es beim nächsten Mal um mehr gehen könnte, als nur die Draghi-Aktion von 2012 zu wiederholen.

Zu den Lehren der vergangenen Jahre gehört ja auch, dass die Art, wie Draghi und Kollegen interveniert haben, tückische Nebenfolgen hatte. Weil die Notenbank das Rettungsgeld vor allem an Banken gab, kam ein Großteil nicht im wahren schnöden Leben an. Anleiheaufkäufe und niedrigere Zinsen ließen vielmehr Aktienkurse stärker hochschnellen und Banken noch mehr als zuvor mit Immobilien spekulieren - was nicht unmittelbar zu mehr Wirtschaftsleistung führte und stattdessen Reich und Arm noch mehr auseinanderdriften ließ.

Podcast Cover

Gut möglich, dass die richtige Konsequenz dann eben im Krisenfall auch nicht ist, dem Bundesbank-Reflex folgend nichts zu tun, sondern das Geld besser einzusetzen und etwa direkt an die Leute zu schicken. Das propagieren international renommierte Experten, etwa der britische Ökonom Adair Turner. Stichwort: Helikoptergeld. Vorteil: Das zusätzliche Geld, das in Umlauf käme, würde viel schneller wieder ausgegeben, was die Wirtschaft eher stützt als das Spekulieren mit Aktien und Häusern. Dann könnte die Notmaßnahme auch schneller wieder beendet werden.

Nehmt euch ein Beispiel am Eurovision Song Contest!

Ob und wie gut solche und andere ungewöhnliche Lösungen im Detail funktionieren würden, darüber mag man streiten. Irre aber ist, wenn darüber erst gar nicht geredet wird. Und stattdessen als eine Art zufällige Nebenfolge einer lustlos nahenden Wahl jemand ins Euro-Oberamt gehievt wird, der nicht einmal davon überzeugt scheint, dass eine Notenbank im Notfall als letzte Instanz einzugreifen hat.

Die nächste Krise könnte immerhin auch für die Deutschen nicht mehr so glimpflich ausgehen wie die vergangene. Dafür wackeln Konjunktur und Industrie und Banken mittlerweile zu sehr.

Einmal im Amt, genießen Notenbanker ziemlich große Unabhängigkeit. Ein Grund mehr, vorher zu testen, was sie draufhaben und im Krisenfall tun würden. Es ist eine schöne Tradition, Leute vorträllern zu lassen, die den Eurovision Song Contest gewinnen wollen. Lasset auch Notenbankkandidaten vorsingen!

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