S.P.O.N. - Die Spur des Geldes Der nächste Schock

Daimler-Modelle vor der Verschiffung: Gravierende Ungleichgewichte
Foto: FABIAN BIMMER/ REUTERSAngela Merkel und ihre Flüchtlinge sind das große politische Thema und Volkswagen das große wirtschaftliche. Die Kapazitätsgrenze unserer Aufmerksamkeit scheint erschöpft.
Doch wenn man in diesen Tagen über den nationalen Tellerrand hinausschaut, sieht man weiteres Ungemach am Horizont auftauchen: die Verlangsamung der Weltwirtschaft, bedingt durch einen radikalen Strukturwandel in China. Deutschland war bislang der große Nutznießer. Aber eine Umschichtung von Investitionen hin zu privatem Konsum ist längst überfällig, denn China leidet schon seit Jahren an einer staatlichen verordneten Überinvestition im Immobilienbereich und vor allem in der Infrastruktur. Diese Investitionen wurden durch Billigzinsen finanziert, die wiederum zu Lasten der Sparer gingen - eine durch die Zentralregierung bewusst betriebene Fehlallokation.
Wie jede Blase zuvor ist auch diese jetzt geplatzt. Der Übergang zu einer normalen Wirtschaft wird viele Jahre dauern. Der China-Boom ist währenddessen suspendiert.
Und damit endet auch der Boom der Schwellenländer. Viele von ihnen lebten von hohen Rohstoffpreisen und billigen amerikanischen Notenbankzinsen, die Investoren in ihr Land trieben. Die fehlende Nachfrage aus China drückt die Preise. In Erwartung auf irgendwann steigende amerikanische Zinsen haben viele Investoren schon mal prophylaktisch ihre Investitionen aus den Schwellenländern zurückgezogen.
Wenn's knallt, dann knallt's von allen Seiten. Und dann knallt es auch in Deutschland. Denn Deutschland lebt von hohen Exportüberschüssen. Diese Überschüsse fühlen sich gut an, wenn man sie erzielt, aber sie machen abhängig - abhängig von Spekulationsblasen in China und Rohstoffblasen im Rest der Welt.
Das Wachstum lag nicht an Merkels Wirtschaftspolitik
Wenn sich die Weltwirtschaft auf ein langfristig geringeres Wachstum pendelt, dann wird sie weniger deutsche Produkte kaufen: weniger Kraftwerke oder Industrieanlagen. Ich nehme mal an, dass der Exporterfolg von VW und anderen deutschen Autoherstellern sich ebenfalls in Grenzen halten wird, sodass Deutschland seine Ausfälle bei den Ausrüstungsgütern wohl kaum durch einen Boom bei den Konsumexporten wettmachen wird.
Der einzige Lichtblick ist die inländische Nachfrage, und das allein wegen der Reallohnsteigerungen in diesem Jahr. Aber auch das wird nicht lange anhalten, denn Unternehmen sind jetzt mit zwei neuen Phänomenen konfrontiert. Die konjunkturelle Verlangsamung reduziert die Nachfrage nach Arbeitskräften. Und der hohe Zulauf von Flüchtlingen erhöht das Angebot an Arbeitskräften. Und wenn die Nachfrage fällt und das Angebot steigt, egal in welchem Markt, dann sinken die Preise - in diesem Falle die Löhne.
Wir erleben also kurzfristig eine Eintrübung der Außenwirtschaft, gefolgt von einer strukturellen Eintrübung der Binnenwirtschaft, also insgesamt eine deutliche Eintrübung der Konjunktur in den kommenden Jahren.
Die Geschichte enthält indirekt auch eine Wahrheit, die man in Deutschland nicht gerne hört. Die gute wirtschaftliche Entwicklung seit 2005 liegt nicht an Angela Merkels Wirtschaftspolitik, auch nicht an Gerhard Schröders Reformen, sondern einzig und allein an einem - nicht nachhaltigen - Aufschwung in den Schwellenländern, der einen positiven Nachfrageschock für deutsche Produkte generiert hat. Das deutsche Wirtschaftswachstum in diesen zehn Jahren bestand in erster Linie aus dem Wachstum von Exporten.
Man kann es auch so formulieren: Deutschlands Wirtschaftsmodell ist das eines überaus erfolgreichen Schmarotzers. Er braucht Überschüsse, um zu überleben. In der Weltwirtschaft insgesamt addieren sich alle Handelsüberschüsse und -defizite auf null. Wenn ein Land also permanente und materielle Überschüsse einfährt, dann funktioniert das nur, weil der Rest der Welt Defizite in Kauf nimmt.
Abhängigkeiten reduzieren, Überschüsse eindämmen
Es besteht daher ein klares deutsches Eigeninteresse, die Außenhandelsüberschüsse nicht zu groß werden zu lassen. Der Titel "Exportweltmeister" ist also kein Ausdruck von Kraft, sondern Ausdruck eines Ungleichgewichts, das einen selbst umhauen kann.
Was wäre also eine clevere Strategie angesichts der massiven Unwetter, die auch auf uns zukommen?
Ich würde - erstens - die Abhängigkeiten von Auslandsmärkten und speziellen Industrien reduzieren. Es gibt keinen ökonomischen Grund, warum man die Autoindustrie so begünstigt, etwa durch die steuerlichen Anreize für Diesel.
Als zweites würde ich kurzfristig die Haushaltspolitik dazu einsetzen, den außenwirtschaftlichen Überschuss einzudämmen, denn der besteht mathematisch aus der Summe der privaten und öffentlichen Bilanzen. Wenn der Privatsektor einen Überschuss von drei Prozent hat und der Staat ein Defizit von drei Prozent, dann ist die Leistungsbilanz des Staates ausgeglichen. Hier geht es aber nicht darum, den perfekten Ausgleich zu schaffen, sondern lediglich die extrem hohen Überschüsse einzudämmen.
Da wir jetzt weder das eine noch das andere tun, kommt die globale wirtschaftliche Abschwächung ziemlich ungefiltert auf uns zu. Das wird das wirtschaftliche Umfeld sein, in der wir die VW-, Flüchtlings- und die wiederauftretenden Eurokrisen werden lösen müssen.