
Weltordnung in Auflösung Wir sind hochgradig verletzlich


US-Präsident Trump
Foto: Jonathan Ernst/ REUTERSWelcome to the new world! Wenn nicht alles täuscht, dann steht der Ausbruch eines offenen Handelskriegs zwischen den großen Weltwirtschaftsmächten unmittelbar bevor. Die Globalisierung, wie wir sie kennen, geht zu Ende. Und das heißt auch: Die Fundamente des deutschen Geschäftsmodells bröckeln. (Dienstag gibt's neue Zahlen zum Wirtschaftswachstum.)
Wer auch immer in den vergangenen anderthalb Jahren gedacht haben sollte, irgendwie werde mit einem US-Präsidenten Donald Trump schon alles gutgehen, wird gerade durch die Wirklichkeit widerlegt. Der will nicht nur spielen, twittern und schöne Fernsehbilder produzieren -, dieser Präsident will echte Action. Trump ist kein Silvio Berlusconi, der sich als frivoler Showman gefiel und ansonsten möglichst die Finger von schwierigen Politikfeldern ließ. Es geht zur Sache, und zwar auf der ganz großen Weltbühne.
Nicht nur der Ton in Washington hat sich geändert, auch die Substanz. Nachdem Trump in der abgelaufenen Woche einseitig das globale Anti-Atom-Abkommen mit Iran aufgekündigt hat, verlangt seine Administration nun insbesondere von deutschen Unternehmen, sich ebenfalls zurückzuziehen. Dabei ist es die US-Regierung, die ein internationales Abkommen bricht.
Golfen hilft, nützt aber nichts
Zwischen Amerika und seinen bisherigen Partnern findet eine aggressive Entfremdung statt. Die Stahl-und-Alu-Zölle gegen die EU sind nur für wenige Wochen ausgesetzt. Falls sie demnächst doch noch verhängt werden, dürfte die EU mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren. Ein transatlantischer Schlagabtausch droht, der die deutsche Wirtschaft hart treffen würde.
Japan, Amerikas wichtigster Verbündeter in Asien, wird von Washington offen kompromittiert. Obwohl sich Premier Shinzo Abe intensiv um Trumps Zuneigung bemüht und ausgiebig mit ihm gegolft hat, wird sein Land mit Strafzöllen überzogen.
Von China verlangt die US-Regierung, das bilaterale Defizit binnen zwei Jahren um zwei Drittel zu senken (in Zahlen: um 200 Milliarden Dollar) - und überhaupt eine Art bedingungslose Kapitulation auf allen Gebieten der Handelspolitik zu akzeptieren. Logisch, dass auch China mit Vergeltungsmaßnahmen droht.

Zwei Frauen in China auf einer Bank mit US-Flagge
Foto: Ng Han Guan/ dpaDie Verunsicherung über Washingtons Kurs ist inzwischen so groß, dass nun Amerikas wichtigste Verbündete in Asien, allem tiefsitzenden Misstrauen zum Trotz, auf China zugehen. In der abgelaufenen Woche trafen sich die Regierungschefs Japans und Südkoreas mit ihrem chinesischen Kollegen, um ihren gemeinsamen Willen zur Zusammenarbeit zu bekräftigen.
Die Amerikaner verabschieden sich aus der - einst von ihnen selbst geschaffenen - internationalen Weltordnung und verfolgen nun eine Politik, die an frühmoderne Zeiten erinnert. Diese Art von Powerplay mag im Umgang mit Autokraten wie dem nordkoreanischen Herrscher eine Zeitlang funktionieren. Aber ein verlässliches, regelbasiertes internationales System lässt sich so nicht bauen. Abkommen werden gebrochen, internationale Institutionen ignoriert oder unterlaufen. Eine langfristige Strategie ist nicht erkennbar.

US-Produkte
Foto: Christian Charisius/ dpaEs gibt wahrlich genug zu kritisieren an Chinas Regime und an Irans Führung. Aber dass der Westen als politischer Block sich nun auseinanderdividiert, ist tatsächlich eine tektonische Verschiebung. Damit wanken auch die Fundamente, auf denen Deutschland ruht.
Globalisierung - Einbahnstraße ohne Wendemöglichkeit?
Die Bundesrepublik ist auf zwei Gewissheiten gebaut: dass die Amerikaner uns beschützen und dass die Weltwirtschaft offen bleibt. Beides ist inzwischen in Frage gestellt, um es vorsichtig auszudrücken.
Noch gilt der militärische Beistand der USA für Europa formal. Aber wie lange noch? Die Europäer - und Deutschland im Besonderen - sind weit davon entfernt, sich selbst verteidigen oder international mit Nachdruck agieren zu können. Die Nato-Staaten mögen sich 2002 darauf geeinigt haben, dass jedes Mitgliedsland mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für seinen den Wehretat ausgeben soll. Aber die Bundesrepublik hält sich nicht dran. So bleibt es dabei: Für unsere Sicherheit sind wir auf die USA angewiesen - genauer: auf einen Commander-in-Chief namens Trump.
Nationaltheater: Wie falsche Patrioten unseren Wohlstand bedrohen
Preisabfragezeitpunkt
10.06.2023 10.49 Uhr
Keine Gewähr
Ähnlich in der Wirtschaftspolitik. Deutschland hat darauf vertraut, dass die Globalisierung eine Einbahnstraße ohne Wendemöglichkeit ist. Kein anderes Land vergleichbarer Größe ist so offen. Handel und Investitionen sind tatsächlich globalisiert. Der außenwirtschaftliche Überschuss, den Deutschland erwirtschaftet, ist gigantisch - der größte der Welt, mit Abstand.
In mancher Hinsicht scheint die deutsche Wirtschaft ihrer europäischen Nachbarschaft entwachsen zu sein. Der Anteil am gesamten Handel ist seit Anfang der 90er Jahre gesunken. In vielen Industrieunternehmen trägt der Rest der Welt mehr zum Außenhandel bei als die übrige EU.
Mit anderen Worten: Deutschland verlässt sich darauf, dass weltweit halbwegs sichere Rahmenbedingungen für Handel und Investitionen herrschen. Umso heftiger droht der heraufziehende globale Handelskrieg durchzuschlagen.
Die Abkühlung ist längst sichtbar
Noch wächst die Wirtschaft. Noch sprudeln die Steuereinnahmen. Noch ist das Jobwunder nicht zu Ende. Aber die Vorboten einer Abkühlung sind bereits sichtbar.
- Der Ifo-Geschäftsklimaindex, das meistbeachtete deutsche Konjunkturbarometer, sinkt seit Dezember. Vor allem, weil sich die Zukunftserwartungen in der Industrie verdüstert haben. Nur im Baugewerbe ist die Stimmung nach wie vor blendend - dank extrem niedriger Zinsen und einer stattlichen Immobilienblase.
- Der Außenhandel ist zuletzt gegenüber dem Vorjahreszeitraum geschrumpft. Vor allem der Import aus Ländern außerhalb der EU und der Export dorthin ist zurückgegangen.
- Die Industrie verzeichnet weniger Auftragseingänge. Auch die Produktion von Gütern auf früheren Produktionsstufen ("Vorleistungsgüter") ist zuletzt leicht zurückgegangen.
- Der Ölpreis steigt Richtung 80 Dollar pro Fass. Denn die Spannungen im Nahen Osten und die Iran-Sanktionen drohen das Angebot zu verknappen.
Und all das findet statt, während die Zinsen immer noch bei Null liegen und viele Staaten nach wie vor reichlich Geld in die Wirtschaft pumpen. Kommt es zum Konjunktureinbruch, können Regierungen und Notenbanken kaum gegensteuern.
Zwei Schlussfolgerungen:
- Erstens, Europa muss für sich selbst sorgen können. Die dauerhafte Stabilisierung der Währung und des Binnenmarktes, die Schaffung einer gemeinsamen Armee - das wären Versicherungen gegen die globalen Verwerfungen.
- Zweitens, die Passivität, die die Bundesrepublik seit Jahren in europa- und außenpolitischer Hinsicht an den Tag legt, ist unverantwortlich. Diese Haltung wird weder dem Ernst der Lage noch der Größe des Landes gerecht.