
World-Trade-Center-Architekt Robertson Der Turmbauer
Man könne gerne reden, schrieb Leslie Earl Robertson, es werde sich ja vielleicht ein Termin finden, er bitte nur darum, seinen Reiseplan für die nächsten zwei Monate zu beachten.
Er laute übrigens: Costa Rica, New York, Melbourne, New York, London, Rom, New York, Seoul.
Robertson ist 83 Jahre alt, er hat die heisere Stimme eines alten Mannes. Aber die braunen, runden Augen leuchten, wenn er von seiner Arbeit spricht. Robertson ist wie ein sehr altes Kind, das immer noch spielen will, am liebsten mit sehr großen Bauklötzen.
Seit einem halben Jahrhundert erschafft Robertson Wolkenkratzer. Unzählige davon hat er gebaut. Sein größer Erfolg ist zugleich seine größte Lebensbürde. Robertson hat das World Trade Center gebaut. Jene zwei Türme, die am 11. September 2001 von zwei Flugzeugen gerammt wurden und zusammenstürzten. Jene Türme, deren Zerstörung die Welt für immer verändert hat.
Broad Street 30, NY 10004, das ist Robertsons Adresse. Besser geht es in Manhattan kaum. Ein Pförtner sitzt hinter einem vergoldeten Drehkreuz. Um zu Leslie E. Robertson von Leslie E. Robertson Associates zu fahren, muss man in den obersten Stock.
Die höchste Nummer der Fahrstuhlanzeige ist 47, oben gleitet eine Glastür auf. Dahinter liegt ein weiter, großer Raum mit einem phantastischen Ausblick. Robertson läuft eine kleine Treppe hinunter. Er arbeitet in der 48. Etage.
Das Büro
In dem obersten Stockwerk eines Art-déco-Wolkenkratzers in Lower Manhattan zu arbeiten, ist so, wie als Musiker eine Stradivari zu spielen. Es ist nicht teuer, es ist unbezahlbar. Die Welt ist nicht klein, sondern ein Zirkel aus Eingeweihten.
Und trotzdem: Im Umgang ist Robertson angenehm. Er lacht über sich. Besuchern erklärt er höflich die Welt. Er zeigt auf die obersten Stockwerke der anderen Wolkenkratzer wie ein Kleingärtner aufs Nachbargrundstück. Dort, die Bank of New York, 50 Stockwerke, im obersten die Innenverkleidung aus philippinischen Muscheln. Sehr nett. Dort hinten, das andere Gebäude: Das hat er gebaut.
Nicht dass er sich mit Michelangelo vergleichen würde, sagt er einmal im Gespräch, aber es gebe da schon Parallelen. "Michelangelo hat klein angefangen, manches hat geklappt, anderes nicht. Wenn es geklappt hat, hat er es größer gemacht. Und dann haben andere angefangen, es zu kopieren." So ähnlich sei es bei ihm auch. "Ich schaffe Werke, die gut sind", sagt er. Er spüre keine Angst in sich, nie, er wache nachts nicht auf und denke, dass seine Gebäude brennen oder einstürzen können.

Aber ein Fenster gibt es, aus dem er nicht gerne schaut. "Ich weiß nicht, was es ist, aber irgendetwas hält mich zurück", meint er. Und er schaut dieses Fenster an, als sei es schuld an dem, was man sieht, wenn man hindurchschaut.
Früher war dort, vor diesem Fenster, sein Büro. Dann hat es Robertson in die andere Ecke verlegen lassen. Heute fallen ihm die sechs, sieben Schritte schwer, die man gehen muss, um das Fenster zu erreichen.
Denn dort unten, 170 Meter unter ihm, lag einst das Fundament des größten Projekts seines Lebens, des aufwendigsten, des höchsten, des schönsten - und nun auch des schrecklichsten: des World Trade Center, seines World Trade Center. Robertson sagt: "Es gibt wohl keinen, der so an dieses Gebäude gebunden ist wie ich."
Der Auftrag
"Präsident Kennedy wird einen Menschen auf den Mond schicken. Ihr werdet das höchste Gebäude der Erde bauen", lautete der Auftrag, den der Architekt Minoru Yamaski und der Ingenieur Leslie Earl Robertson Ende der sechziger Jahre erhielten.
Robertson war 34, es war sein erstes großes Projekt. Er sollte mehr als eine Million Quadratmeter Bürofläche auf einem Grundstück von weniger als 70.000 Quadratmetern unterbringen. Das entspricht etwa dem Versuch, die Hälfte von Monaco auf der Fläche der großen Pyramide von Gizeh zu stapeln.
Die Konstruktion sollte Orkanen mit Windgeschwindigkeiten von 300 Stundenkilometern standhalten, den schlimmsten Erdbeben und dem Einschlag einer Boeing 707, des größten Passagierflugzeugs der damaligen Zeit. Und die Konstruktion sollte eine Milliarde Dollar kosten.
Robertson wacht immer noch jeden Morgen um 5.30 Uhr auf, er arbeitet mehr als zwölf Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche. "Aber die Art und Weise, wie ich nun arbeite, reicht nicht daran heran, wie ich damals gearbeitet habe", sagt er. "Nicht im Entferntesten." So etwas mache man nur einmal im Leben, und das auch nur, wenn man noch jung sei. Zehn Jahre arbeitete Robertson am World Trade Center. 1972 und 1973 waren die Türme vollendet. Sein Lebenswerk, das für die Ewigkeit gedacht war - es hielt nicht ganz 30 Jahre.
Die Erinnerung
Fragt man Robertson, was er fühlte, als es fertig war, sagt er das, was jeder sagt, der wirklich etwas baut: "Es war nie fertig."
Jahrzehntelang hatte seine Firma ein Büro in den Türmen. Für Umbauten, die ständig anfielen. Spricht er heute von den Türmen, dann denkt er nicht an die Wolken, die unter dem Tower vorbeizogen, nicht an die Gewitter, die sich unter der Spitze entluden, nicht an den Blick auf den Atlantik. Er denkt an den Sonnenuntergang. An das Licht und den Schatten, der sich auf der Fassade hob und senkte wie die Atemzüge eines großen Tieres.
Wie ist es, wenn so etwas zusammenfällt? Robertson sagt, dass Bauen sein Leben sei, dass er für die Zukunft baue und nicht für die Vergangenheit, dass er jederzeit ein zweites World Trade Center bauen könne. Und er sagt, dass es um die Toten in dem Gebäude gehe und nicht um das Gebäude selbst. Ein Satz aber liegt ihm besonders am Herzen: "Ich kenne keinen Wolkenkratzer, der diesem Schlag so lange standgehalten hätte. Keinen - außer dem World Trade Center."
Wenn er aufhört zu arbeiten, wird er sterben, glaubt Robertson. Was im Umkehrschluss heißt, dass er unsterblich ist, solange er noch etwas zu bauen hat.