Privatpatienten als Goldgrube Eine Hand röntgt die andere

Offiziell dürfen Ärzte keinen wirtschaftlichen Vorteil daraus ziehen, dass sie Patienten an bestimmte Kollegen weiterüberweisen. In der Praxis wird diese Vorschrift jedoch oft unterlaufen, wie ein Beispiel aus Freiburg zeigt. Die Ärztekammern sind weitgehend machtlos.
Radiologische Untersuchung: Millionenumsätze mit Privatpatienten

Radiologische Untersuchung: Millionenumsätze mit Privatpatienten

Foto: Corbis

Die Arztpraxis für Radiologie in der Freiburger Hans-Sachs-Gasse ist eine ganz besondere Praxis. Kassenpatienten haben hier keinen Zugang, es werden ausschließlich Privatpatienten behandelt. Inhaber der Praxis, so steht es auf dem Türschild, ist Dr. Donald Kopp. Doch dem Arzt gehören weder die Praxisräume noch der millionenteure Kernspintomograf. Beides mietet Kopp von Orthopäden in Freiburg.

Die Orthopäden haben vor Jahren die Firma Ortho-Vision gegründet und sich damit ein nettes Zusatzgeschäft aufgebaut: Sie überweisen ihre lukrativen Privatpatienten an Kopp, der wiederum für Miete und den teuren Kernspintomograf monatlich eine bestimmte Summe an die Orthopädenfirma überweist.

Während ein Radiologe in Südbaden für eine Kernspinuntersuchung pro Kassenpatient pauschal 83 Euro kassiert, kann er für die gleiche Untersuchung bei Privatpatienten zwischen 300 und 800 Euro abrechnen, je nachdem, ob er Knie, Wirbelsäule oder Schädel durchleuchtet.

Ärzte sind deshalb froh, wenn sie rund zehn Prozent Privatpatienten haben, weil diese den Gewinn steigern. Eine gutgehende Radiologie-Praxis, die ausschließlich Privatpatienten untersucht, ist dagegen eine Goldgrube. Wenn so eine Praxis nur 15 Privatpatienten am Tag behandelt, kann sie leicht Einnahmen von mehr als einer Million Euro im Jahr erzielen. Schon gewöhnlichen Radiologen, die Kassen- und Privatpatienten behandeln, bleibt nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts ein Reinertrag von mehr 25.250 Euro pro Monat

Ob es sich bei Ortho-Vision aber um ein zulässiges Geschäftsmodell handelt, ist durchaus fraglich: Die Ärztekammer leitete bereits vor drei Jahren ein Ermittlungsverfahren ein. Schließlich ist es Ärzten nach Paragraf 31 ihrer Berufsordnung in Baden-Württemberg nicht gestattet, Vorteile dafür anzunehmen, dass sie einem Kollegen Patienten zuweisen. Denn die Gefahr solcher finanzieller Anreize ist, dass Ärzte viel mehr Untersuchungen in Auftrag geben, als nötig sind.

Foto: SPIEGEL ONLINE

Unbegrenzter Einfallsreichtum

Die Frage ist nun, ob es sich bei den Einnahmen, die die Orthopäden aus Kopps Goldgrube beziehen, um solche Vorteile handelt? Kopp selbst war gegenüber SPIEGEL ONLINE nicht zu einer Stellungnahme bereit.

Das Oberlandesgericht Stuttgart fällte 2007 in einem ähnlichen Fall ein klares Urteil. Damals hatten Ärzte sich an einer Labormedizin-GmbH beteiligt. Das OLG stellte fest, dass eine "unzulässige Vorteilsgewährung" bestehe, wenn der überweisende Arzt von den Einnahmen profitiere, die andere mit seinen Patienten erzielen. Dem Gericht war dabei klar, dass die Formen der Beteiligung "vielfältig" sind und "der Einfallsreichtum der Beteiligten nahezu unbegrenzt". Schon die "wirtschaftliche Verknüpfung" sei unzulässig, unabhängig davon, ob der Arzt für eine einzelne Überweisung eine konkrete Rückvergütung erhält.

Laut ihrem Gesellschaftsvertrag hat Ortho-Vision das Ziel, ein medizinisches Zentrum zu planen, anzumieten, zu vermieten, auszubauen, einzurichten, zu betreiben und zu verwalten. Der Freiburger Orthopäde und Ortho-Vision-Geschäftsführer Rolf Hellige erklärt, dass er und seine Kollegen auf Kopps Praxis jedoch keinerlei Einfluss hätten. Sie überlassen ihm die Praxisräume in der Freiburger Innenstadt ebenso wie den Kernspintomografen "zu marktüblichen Konditionen". Hinzu komme eine Pauschale in nicht genannter Höhe, da es sich um einen "Vollservice-Vertrag" handle, wie Hellige schreibt.

Er und seine Kollegen würden ihre Privatpatienten auch nicht zwingen, zu Kopp zu gehen, schreibt Hellige. Die Patienten dürften sich ihren Radiologen frei aussuchen. Hellige räumt aber ein: "Möglicherweise weisen die einzelnen Kollegen ihre Patienten darauf hin, dass eine Terminvergabe (bei Kopp) relativ zeitnah erfolgt und/oder der Kollege sich auf orthopädische Fragestellungen spezialisiert hat."

Begrenzte Ermittlungsmöglichkeiten

Um die Zulässigkeit des Geschäftsmodells zu prüfen, hat die Ärztekammer Südbaden Kopp um eine Stellungnahme gebeten. Kopp sei dabei auch auf "die Möglichkeit unzulässiger Kick-back-Zahlungen angesprochen" worden, heißt es in einem Schreiben der Ärztekammer. Doch Kopp habe über seinen Anwalt mitgeteilt, dass er keine Angaben machen wolle. "Damit sind die Ermittlungsmöglichkeiten des Kammeranwalts erschöpft", schreibt die Ärztekammer - und schloss das Verfahren ab.

Der Fall ist typisch: Ärztekammern sind zwar dazu da, unerlaubte Vorteilsannahmen in ihren Reihen zu unterbinden. Aber sie haben im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft nur begrenzte Ermittlungsmöglichkeiten. Wenn ein Beschuldigter die Auskunft verweigert, enden solche Ermittlungsversuche regelmäßig mit der Einstellung des Verfahrens.

Jost Jung, Rechtsanwalt der zuständigen Ärztekammer Südbaden, sagt, er dürfe zu dem konkreten Fall zwar keine Angaben machen. Grundsätzlich räumt er aber ein: "Wir kommen bei Vorteilsgewährungen nur schwer an den Sachverhalt ran. Wir können da oft nichts tun, uns sind die Hände gebunden."

Für manche Ärzte, die beim Zuschustern von Privatpatienten außen vor bleiben, ist die Ohnmacht der Ermittler schwer zu verstehen. Im Februar schrieb ein anderer Freiburger Radiologe einen detaillierten Brief an den Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, schilderte ihm das Ortho-Vision-Modell und behauptete, Kick-back-Modelle gebe es bundesweit - "Aber wen kümmert das schon".

Montgomery offenbar nicht: Die Frage von SPIEGEL ONLINE, ob er die Informationen zum Anlass genommen hat, eine Aufklärung in dieser Sache anzuregen, blieb unbeantwortet. Auch der Freiburger Mediziner, der sich hilfesuchend an den Ärztepräsidenten wandte, wartet bis heute auf eine Antwort.

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