Zuwanderer aus Südeuropa Fluchtpunkt Deutschland

Ab in den Norden: Laut neuen Daten steigt die Zahl griechischer und spanischer Einwanderer in Deutschland deutlich an. Doch Fachkräfte kommen immer noch viel zu wenig ins Land - was auch an mangelndem Anreiz für anspruchsvolle Bewerber liegt.
Arbeitslose in Athen: Bangen um die Existenz

Arbeitslose in Athen: Bangen um die Existenz

Foto: YANNIS BEHRAKIS/ REUTERS

Hamburg - In jüngster Zeit suchen immer mehr Landsleute den Kontakt mit Christos Christoglou. "Auch Leute, die ich gar nicht kenne." Sie wollen wissen, wie das geht: Als Grieche nach Deutschland auszuwandern und hier eine Arbeit zu finden. So wie der zum Teil in Hamburg aufgewachsene Christoglou, der 2010 nach Deutschland zurückkehrte und nun beim Chemiekonzern Bayer   in Leverkusen arbeitet.

In der Krise ist Deutschland für viele Südeuropäer zum Fluchtpunkt geworden. Das zeigte sich bereits im Sommer, als SPIEGEL ONLINE Christoglou und andere südeuropäische Zuwanderer porträtierte. Nun untermauern neue Zahlen des Statistischen Bundesamts den Trend: Demnach steigt die Einwanderung aus Krisenländern besonders stark. Die Zahl der griechischen Zuwanderer nahm im ersten Halbjahr 2011 um 84 Prozent zu. Aus Spanien kamen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 49 Prozent mehr Einwanderer.

Zwar könnte ein Teil der Zunahme durch eine Bereinigung der Melderegister im vergangenen Jahr verursacht sein. Doch die Werte sind auch im Vergleich mit anderen Nationalitäten beachtlich: Insgesamt legte die Zuwanderung nur um 19 Prozent zu. Auch die Zahl von Einwanderern aus osteuropäischen EU-Ländern stieg mit rund 30 Prozent deutlich weniger - obwohl seit Mai 2011 auch für diese Länder Freizügigkeit gilt, ihre Bürger also auch im Rest der EU ohne Einschränkungen leben und arbeiten dürfen.

Offenbar kommen derzeit zwei Bedürfnisse zusammen: In Südeuropa ist die Arbeitslosigkeit durch die Krise zum Teil massiv gestiegen, viele Bürger bangen um ihre Existenz. In Deutschland dagegen sind die Unternehmen erstaunlich gut durch die Krise gekommen und suchen vielerorts Fachkräfte. Weit oben auf der Wunschliste stehen Ingenieure wie Christoglou.

An Bekenntnissen deutscher Unternehmer zur Zuwanderung mangelt es denn auch nicht, das zeigte sich kürzlich auf einem Wirtschaftsforum der "Zeit". Seine Firma habe schon in den Sechzigern "ein paar hundert Spanier importiert", erinnerte sich dort Keks-Fabrikant Werner Bahlsen. Das ließe sich nun wiederholen. "Wenn wir Europa als Idee verinnerlichen, wo ist das Problem?". Auch für Sabine Herold, Geschäftsführerin des Klebstoffherstellers Delo, war die Lage eindeutig. In Spanien gebe es hohe Jugendarbeitslosigkeit, daheim dagegen Fachkräftemangel. "Ja Bingo, sind wir jetzt Europa oder nicht?"

Das Interesse ist deutlich gewachsen

Solchen Worten ließen deutsche Firmen bereits Taten folgen, sagt Michael Bräuninger, Forschungsdirektor am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI). "Die Zuwanderung, die wir derzeit erleben, erfolgt großenteils gesteuert. Die Unternehmen werben gezielt in den Krisenstaaten Fachkräfte an." Auch die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit erkennt laut einer Sprecherin "einen gewissen Trend. Das Interesse ist da und es ist in diesem Jahr deutlich gewachsen".

Die ZAV organisierte erst im November Jobbösen in Spanien und Griechenland, auch einzelne Regionen werden aktiv. Die Wirtschaftsförderung Stuttgart ließ kürzlich sogar 100 spanische Ingenieure für einen Bewerbungstag einfliegen.

Steht Deutschland also vor einer neuen Einwanderungswelle? Für diese Prognose reichen die jetzt veröffentlichten Zahlen noch nicht aus. Zum einen beziehen sie sich auf Einwanderer insgesamt, erfassen also nicht, wie viele der Neu-Bürger in Deutschland auch berufstätig sind. Mehr Klarheit werden erst Anfang 2012 neue Beschäftigtenzahlen geben. In den vergangenen Jahren hatten sich diese nur leicht verändert, die Zahl von Griechen und Spaniern sank sogar.

Zum anderen ist die gestiegene Zuwanderung gemessen am gesamten deutschen Arbeitsmarkt sehr gering. "Das sind Peanuts", sagt Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Nach seinen Schätzungen wird die Einwanderung im Gesamtjahr 2011 unterm Strich bei 250.000 liegen - nur rund ein halbes Prozent des Potentials an Erwerbskräften im Land.

Auch der Erfolg der Stuttgarter Anwerbeaktion ist bislang überschaubar. Nach 220 Bewerbungsgesprächen seien bisher vier Verträge abgeschlossen worden, berichtet Walter Rogg von der Stuttgarter Wirtschaftsförderung. Elf Arbeitgeber hätten zudem Zusagen gemacht.

Warum aber kommen nicht noch viel mehr Spanier, Griechen oder auch Portugiesen und Iren nach Deutschland? Das liegt offenbar sowohl an den potentiellen Gastarbeitern als auch an ihren möglichen Gastgebern.

Sorge vor "imperialistischem Beutezug"

In Baden-Württemberg etwa wollen laut einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer trotz des Fachkräftemangels nur acht Prozent der Betriebe im Ausland nach Personal suchen. Eine deutliche Mehrheit setzt dagegen auf Aus- und Weiterbildung. Rogg erklärt die Zurückhaltung auch mit Taktgefühl: "Wir wollen die Notlage der Leute nicht ausnutzen. Das darf keinen imperialistischen Beutezugcharakter haben."

Beim Verein deutscher Ingenieure wird zwar ebenfalls ein verstärkter Zuzug von Spaniern und Griechen registriert. Insgesamt aber bleibe der Zustrom an ausländischen Ingenieuren mäßig. Andernorts seien Jobs eben noch attraktiver, vermutet ein Sprecher - etwa was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht. "Es gibt sicher Länder, die bessere Arbeitsbedingungen bieten."

Zum Teil scheitert die Einwanderung aber auch an den Bewerbern. Neben mangelnden Sprachkenntnissen ist laut ZAV auch die Ortswahl ein Problem. Viele Mittelständler sitzen in ländlichen Gebieten, die Südeuropäer zieht es aber in Großstädte.

Chemie-Ingenieur Christoglou kennt das Problem. "Von einer Großstadt wie Athen will man auch wieder in die Großstadt", sagt er. Auch seine Frau habe zunächst befürchtet, dass Leverkusen zu provinziell sein könnte. Inzwischen habe er sie überzeugen können, dass es in Deutschland auch in 200.000-Einwohner-Städten alles Nötige gebe. Eine vergleichbare griechische Stadt wie Patras habe dagegen "vielleicht gerade einmal ein Theater - und seit zehn Jahren ein Kino".

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