Infrastruktur Startschuss für Deutschlands Wasserstoffnetz

Grüner Wasserstoff soll das Klima retten und einen neuen Milliardenmarkt schaffen. Nur: Wie er transportiert wird, war bisher unklar. Nach SPIEGEL-Informationen hat die Regierung nun einen Plan.
Pilotanlage zur Wasserstofferzeugung

Pilotanlage zur Wasserstofferzeugung

Foto: DLR/ Thomas Ernsting

Der Hype um grünen Wasserstoff treibt derzeit sprachliche Stilblüten. »Champagner der Energiewende« wird das H2-Molekül inzwischen genannt. Was die großen Erwartungen in den Stoff verdeutlicht, der mittels Ökostrom hergestellt werden kann – und der sich zu erneuerbarem Erdgas, CO2-freiem Sprit oder CO2-freien industriellen Grundstoffen weiterverarbeiten lässt.

Wasserstoff soll gleichzeitig das Klima retten, einen neuen Technologie- und Exportboom auslösen – und die Karrieren von Politikern befeuern. Wirtschaftsminister Peter Altmaier etwa nutzt das vermeintliche Wundermolekül ziemlich gern, um sich als Visionär einer CO2-freien Wirtschaft zu gerieren.

Es gibt da nur ein Problem: die Infrastruktur. Die kann mit solch pompösen Versprechen noch nicht mithalten. Höflich formuliert. Bislang gibt es nur ein paar kärgliche H2-Leitungen, die meist direkt vom Anbieter zum Verbraucher führen.

Das soll sich jetzt ändern.

Nach SPIEGEL-Informationen soll ein Großteil der künftigen Infrastruktur aus bereits bestehenden Gasleitungen abgezweigt werden, die durch die derzeitige Umstellung der Versorgung auf Gasarten mit höherem Brennwert  ohnehin freiwerden. Besagte Leitungen sollen nach und nach vom Erdgasnetz abgekoppelt und zu einem eigenständigen Wasserstoffnetz verbunden werden. Der entsprechende Rechtsrahmen dafür findet sich im Referentenentwurf für die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes, der dem SPIEGEL vorliegt.

Betreiber sollen demnach schon bald erste Wasserstoffleitungen bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) anmelden dürfen, der obersten Bundesbehörde für Energienetze. Zum 1. April 2022 sollen die Firmen dann einen ersten Bericht zum Stand des Wasserstoffnetzes vorlegen. Dieser soll als Planungsgrundlage für den Aufbau einer bundesweiten Infrastruktur bis 2035 dienen, der Standorte von Produktionsanlagen und potenziellen Abnehmern so aufeinander abstimmt, dass der Stoff möglichst engpassfrei durch die Leitungen fließt.

Hauptziel der BNetzA dürfte sein, ein ähnliches Debakel wie im Stromsektor zu vermeiden. In diesem kommt es immer wieder zu Engpässen, weil Produktion, Übertragung und Abnahme teils schlecht aufeinander abgestimmt sind. Windstrom aus Norddeutschland zum Beispiel kann mangels Leitungen oft nicht komplett in den industriereichen Süden des Landes transportiert werden. Die Anlagen müssen teils abgeregelt werden, was Verbraucher mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr kostet. Der Bau neuer Leitungen indes kommt aufgrund von Bürgerprotesten und bürokratischen Hürden seit mehr als einem Jahrzehnt nur schleppend voran.

Der BNetzA-Plan soll zudem das neu entstehende Wasserstoffnetz mit den bereits existierenden Erdgas- und Stromnetzen zusammendenken. Redundanzen zwischen den verschiedenen Leitungssystemen sollen möglichst vermieden werden.

In Deutschland sollen bis 2030 jährlich rund 14 Terawattstunden Wasserstoff produziert werden. Nach Branchenschätzungen müsste dazu ein etwa 1200 Kilometer langes Wasserstoffnetz  aufgebaut werden. Dieses könnte zu rund 90 Prozent aus bereits existierenden Gasleitungen bestehen – die durch einige wenige neue Leitungsabschnitte miteinander verbunden werden.

Die Regierung fördert den Aufbau eines nationalen Wasserstoffmarktes aus mehreren Töpfen. Ein Konjunkturpaket aus dem Juni 2020 sieht sieben Milliarden Euro für den Aufbau eines nationalen Wasserstoffmarktes vor, dazu zwei Milliarden Euro für den Aufbau von internationalen Kooperationen im Bereich Wasserstoff.

Wie der Umbau der Gasnetze finanziert werden soll, geht aus dem nun vorliegenden Gesetzentwurf nicht hervor. Der Bundesverband Neue Energiewirtschaft mahnt, keine staatlichen Fördermaßnahmen zu beschließen, ehe nicht besser absehbar sei, wie sich die Nachfrage nach Wasserstoff entwickle. »Gaskunden sollten dies nicht in den Netzentgelten versteckt mitbezahlen müssen«, sagt Geschäftsführer Robert Busch.

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