Künftiger Weltbank-Chef Die Stunde der Zwerge

Wer folgt auf Jim Yong Kim? (Archivfoto)
Foto: Mike Blake/ REUTERSDas Weiße Haus und die Weltbank stehen sich so nah wie wenige andere Institutionen - geografisch jedenfalls. In nur ein paar Minuten könnte der eine Präsident zu Fuß rüber zum Büro des anderen im Washingtoner Regierungsviertel schlendern. Doch in der Realität trennt Jim Yong Kim und Donald Trump ein tiefer Graben. Der eine will das globale Klima retten und den Armen ferner Kontinente helfen. Der andere kämpft für die Kohle, lästert über "Shithole"-Countries und betrachtet die Weltbank als eines dieser lästigen multilateralen Gremien, die Amerika nur Geld kosten und die er am liebsten schließen würde.
Der Rücktritt von Kim beschert Trump nun eine unverhoffte Gelegenheit, bei diesem Ziel voranzukommen: Denn traditionell steht an der Spitze der Weltbank immer ein Amerikaner, während die Europäer beim Internationalen Währungsfonds (IWF) den Zugriff haben.
Für die globalen Herausforderungen brauche es eine starke Weltbank, sagt Jürgen Zattler, der Exekutivdirektor Deutschlands, der mit seinen Kollegen im Direktorium Kims Nachfolger wählen wird. Wer immer das wird: "Die Grundvoraussetzung ist eine hervorragende Qualifikation für diesen Job", sagt er beschwörend.
Aus Sicht Trumps allerdings dürfte Qualifikation bei dieser Personalentscheidung ein eher vernachlässigbares Kriterium sein. Beobachter fürchten, dass er einen Kandidaten nominiert, der seinen Job eher darin versteht, die Entwicklungsinstitution zu schwächen.
Bock = Gärtner
Diese Bock-als-Gärtner-Methode hat er in seiner Amtszeit schon oft angewandt. An die Spitze der Umweltbehörde EPA berief er einen Minister, der den Klimawandel für überschätzt hält, Regulierung ablehnt und mit der Kohleindustrie kungelt. Die Finanzaufsicht Consumer Financial Protection Bureau überließ Trump seinem Haushaltsdirektor als Nebenjob, der hatte die Verbraucherschutzbehörde in der Vergangenheit als schlechten "Witz" abqualifiziert. Fehlende Expertise ist in dieser Administration kein Einstellungshindernis, sondern geradezu Programm. Neue Uno-Botschafterin soll die ehemalige Fox-News-Moderatorin und Sprecherin des Außenministeriums Heather Nauert werden, die keinerlei Erfahrung auf internationalem Parkett mitbringt.
Angesichts solch systematischer Obstruktionspolitik hat viele überrascht, dass Trump die Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank - anders als die G20, WTO und die Uno selbst - von seinen wilden Attacken bisher weitgehend verschont hat. Tatsächlich genehmigten die USA der Weltbank im Frühjahr 2018 sogar eine Kapitalerhöhung im Umfang von 13 Milliarden Dollar, ohne die es bei der Kreditvergabe eng geworden wäre.
Finanzminister Steven Mnuchin begründete die Zustimmung, auf die die Entwicklungshelfer im Hochhaus an der H Street kaum mehr zu hoffen gewagt hatten, mit den zugesagten Reformen. So wurden die Finanzierungskosten für wohlhabendere Schwellenländer, also China, verteuert. Doch tatsächlich sei der Verhandlungserfolg auch dem puren Desinteresse des Weißen Hauses zu verdanken, glauben Insider: Während die Europäer strategisch Allianzen schmiedeten, versäumten es die Amerikaner, ihren Widerstand zu organisieren.

Jim Yong Kim und Ivanka Trump beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg
Foto: Patrik Stollarz/ dpaEs half, dass Kim die offene Konfrontation mit dem Weißen Haus vermied. Stattdessen legte sich die Weltbank für eine Initiative von Trumps Tochter Ivanka zur Frauenförderung ins Zeug, intern "Ivanka-Fonds" genannt. Und Kim versprach dem US-Präsidenten, ihn bei der Modernisierung der amerikanischen Infrastruktur zu beraten, was auch nicht gerade zu den Kernaufgaben der Bank gehört - es hagelte Kritik.
Doch es brachte die Weltbank aus Trumps Twitter-Schusslinie und verhinderte, dass die USA ihre Sperrminorität zur Blockade der Projektarbeit nutzten. "Kim hat einen nicht einfachen Job gut gemeistert", lobt Exekutivdirektor Zattler.
Trump aber dürfte nun die Chance ergreifen, das Amt stärker nach seinen Vorstellungen zu formen. Er freue sich darauf, "mit den Gouverneurskollegen bei der Auswahl der neuen Führung zusammenzuarbeiten", ließ Finanzminister Mnuchin erklären. Zusammenarbeit allerdings bedeutet aus Sicht des größten Anteilseigners: Wir entscheiden, ihr folgt. So wie in den vergangenen sieben Jahrzehnten seit der Gründung der Bank 1944.
Wagt Europa die Revolte?
Weil sich die Welt seitdem doch ein wenig verändert hat, probten 2012 einige Staaten den Aufstand der Zwerge. Statt die von der Obama-Regierung gewünschte Wahl des Amerikaners Kim still hinzunehmen, nominierten sie zwei angesehene Fachleute, die nigerianische Ex-Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala und den früheren kolumbianischen Minister José Antonio Ocampo. Schließlich hatten sich die Weltbank-Staaten im Jahr zuvor ausdrücklich darauf verpflichtet, dass die Personalauswahl "offen, leistungsabhängig und transparent" sein müsse. Am Ende half es wenig. Die USA drückten ihren Kandidaten durch.
Diese Runde wird ähnlich laufen - wenn die Europäer nicht die Revolte wagen. Denn die USA haben ihrem Finanzbeitrag entsprechend mit 16 Prozent zwar das größte Stimmgewicht, für eine konstruktive Mehrheit aber reicht das nicht. Bisher stand nie infrage, dass die Europäer mitziehen, schließlich will man selbst ja auch den IWF-Posten behalten.
Doch je provokativer Trumps Personalvorschlag ausfallen wird, desto schwieriger wird diese Allianz zu vertreten sein. Europas Weltbank-Vertreter werden sich fragen müssen, was gefährlicher ist: Trumps mögliche Rache oder der fortschreitende Verlust an Relevanz und Legitimität ihrer Organisation?
"Wir hoffen, dass die Amerikaner sich noch stärker bei der Weltbank engagieren. Engagement bedeutet Einfluss", sagt Zattler vorsichtig. Es klingt nicht, als wäre die Revolution nah.