Niederländischer Finanzminister Herr Hoekstra, sind Sie der neue Schäuble?

Europas größte Geizkragen: Diese Rolle haben die Niederlande im Ringen um Corona-Hilfen übernommen. Im Interview pocht ihr Finanzminister auf Standards bei der Mittelvergabe - auch mit Blick auf Homophobie in Polen.
Ein Interview von David Böcking
"Wir müssen uns neu orientieren": Wopke Hoekstra (M.) beim Finanzministertreffen in Berlin

"Wir müssen uns neu orientieren": Wopke Hoekstra (M.) beim Finanzministertreffen in Berlin

Foto: Maja Hitij / Getty Images

Es war eine vertraute Umgebung, in der Wopke Hoekstra am Wochenende zum ersten Mal seit Beginn der Coronakrise seine Amtskollegen traf. Der niederländische Finanzminister arbeitete von 2002 bis 2004 für Shell in Berlin und spricht fließend Deutsch. Gewöhnungsbedürftig ist für Hoekstra dieses Mal lediglich der Mund-Nasen-Schutz - in seiner Heimat gibt es keine generelle Maskenpflicht.

Auch in anderer Hinsicht fielen die Niederlande während der Coronakrise auf: Beim letzten EU-Gipfel kämpfte Regierungschef Mark Rutte erfolgreich dafür, die Zuschüsse aus dem europäischen Corona-Aufbaufonds zu verringern und stattdessen mehr Kredite zu gewähren - leihen statt schenken. Die Niederländer übernehmen damit zunehmend eine unpopuläre Rolle, die während der Eurokrise noch Deutschland und der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble innehatten: Europas unbeliebte Sparmeister.

Doch Rutte und sein Finanzminister Hoekstra wissen wirtschaftsstarke Verbündete an ihrer Seite: Dazu zählen Österreich, Dänemark und Schweden, die mit den Niederländern die sogenannten Sparsamen Vier bilden, sowie die Mitglieder der "neuen Hanse" , zu denen außerdem die Balten-Staaten, Finnland und Irland gehören.

SPIEGEL: Herr Hoekstra, in den Diskussionen um Corona-Hilfen traten Sie als Vorkämpfer der "Sparsamen Vier" auf, was Sie in Südeuropa nicht sonderlich populär gemacht hat. Sind Sie der neue Wolfgang Schäuble?

Hoekstra: Den Corona-Aufbaufonds haben die Regierungschefs beschlossen, darüber haben wir Finanzminister nie ausgiebiger diskutiert. Bei uns ging es um frühere Krisenhilfen wie das Kurzarbeitsprogramm Sure oder Hilfen der Europäischen Investitionsbank und des Eurorettungsschirms ESM.

Zur Person
Foto: REMKO DE WAAL/EPA-EFE/Shutterstock

Wope Hoekstra, 44, ist Jurist und seit 2017 Finanzminister der Niederlande. Zuvor arbeitete der Politiker des christdemokratischen CDA für den Ölkonzern Shell und die Unternehmensberatung McKinsey.

SPIEGEL: Aber auch Sie persönlich gerieten in die Kritik: In der Euro-Gruppe sollen Sie eine Untersuchung der Frage gefordert haben, warum manche Länder finanziell offenbar besser auf die Coronakrise vorbereitet sind als andere.

Hoekstra: Ob Sie es glauben oder nicht: Das wurde in manchen Medien leicht übertrieben dargestellt. Aber so was gehört zu Verhandlungen dazu. Entscheidend ist, dass wir jetzt ein ausgewogenes Paket haben.

SPIEGEL: Füllen Sie mit Ihren Sparappellen auch eine Lücke für Großbritannien, das die EU verlässt, oder Deutschland, das neuerdings deutlich ausgabefreudiger ist?

Hoekstra: Der Brexit ist tatsächlich eine strategische und geopolitische Katastrophe. Manche in Brüssel scheinen zu glauben, das Leben werde ohne unsere britischen Freunde leichter. Das halte ich für eine grundfalsche Einschätzung. Und Sie haben recht: Die Dynamik zwischen den verbleibenden Ländern ändert sich, und wir müssen uns neu orientieren. Neben den schon sehr guten Beziehungen zu Deutschland suchen wir verstärkt Gemeinsamkeiten mit Frankreich - was niederländischen Politikern in der Vergangenheit nicht immer leicht gefallen ist. Und wir tun uns zusammen mit Ländern wie Schweden, Dänemark, Österreich oder den Balten-Staaten, die ähnliche Ansichten über freie Märkte und Haushaltsdisziplin haben. Das ist auch eine Reaktion auf den Austritt der Briten.

SPIEGEL: Zum mittlerweile beschlossenen 750-Milliarden-Euro-Paket hat der Europäische Rechnungshof gerade eine Analyse  veröffentlicht. Darin kritisiert er, der Zweck der Mittel sei sehr breit definiert und warnt vor möglichem Missbrauch. Sehen Sie diese Gefahr auch?

Hoekstra: Ich kenne diesen Bericht noch nicht, aber sicherlich würde ein Missbrauch der Hilfsgelder die Glaubwürdigkeit des Projekts untergraben. Wir geben schließlich nicht unser eigenes Geld aus, sondern das hart verdiente Geld der Bürger. Deshalb muss es eine Kopplung mit Reformen geben, die den Ländern bei der Erholung helfen.

SPIEGEL: Die Verknüpfung Geld gegen Reformen gab es auch in der Eurokrise vor einigen Jahren. Allerdings wurden damals nur wenige Länder von mächtigen Troikas europäischer Institutionen kontrolliert, zu denen zuletzt auch der Rettungsfonds ESM gehörte. So etwas gibt es nun nicht.

Hoekstra: Einen unerfreulichen Aspekt der Debatte um Corona-Hilfen finde ich, dass der ESM in manchen Ländern stigmatisiert wird. Das finde ich unfair. Denn ESM-Chef Klaus Regling und sein Team waren in der letzten Krise sehr hilfreich und können es auch in Zukunft sein.

SPIEGEL: Neu an den Corona-Hilfen ist, dass die EU dafür erstmals in großem Stil selbst Schulden aufnimmt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat das mit dem "Hamilton-Moment" der USA verglichen, die mit gemeinsamen Schulden ihre Vereinigung vorantrieben. Teilen Sie diese Vision?

Hoekstra: Ich bin ein großer Anhänger europäischer Kooperation. Zugleich sorgt mich, dass wir manche Probleme bis heute nicht lösen konnten. Sehr respektable Länder wie die Schweiz oder Norwegen wollen nicht Teil der EU sein, Länder wie Schweden oder Dänemark machen keine Anstalten, unsere Gemeinschaftswährung einzuführen - und die Briten verlassen uns. Das sagt etwas über die Attraktivität unserer Union aus. 

SPIEGEL: Neuerdings gibt es auch eine Debatte darüber, den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu lockern, dessen Schuldengrenzen wegen Corona gerade eh ausgesetzt sind. Was halten Sie davon?

Hoekstra: Ich wäre der Letzte, der in Situationen wie der jetzigen auf den Regeln beharrt. Aber generell sind solche Anker hilfreich zur Orientierung. Und über die vergangenen 15 Jahre waren nicht die Regeln das Problem, sondern deren regelmäßige Verletzung - die verschiedene EU-Kommissionen nicht verhindern konnten oder wollten.

SPIEGEL: Ähnlich wie Deutschland haben die Niederlande umfassende Konjunkturhilfen gegen die Coronakrise aufgelegt. Müssen Sie als Verfechter der freien Marktwirtschaft diese Hilfen bald zurückfahren?

Hoekstra: Da bin ich letztlich sehr pragmatisch. Sicherlich wird es Firmen geben, die jetzt Hilfen bekommen und trotzdem nicht überleben. Aber ich übertreibe lieber in diese Richtung als in die andere. Wir gehören zu den Ländern mit den höchsten Hilfen und auch zu denen, die bislang am besten durch die Krise gekommen sind. Das halte ich nicht für einen kompletten Zufall.

SPIEGEL: Mit Deutschland teilen Sie auch das Phänomen von Rechtspopulisten im Parlament, die Corona-Hilfen für andere Länder sehr kritisch sehen. Wie stark ist Ihre Politik davon getrieben?

Hoekstra: Politiker der Mitte sollten sich nicht von Extremisten treiben lassen. Und Europa ist die Antwort auf viele unserer Probleme. Zugleich hat Europa aber nicht alle Versprechen erfüllt - etwa bei der Migration. Da haben Länder wie Deutschland, Schweden, die Niederlande, aber auch Griechenland, Italien und Spanien viel getan. Andere Länder haben den Migranten im Wesentlichen den schnellsten Weg nach Berlin oder Stockholm gezeigt.

SPIEGEL: Wie soll sich das ändern? Der Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria hat ja gerade gezeigt, was beim Warten auf europäische Einigungen passieren kann.

Hoekstra: Solidarität, Gegenseitigkeit und auch Rechtsstaatlichkeit müssen Hand in Hand gehen. Ich finde es zum Beispiel zutiefst problematisch, dass es in einem Ihrer Nachbarländer sogenannte LGBT-freie Zonen gibt und wir scheinbar nichts daran ändern können.

SPIEGEL: Sie spielen auf Polen an. Unterstützen Sie also die Forderung, dass Corona-Hilfen an rechtsstaatliche Standards geknüpft werden sollten?

Hoekstra: Absolut, und nicht nur bei Corona. Das würde auch die Akzeptanz solcher Hilfen in Ländern wie den Niederlanden oder Dänemark erhöhen. Solidarität ist keine Einbahnstraße.

SPIEGEL: Mangelnde Solidarität wird allerdings auch den Niederlanden vorgeworfen, weil sie selbst seit Jahrzehnten mit laxen Steuerregeln Unternehmen anlocken. Jetzt gibt es allerdings einen Gesetzentwurf, der den Wegzug von Unternehmen bestrafen würde. Ein Kurswechsel?

Hoekstra: Bei aller Sympathie für die Kritik: Zum einen haben wir eine ziemlich gute Bilanz beim Eintreiben von Steuern...

SPIEGEL: …der Vorwurf ist aber eher, dass es bei bestimmten Geschäftsmodellen so wenig einzutreiben gibt.

Hoekstra: Es ist trotzdem relevant, weil man sonst einen großen Schwarzmarkt schafft. Und zum anderen gehen wir das Problem der Briefkastenfirmen ebenso an wie bestimmte Steuerabkommen. Die hielt man in den Achtzigerjahren vielleicht noch für absolut okay. Aber die Zeichen des Wandels lassen unsere Regierung einen neuen Weg einschlagen.

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