Wirtschaftsweiser Bofinger "Selbst wenn Staaten eisern sparen, droht die Pleite"

Protest gegen das Sparprogramm im Juni in Rom: Steigende Zinsen trotz Reformen
Foto: Massimo Percossi/ dpaHamburg - Italien steckt seit Jahren in einem Teufelskreis aus wachsenden Schulden und einer Wirtschaft, die nur sehr langsam wächst. Die Krise in anderen Euro-Ländern hat die Probleme Italiens noch verschlimmert, die Schulden steigen schneller als erwartet. Nun hat ein Beschluss der Rating-Agentur Moody's die Nervosität zusätzlich gesteigert. Peter Bofinger, Ökonom und Berater der Regierung im Gremium der sogenannten Wirtschaftsweisen, sieht das Land als Opfer einer Anlegerpanik.
SPIEGEL ONLINE: Herr Bofinger, gerade hat die Moody's ihre Bonitätsbewertung für Italien deutlich gesenkt. Zu Recht?
Bofinger: Das kommt ganz auf die Perspektive an. Moody's sieht vor allem das Problem, dass Italien mehr und mehr unter den Ansteckungseffekten der Krise in Griechenland und Spanien leidet. Zudem geht der Sparkurs von Monti zu Lasten des Wirtschaftswachstums. Italien ist in einen Teufelskreis geraten. Weil die Regierung spart, ist das Land in die Rezession abgerutscht. Das erschwert die Einhaltung des Defizitziels. Dadurch werden Anleger nervös, und die Zinsen für Staatsanleihen steigen. Dadurch werden noch mehr Anleger nervös, und irgendwann müssen die Rating-Agenturen auf den Negativ-Trend reagieren.
SPIEGEL ONLINE: Das heißt: Die hohen Zinsen für italienische Staatsanleihen sind nicht gerechtfertigt?
Bofinger: Im Vergleich zu anderen Ländern sind sie viel zu hoch. Das italienische Haushaltsdefizit ist das zweitniedrigste nach Deutschland. Das Defizit von Großbritannien ist viermal so hoch wie in Italien, trotzdem liegen die Zinsen für englische Staatsanleihen nur bei zwei Prozent, während Italien sechs Prozent bezahlen muss.
SPIEGEL ONLINE: Woran liegt das?
Bofinger: Dies ist ganz einfach damit zu erklären, dass Großbritannien in Pfund verschuldet ist und eine Notenbank hat, die bereit ist, nahezu unbegrenzt Staatsanleihen anzukaufen. Italien kann das durch seine Mitgliedschaft in der Währungsunion nicht. Es ist in einer fundamental anderen Situation, die auch durch die umfassenden Spar- und Strukturreformen der Regierung Monti nicht grundlegend verändert werden kann. Das Problem ist symptomatisch für die Euro-Krise. Die deutsche Regierung vertritt bislang die These, dass man nur eisern genug sparen muss - dann würden die Märkte das schon honorieren und die Zinsen wieder sinken. Das ist eine Illusion. Selbst wenn Staaten der Euro-Zone eisern sparen, Strukturreformen angehen und auch sonst weitgehend alles richtig machen, droht ihnen die Pleite.
SPIEGEL ONLINE: Heißt das: Italien kann noch so konsequent die Krise im eigenen Land bekämpfen - und wird trotzdem unweigerlich EU-Hilfen beantragen?
Bofinger: Ich hoffe, dass sich dies vermeiden lässt. Fakt ist: Es liegt immer weniger in der Macht eines Staates, durch Sparmaßnahmen die eigenen Zinsen zu drücken und damit die Verschuldung in den Griff zu bekommen. Die Euro-Krise ist ein systemisches Problem, das nur durch ein gemeinsames Handeln aller Mitgliedstaaten bewältigt werden kann. Der Sachverständigenrat schlägt hierfür das Modell des Schuldentilgungspakts vor, der eine begrenzte gemeinschaftliche Haftung mit strikten Auflagen und einem verbindlichen Tilgungsplan verbindet.
SPIEGEL ONLINE: Die Regierung Monti hält sich die Option von EU-Hilfen bewusst offen. Was passiert, wenn Italien wirklich unter den Rettungsschirm muss?
Bofinger: Es wäre die Stunde der Wahrheit für die europäische Währungsunion. Bis Ende 2014 muss das Land rund 750 Milliarden Euro auf den Finanzmärkten aufnehmen - weit mehr, als in den Rettungsschirmen EFSF und ESM noch vorhanden sind. Es gäbe dann nur zwei Möglichkeiten: Die Rettungsschirme werden nicht mehr weiter ausgeweitet, das wäre das Ende des Euro. Oder Europa einigt sich auf weiterreichende Haftungsmechanismen wie den Schuldentilgungspakt.
SPIEGEL ONLINE: Die deutsche Regierung sträubt sich gegen Euro-Bonds. Sie befürchtet, dass schwächere Euro-Staaten die gemeinsamen Anleihen zum billigen Schuldenmachen missbrauchen.
Bofinger: Diese Gefahr lässt sich abwenden, wenn die gemeinsame Haftung mit direkten gemeinschaftlichen Kontrollen über die Haushaltspolitik hochverschuldeter Länder verknüpft wird. Wenn wir den Euro stabilisieren wollen, werden wir um eine stärkere finanzpolitische Integration Europas nicht herumkommen. Wenn dabei die Rolle des Europäischen Parlaments gestärkt wird, wäre das zugleich ein wichtiger Beitrag zu mehr Demokratie in Europa.
SPIEGEL ONLINE: Reicht die Zeit noch, um solch weitgehende politische Entscheidungen zu fällen?
Bofinger: Die Krise bietet eine Chance, weitreichende Reformen rasch zu realisieren. Diese Chance muss Europa jetzt nutzen.
SPIEGEL ONLINE: Die Demokratie wird bei solchen Blitz-Entscheidungen regelmäßig mit Füßen getreten.
Bofinger: Das darf nicht geschehen. Solche weitreichenden politischen Entscheidungen können und dürfen nicht ohne Rückhalt der Bevölkerung gefällt werden. Wir bräuchten dazu einen Volksentscheid.
SPIEGEL ONLINE: Das wäre äußerst heikel. Wenn die Bewohner der Euro-Länder gegen gemeinsame Anleihen stimmen, ist es aus mit der Währungsunion.
Bofinger: Es geht um die Wahl zwischen einer Währungsunion 2.0 und der Rückkehr zur D-Mark. Die Währungsunion 2.0 sichert die Länder besser gegen spekulative Attacken der Finanzmärkte ab, und sie sorgt mit Durchgriffsrechten in die Haushalte unsolide wirtschaftender Länder für mehr Disziplin. Sie bietet natürlich keine absolute Sicherheit. Doch wer sich für die D-Mark entscheidet, sollte sich bewusst sein, dass dann das Schicksal unserer Wirtschaft in die Hände der völlig neurotischen Devisenmärkte gelegt wird.