Schäubles letzte Auslandsreise Abschied einer Nervensäge

Zum letzten Mal die ganz große Bühne: Wolfgang Schäuble ist auf Abschiedstour in Washington - und bekommt viel Lob. Am Ende klingen auch jene versöhnlich, die er in den vergangenen Jahren zur Weißglut getrieben hat.
Schäuble in Washington

Schäuble in Washington

Foto: MIKE THEILER/ REUTERS

"Wer aufhört", sagt Wolfgang Schäuble, "bekommt immer nette Worte." Und man merkt, dass er sie genießt. Schäuble ist auf Abschiedstour. Am 24. Oktober soll er zu Hause in Deutschland zum Bundestagspräsidenten gewählt werden. Jetzt ist er zum letzten Mal als Finanzminister auf der großen internationalen Bühne - in Washington, bei der Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF). Und egal wo er hier hinkommt, es steht immer jemand bereit, der etwas Nettes über "my good friend Wolfgang" zu sagen hat.

"Er war ein Fels, ein Gigant", lobhudelt IWF-Chefin Christine Lagarde, die ihn lange begleitet hat, in den endlosen Nächten der Eurorettung und im kraftraubenden Gezerre um die Schulden Griechenlands. "Unglaublich standfest", sei Schäuble immer gewesen, sagt die Französin Lagarde - und manchmal habe das auch für Schwierigkeiten gesorgt.

Es war stets eine Mischung aus Bewunderung und Ärger, die Schäuble in den vergangenen Jahren international entgegenschlug. Bewunderung für seine Lebenserfahrung, seine Gradlinigkeit und seine tiefverwurzelte proeuropäische Überzeugung. Und Ärger über die öffentlich zur Schau getragene Überheblichkeit und Besserwisserei, von der etwa Vertreter mehrerer griechischer Regierungen berichten können. Schäuble wusste immer am besten, was gut für die anderen ist. Sein Auftreten gegenüber pleitebedrohten Südeuropäern habe selbst den strengen IWF wie einen "knuddligen, weichherzigen Teddybären" erscheinen lassen, resümierte kürzlich die "Financial Times".

Schäuble weiß um sein Image des mürrischen alten Mannes - und er spielt immer noch gerne damit. "Meine Möglichkeiten, höflich zu sein, sind begrenzt", sagt er in Washington bei einem Vortrag vor der versammelten Bankerelite - und erntet Lacher. Dass ein Deutscher überhaupt Humor zeigt, reicht vor internationalem Publikum immer noch für überraschte Begeisterung.

Kaum etwas hat der gelernte Jurist in den vergangenen Jahren so oft wiederholt wie die ständige Ermahnung zur Befolgung der Regeln. "Er galt als die Obernervensäge", sagt einer, der viele internationale Treffen miterlebt hat. "Aber er war immer berechenbar."

Es gebe in Europa ja ständig neue Regeln, spottete Schäuble im Sommer beim CDU-Wirtschaftstag. Doch wenn man 14 Tage nach ihrer Verabschiedung an die Einhaltung erinnere, gelte das bereits als "Ausdruck deutscher Fantasielosigkeit".

So etwas kam gut an beim heimischen Unions- und Unternehmerpublikum, das Schäuble als letzten Bewahrer deutscher Ordnungspolitik feierte. Im Ausland sah man seine Regelversessenheit dagegen oft kritischer. So trieb er amerikanische IWF-Ökonomen oder südeuropäische Politiker zur Weißglut.

"Ni emand hat daran gezweifelt, dass es ihm um Europa ging"

"Herr Schäuble ist in Verhandlungen stets eine harte und konsistente Linie gefahren, die nicht immer allen gefallen hat", sagt Philipp Hildebrand, bis 2012 Präsident der Schweizer Notenbank und heute Vizechef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock. "Aber niemand hat daran gezweifelt, dass es ihm dabei um Europa ging."

Tatsächlich war Europa für Schäuble immer so immens wichtig, weil er wusste, dass das Gelingen des europäischen Projekts womöglich über Krieg oder Frieden entscheiden wird. Er habe immer zuerst gefragt: "Was ist gut für Europa?" sagt Schäuble. Erst danach habe er gefragt, was gut für Deutschland sei.

Wie sehr er Europa am Ende tatsächlich geholfen hat, bleibt umstritten. Gerade seine angelsächsischen Kritiker ignorieren zwar gerne die Komplexität von EU-Politik und den phasenweise schlichtweg wahnsinnigen Regierungsstil in Griechenland. Doch problematisch war die von Schäuble verfochtene "Rettungspolitik" zweifellos. So hätten die von ihm so geliebten Strukturreformen in Griechenland wohl deutlich mehr Unterstützung erhalten, wenn sie nicht von Anfang an mit dramatischen Einsparungen verbunden worden wären.

Der Höhepunkt der Krise kam im Juli 2015. Schäuble brachte Griechenlands vorübergehenden Euro-Austritt ins Spiel - über ein Positionspapier, welches das Finanzministerium offiziell nicht kommentieren wollte. Kein unübliches Vorgehen in der Euro-Gruppe, wo Schäubles kurzzeitiger Gegenspieler Yanis Varoufakis ein sogenanntes "Non-Paper" nach dem anderen vorlegte. Aber ein Politikstil, der einen verheerenden Eindruck nährte: Deutschland entscheidet im Hintergrund über das Schicksal anderer Länder.

Das Glück mit der "schwarzen Null"

Bei der großen Schäuble-Show ging zudem häufig unter, dass der Minister daheim nur begrenzt das Gepredigte praktizierte. In Schäubles neun Jahren als Finanzminister wurde weder groß reformiert noch eingespart. Dass er 2014 den ersten ausgeglichenen Haushalt seit 45 Jahren vorlegen konnte, lag vor allem an sprudelnden Steuereinnahmen und den niedrigen Zinsen, die Deutschland seit Jahren für neue Schulden zahlen muss - der Eurokrise sei Dank.

Als Schäuble die "schwarze Null" anschließend trotz Kritik von Ökonomen und Koalitionspartner zum Dogma erhob, ließ ihn Kanzlerin Angela Merkel gewähren. Auch das ist nicht selbstverständlich. Mitleidig erinnerte sich Schäuble vor Kurzem an Vorgänger wie den Sozialdemokraten Hans Eichel, dessen Sparwillen sein Chef Gerhard Schröder mit den Worten "Lass mal gut sein, Hans" gestoppt hatte.

Solche Demütigungen blieben Schäuble als Finanzminister bis zuletzt erspart, er selbst wusste sie gezielt zu verteilen. Unvergessen bleibt im politischen Berlin, wie er einst bei einer Pressekonferenz seinen damaligen Pressesprecher bloßstellte, weil dieser die Zahlen zur aktuellen Steuerschätzung nicht an die Journalisten verteilt hatte: "Herr Offer, reden Sie nicht, sorgen Sie dafür, dass die Zahlen jetzt verteilt werden", fuhr Schäuble den Mann an. Offer trat wenige Tage später zurück.

Und nun geht auch Schäuble. "Acht Jahre als Finanzminister sind genug", sagt er in Washington. Wie freiwillig sein Verzicht auf eine weitere Legislaturperiode als Minister ist, darüber darf spekuliert werden. Doch eins scheint sicher: Einmischen wird sich der 75-Jährige auch künftig. Er habe einen Rat an sich selbst, sagt Schäuble in Washington: "Tu dich nicht zu allem öffentlich äußern, was dich nichts angeht - aber dieser Rat ist schwer zu befolgen."

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