Thomas Fricke

Mögliches Comeback der Populisten Wenn die Krise nach der Krise droht

Thomas Fricke
Eine Kolumne von Thomas Fricke
Populisten scheinen seit Ausbruch des Corona-Dramas eher an Gewicht verloren zu haben. Womöglich ein Trugschluss: Die wirklich große Welle droht nach der Pandemie.
Großbritanniens Premier Boris Johnson und Ex-US-Präsident Donald Trump (Archivbild)

Großbritanniens Premier Boris Johnson und Ex-US-Präsident Donald Trump (Archivbild)

Foto: i-Images / Pool / IMAGO

Als Ende Januar 2020 die ersten Corona-Fälle in Deutschland bekannt wurden, herrschte in den USA noch Donald Trump. Die Briten bereiteten gerade eifrig ihren schönen Brexit vor – und hatten dazu unlängst passend einen Clown gewählt. Und in Deutschland lag die polternde AfD in Umfragen erstmals vor der SPD. Ja, vor.

Zwei Jahre später ist das Virus immer noch da. Dafür wurde Trump inzwischen abgewählt, Boris Johnson feiert am Abgrund, auch weil viele Briten spüren, dass der Brexit eine ziemlich bescheuerte Idee war. Und in Deutschland regiert Olaf Scholz, nicht die AfD, die seit Pandemiebeginn von der größten auf eine relativ kleine Oppositionspartei geschrumpft ist.

Hat die Seuche wenigstens das zum Guten gebracht: dass die große Zeit der Populisten vorüber ist? Fast scheint es so. Sieht man genauer hin, könnte die Entwarnung dennoch zu früh kommen. Was den Populismus vor dem Corona-Schock getrieben hat, wird bei ihrem Ende nicht wirklich behoben sein. Und je länger die Krise dauert, könnte sie doch noch den Populisten nutzen. Womöglich folgt nach der Pandemie sogar erst das wirklich große Desaster.

Dass die Krise in den vergangenen zwei Jahren dazu geführt hat, diejenigen wieder zu stärken, die auf schnödes Regieren statt auf große Töne, plumpes Schimpfen auf andere und überhaupt viele scheinbar einfache Lösungen setzen, scheint eine systematische Auswertung zu bestätigen, die eine Forschergruppe des Center for the Future of Democracy an der Universität Cambridge gerade veröffentlicht hat .

Die Schweigenden sind ziemlich klar in der Mehrheit

Nach deren Rechnung haben ausgeprägt populistische Regierungen seit Coronaausbruch im Schnitt gut zehn Prozentpunkte an Zustimmung verloren – während die Merkels, Macrons oder Trudeaus im Schnitt Ende 2021 in etwa da standen, wo sie auch Anfang 2020 waren. Was nach derselben Auswertung stark auch daran lag, dass die Populisten beim Kampf gegen die Pandemie oft als ziemlich hilflos rüberkamen: Die Zustimmung zum Corona-Management ist in den Ländern im Schnitt auf nur noch knapp über 50 Prozent gesunken, in denen Populisten regieren – bei den anderen hält sich die Zustimmung trotz aller berechtigter oder weniger berechtigter Proteste bei fast 70 Prozent.

Solche Umfragewerte relativieren auch den Eindruck, der durch die vielen Bilder von Demonstrationen in Deutschland entsteht: Die Schweigenden sind dann doch ziemlich klar in der Mehrheit. Was nicht heißt, dass die alles (auch weiterhin) gut finden, klar.

Was gegen eine Entwarnung spricht, ist etwas anderes. Nach gängiger Forschung konnten Populisten in den vergangenen Jahren vor allem dort auffällig viele Wähler mitziehen, wo die Menschen stark von wirtschaftlichen Schocks betroffen sind – und dadurch die Kontrolle über ihr eigenes Schicksal verloren haben. Das gilt überall dort, wo Globalisierung oder technologische Innovationen alte Industrien dahingerafft haben, ob im sogenannten Rostgürtel der USA, in den alten Industrieregionen im Norden Großbritanniens wie in Frankreich – oder im Osten Deutschlands. Und diese Phänomene werden mit der Pandemie nicht vorbei sein.

Die Leute fänden Wettbewerb fair, wenn sie das Gefühl haben, ihre Lebensperspektiven durch eigenen Einsatz verbessern zu können, schreibt der Kieler Populismusforscher Robert Gold in einem bisher unveröffentlichten Papier. Wenn aber ganze Industrien wegbrechen, hilft auch der größte persönliche Wille wenig. Und spätestens die Wahrnehmung, dass andere problemlos durchkommen, weil sie Haus und Vermögen haben oder für vermeintliche Top-Jobs ein halbes Vermögen bekommen, macht anfällig für Unmut und extreme politische Reaktionen – gegen die Eliten oder anderes. Auch das bestätigen mittlerweile fast einmütig die Studien.

Wenn hier die tieferen Ursachen liegen, gibt es zwar in den vergangenen Jahren Hoffnungswerte. In den USA zogen die Löhne selbst in den verlorengeglaubten Regionen erstmals wieder stärker an. Der globale Konkurrenzdruck hat eher nachgelassen. Wie die Forscher aus Cambridge darlegen, sind in der Pandemie de facto gerade die wirtschaftlich eher schwachen Regionen auch vergleichsweise gut weggekommen – was allerdings auch mit daran lag, dass dort weniger Wirtschaftsleistung verloren gehen konnte.

Dazu kommt, dass überall enorme Konjunkturpakete aufgelegt und viele Betriebe staatlich gerettet wurden – was dem Eindruck aus Zeiten der Hyperglobalisierung ebenfalls erst einmal entgegenwirkte, dass die Regierungen ohnehin keine Kontrolle mehr haben. Auch gut.

Smarte Industriepolitik ist gefragt

Fragt sich nur, ob das alles reicht, um die Ursachen für Unmut und Kontrollverlust zu beheben. Dafür müsste es nach Analyse von Robert Gold nicht nur besser gelingen, die Verlierer aufzufangen – wofür es gerade in den USA und Großbritannien einen besser ausgestatteten Wohlfahrtsstaat mit Absicherungen bräuchte. Entscheidend sei, dass die Leute das Gefühl bekommen, aus eigener Kraft wieder für sich sorgen zu können. Als Lösung bräuchte es im Zweifel sehr viel mehr proaktive Politik, die dafür sorgt, dass in absehbar kriselnden Regionen neue Wirtschaftszweige wachsen – und bewusst geschaffen werden: smarte Industriepolitik.

Dazu bräuchte es Politiker, die immer wieder demonstrieren, dass sie noch Kontrolle haben – ob über mächtige Internetkonzerne, steuersparende globale Firmen oder Finanzspekulatoren, die Regierungen vor sich herzutreiben versuchen. Oder im Zweifel auch über ein Virus. Oder den Verfall von Schulen und öffentlicher Infrastruktur. Und den Irrwitz, dass dank all der schönen Liberalisierungen der Finanzwelt so viel Geld mit abgehobenem Finanzzauber oder schierem Immobilienbesitz zu machen ist – und so skandalös wenig mit Dingen, die Menschen dringend brauchen. Etwa Gesundheit. Kurz: all das anzugehen, was in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen hat, das Vertrauen in diejenigen schwinden zu lassen, die fürs Wohl des Volkes sorgen sollten.

Dann geht es um mehr als nur ein nicht ganz so schlechtes Corona-Management – oder darum, dass Verliererregionen etwas besser durch diese Krise kommen und die Löhne etwas stärker steigen. Dann braucht es im Zweifel so einen New Deal, wie ihn Franklin D. Roosevelt in einer in vielerlei Hinsicht vergleichbaren Lage samt der Schockwellen nach der Finanzkrise 1929 aufgelegt hat. Und die auch Joe Biden durchaus im Programm hat – oder hatte; ebenso wie die neue Regierung in Deutschland. Ob durch große Infrastrukturprogramme, die Einführung internationaler Mindeststeuern für Konzerne, eindrucksvollere Investitionen in den Klimaschutz, die Stärkung von Gewerkschaften – oder die Anhebung von Mindestlöhnen. Oder eben eine Politik, die viel aktiver versucht, Leuten neue Perspektiven zu schaffen.

Umso größer wirkt nur das Drama, das sich in den USA nach einem Jahr Biden bereits anbahnt – wo der Präsident einen Teil seiner hehren Pläne im innenpolitischen Hickhack aufgeben muss, während das, was durchgegangen ist, teils Jahre brauchen wird, bevor die Leute das Gute daran spüren: ob bessere Straßen und Brücken oder Erfolge im Kampf gegen den Klimawandel. Und wo jetzt auf dramatische Art die Zeit bereits davonläuft – für den Präsidenten wie für den Versuch, die Ursachen für den (womöglich eben doch nur vorübergehend geschwächten) Populismus zu stoppen. Weil im November schon die nächsten Wahlen anstehen – und Biden danach keine Mehrheit mehr im Kongress haben könnte.

Wenn die Diagnose der tieferen Ursachen für die Krise der Demokratie stimmt, wird es das mit dem großen Kampf gegen Populisten für die USA dann erst einmal gewesen sein.

Risiken für Deutschland

Kein gutes Omen für die Bundesregierung und ihr ja auch recht ambitioniertes Programm bei uns. Zumal nicht ganz auszuschließen ist, dass in ein paar Wochen in Frankreich rechte Populisten die Präsidentschaftswahl gewinnen. Und es ist ja nicht so, dass nach der Pandemie nicht die nächsten realen Schocks schon absehbar wären, bei denen Menschen die Kontrolle über ihr eigenes Schicksal erneut genommen wird – ob regional oder darüber hinaus: ob durch Finanzkrisen, den nötigen Umbau der Autoindustrie oder künstliche Intelligenz. Für all das gilt das gleiche wie für Globalisierungs- und Technologieschocks in den vergangenen Jahren: Vieles davon mag per Saldo wirtschaftlich gut sein – nur dass hinter so einem Saldo halt eine Menge Schicksale auf der Minusseite stehen, die empfänglich für populistische Reize sein werden, wenn man ihnen nicht schnell Aussicht auf eine Lösung schafft.

Amerika drohe spätestens bei der nächsten Präsidentenwahl 2024 ein Desaster, schreibt der MIT-Ökonom Daron Acemoglu. Schon weil die Republikaner sich bislang weigern einzusehen, dass es eines ganz großen neuen Deals bedarf – und die große alte Partei sich unter dem Einfluss von Trump stattdessen »in eine rechtspopulistische Kampfbewegung umgeformt« habe. Sollten die Demokraten 2024 verlieren, könnte das demokratische System der USA gänzlich aus den Fugen geraten, so Acemoglu: Und die »Schockwellen« würden in der ganzen Welt zu spüren sein. Bitter. Und nicht einmal utopisch.

Zwei Jahre sind seit Corona-Ausbruch bei uns vergangenen. Und noch geht es viel um Inzidenzen und Impfkampagnen. Was auch sinnvoll und nötig erscheint. Die Pandemie ist ja noch nicht vorbei. Und es ist gut möglich, dass sich in diesen eskalierenden Omikron-Wochen auch entscheidet, ob nicht-populistische Regierungen das Gefühl weiter vermitteln können, die Lage noch einigermaßen auffangen zu können. Oder ob die Coronakrise als nächster fataler Beleg dafür in Erinnerung bleiben wird, dass gewählte Politiker vor lauter Globalisierung und mangelnden Investitionen ohnehin die Kontrolle verloren haben.

Umso dringender ist, bereits jetzt mindestens so viele Lauterbachs und Energie dafür einzusetzen, die kommende Katastrophe zu stoppen. Und alles daran zu setzen, dass Politiker die großen Umbrüche jenseits der Pandemie lösen – und wirre Populisten so gar keinen Anlass bekommen, neue Anhänger einsammeln zu können – ob man das jetzt New Deal nennt oder anders.

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