Wichtige Energiestudie Regierungsgutachter steht Stromkonzernen nahe

Atomkraftwerk (Ohu in Bayern): Wie lange sollen die Meiler noch laufen?
Foto: ddpHamburg - In der energiepolitischen Debatte nähert sich der Tag der Entscheidung, in Kürze will die Bundesregierung ihr Atomkonzept vorstellen. Die wichtigste Frage dabei lautet: Wie lange sollen die deutschen Kernkraftwerke noch laufen?
Doch an den Plänen der Regierung sind schon jetzt Zweifel angebracht: Denn sie lässt ein Gutachten von einem Institut erstellen, dessen Leiter der Atomwirtschaft weit näher steht als bisher bekannt.
Konkret geht es um Professor Marc Oliver Bettzüge, den Chef des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI). Das EWI hat - zusammen mit dem Schweizer Prognos-Institut und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (gws) - von der Regierung den Auftrag erhalten, die Zukunft der deutschen Energieversorgung zu untersuchen.
Das Gutachten ist das zentrale Papier, auf dessen Basis die Bundesregierung ihr lange angekündigtes Energiekonzept entwickeln möchte. Die Analyse wurde vom Wirtschafts- und vom Umweltministerium in Auftrag gegeben und soll demnächst veröffentlicht werden. Sie soll unter anderem die Vor- und Nachteile längerer Atomlaufzeiten beleuchten - und so der Regierung eine Entscheidungsgrundlage bieten. Das heißt: Es geht nicht um irgendein Gutachten, sondern um die Zukunft der deutschen Energiewirtschaft.
Pikant: Bettzüge ist neben seiner Leitungsfunktion am EWI auch Inhaber einer Stiftungsprofessur an der Uni Köln. "Diese Stiftungsprofessur wird von der deutschen Energiewirtschaft finanziell unterstützt", erklärte die Uni Köln bei Bettzüges Ernennung 2007 in einer Pressemitteilung.
Zu den Geldgebern gehören E.on und RWE
Laut EWI ist Professor Bettzüge "ordentlicher Landesbeamter", sein Gehalt beziehe er von der Universität Köln. Allerdings holt diese sich das Geld über Drittmittel herein. Eine Sprecherin der Uni Köln bestätigte SPIEGEL ONLINE, dass die Stiftungsprofessur "nicht aus dem Haushalt der Universität, sondern von der deutschen Energiewirtschaft" finanziert werde.
Doch wer steckt hinter "der deutschen Energiewirtschaft"? Die Erklärung findet sich auf der Homepage der Uni Köln. Dort heißt es: "Die Stiftungsprofessur wird bis zum Jahr 2012 vom Stifterverband der Deutschen Wissenschaft getragen."
Der Stifterverband ist eine Dachorganisation, die für andere Stiftungen oder Konzerne Geld verteilt. Vizepräsident des Verbands ist Johannes Teyssen, der Chef des größten deutschen Energiekonzerns E.on. Im Vorstand des Stifterverbands sitzen außerdem RWE-Chef Jürgen Großmann und EnBW-Chef Hans-Peter Villis. Alle drei Unternehmen betreiben in Deutschland Atomkraftwerke, alle drei haben sich für längere Kernkraftlaufzeiten ausgesprochen.
Wer die einzelnen Finanziers von Bettzüges Stiftungsprofessur sind, listet der Stifterverband detailliert auf. Darunter finden sich:
- die E.on AG
- die RWE AG
- der Kohlekonzern RAG
- sowie Vattenfall Europe Mining & Generation, eine Tochter des vierten großen Energiekonzerns in Deutschland.
Wie nahe sich Bettzüge und die großen Stromkonzerne stehen, macht auch sein Lebenslauf deutlich. Bis 2007 arbeitete er für das Beratungsunternehmen Boston Consulting Group (BCG). In dieser Funktion "hat Bettzüge vornehmlich das Top-Management europäischer Energiekonzerne (Strom und Gas) beraten", teilte die Uni Köln bei seiner Ernennung zum Professor vor drei Jahren mit. "Bettzüge steht damit für einen gelungenen Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Praxis."
Ist das Institut unabhängig von den Interessen seiner Geldgeber?
Doch nicht nur die Stiftungsprofessur wirft Fragen auf. Auch Bettzüges Institut, das EWI, steht massiv in der Kritik. So berichtete die "Süddeutsche Zeitung" am Donnerstag, das EWI nehme Geld von den Stromkonzernen E.on und RWE. Demnach zahlen beide Konzerne auf fünf Jahre verteilt jeweils vier Millionen Euro an die "Gesellschaft zur Förderung des EWI", die das Institut trägt. Entsprechend seien die Konzerne auch in den Gremien repräsentiert: Im Verwaltungsrat des Instituts stellten RWE und E.on jeweils eines von sieben Mitgliedern. Manager beider Unternehmen säßen auch der Fördergesellschaft vor.
Im vergangenen Herbst, als das EWI in neue Räumlichkeiten umzog, hielten denn auch Manager von E.on und RWE wohlwollende Reden. In der Debatte über die künftige Energieversorgung "wird das EWI mit fundierter Forschung zur Versachlichung beitragen", schwärmte Rolf Martin Schmitz, Deutschland-Chef von RWE, laut "Kölner Stadt-Anzeiger". Und damit erst gar kein falscher Eindruck entstehen konnte, ergänzte E.on-Arbeitsdirektor Christoph Dänzer-Vanotti, das Institut sei in der Verwendung seiner Mittel selbstverständlich "komplett frei".
Aber wie realistisch ist das? Kann ein wissenschaftliches Institut tatsächlich frei forschen - unabhängig von den Interessen seiner Geldgeber?
"Die Regierung rechnet sich die Atomkraft schön"
Fest steht: Das EWI hat eine ganze Reihe von Gutachten für große deutsche Energiekonzerne erstellt. Und der "Kölner Stadt-Anzeiger" berichtete bereits im vergangenen Herbst, dass E.on und RWE dem EWI eine "Anschubfinanzierung" von jeweils vier Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre gewähren. Dies bestätigte auch die Sprecherin der Uni Köln, an die das EWI angedockt ist.
Sogar das Institut selbst erklärte in einer Pressemitteilung am Donnerstag: "Das EWI erhält finanzielle Mittel und Sachförderung von verschiedensten Seiten, unter anderem vom Land Nordrhein-Westfalen, von der Universität zu Köln sowie von den Unternehmen E.on und RWE." Die wissenschaftliche Unabhängigkeit des Instituts sei aber gesichert. Dies gelte auch für die energiewirtschaftlichen Szenarien, die das Institut im Auftrag der Bundesregierung erstelle. "Die Arbeit des EWI erfolgt grundsätzlich auf rein wissenschaftlicher Basis und völlig unabhängig."
Auch im Bundesumweltministerium heißt es: "Wir haben keine Zweifel an der wissenschaftlichen Unabhängigkeit des Instituts." Das Energiegutachten sei regulär ausgeschrieben worden, der Auftrag an EWI, Prognos und gws sei ohne politische Hintergedanken vergeben worden.
Doch genau daran äußern Kritiker Zweifel. "Das EWI sieht nach einem getarnten Subunternehmen von E.on und RWE aus", sagt die Vizefraktionschefin der Grünen, Bärbel Höhn. Zumindest indirekt stehe der Leiter des Instituts auf der Gehaltsliste der Energiekonzerne. "Die Bundesregierung braucht wohl ein abhängiges Institut, damit man die Atomkraft schönrechnen kann."